wepe hat geschrieben: ↑05.10.2025, 00:42
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Also, im Ziel solche Werte
anzustreben, können wir uns sicher einig werden - aber Deine Auflistung als bereits existierende, und dann auch noch besonders "deutsche" Werte hier aufzuführen, da kommen wir nicht zusammen. Da spricht viel alte Geschichte gegen!
Ich denke, dass dieser Gedankengang der vielleicht diskussionsreichste ist. Historisch, da stimme ich dir zu, lassen sich so gut wie alle national gedachten Werte dekonstruieren, so dass man letztendlich bis in die gesellschaftsfreien Lebensweisen zurückgehen müsste, die wahrscheinlich sogar noch weit vor den alten Hochkulturen, vielleicht sogar noch vor steinzeitlichen Kulturen, in denen ja Männer und Frauen auch schon ganz klare geschlechterbasierte Rollen einnahmen, liegen. Heutig gedachte nationale Werte oder "Stolzheiten" reichen ja zuweilen in Zeiten zurück, in denen die heutigen Nationalitäten noch gar nicht existierten. Wäre man "stolz" auf das deutsche Burgensystem, so müsste man statt ein "stolzer Deutscher" vielleicht eher ein "stolzer Kleve-Jülich-Berger" sein.
Und da zeigt ja deine Übersicht, wie wichtig und richtig es wäre, Werte wie "Respekt vor anderen L(i)ebensweisen, Geschlechtern oder Religionen" nicht nur anzustreben, sondern auch in ihrer positiven Entwicklung anzunehmen und zu definieren. Waren Frauen 1958 noch auf die "Arbeitserlaubnis" ihres Ehemannes angewiesen, so hat sich das bis 2025 stark gewandelt, wenn auch Phänomene wie gender-pay-gap zeigen, dass geschlechtliche Gleichberechtigung bei weitem noch nicht im Ideal angekommen ist.
Wenn ich dich richtig verstehe, würdest du eine Aussage wie "Es ist ein typisch Deutscher Wert, dass Geschlechtergleichberechtigung besteht." ablehnen, weil er historisch gesehen nicht haltbar ist. - Und du hättest Recht damit. Aber du würdest zugleich auch einer multikulturellen Gesellschaft vermitteln, dass eine Gleichberechtigung der Geschlechter in Deutschland kein erstrebenswertes gesellschaftliches Gut ist. Eben weil es historisch nicht zu konstruieren ist.
Wenn wir aber etwas anstreben wollen, dann ist das einmal ein Blick in zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten (von der Arbeitserlaubnis 1958 über die Arbeitsfreiheit 2025 bis hin zur gleichen Bezahlung im Jahr 2031 oder von den "Rosa Listen" über die Homo-Ehe bis hin zur Sicherheit am Arbeitsplatz) und außerdem ist es die Definition gegenwärtiger Verbindlichkeiten in Sinne von "ein deutsches Ideal ist..." (oder ein europäisches Ideal...), was übrigens dann auch verbindlich für alle gilt, seien sie Migranten, "Biodeutsche" oder Barbaren. Historische Relativierungen, so richtig sie auch seien mögen (ich bin da nicht Historiker genug, um das sicher zu definieren...), würden an dieser Stelle nur kontraproduktive Ergebnisse liefern. Es ähnelt ein bisschen dem Toleranzparadoxon: Um tolerant zu sein, muss ich an bestimmten Stellen intolerant sein, denn bin ich das nicht, ist meine Toleranz absolut beliebig und wert(e)los.
Ich krieg ja dann auch immer ein bisschen Magengrummeln, wenn ich mich frage, ob das Beharren auf historisch nicht haltbaren Definitionen nicht ebenso konservativ ist, wie die Frage nach "deutschen Werten"?