wepe hat geschrieben: ↑03.10.2025, 12:15
Im aktuellen SZ-Magazin [...]
Längerer Artikel, der mich sehr beeindruckt hat - sehr lesenswert!
Ich sehe den Artikel ein wenig kritischer. Zu Beginn dachte ich, ob es sich hier wieder um so einen Artikel handeln würde, den ich bei Romanen gerne mal als Bekenntnis- oder Befindlichkeitsliteratur bezeichnet hatte: Das persönliche Schicksal und Leid wird zur gesellschaftlichen Blaupause generalisiert und durchdekliniert. Und ich dachte mir, dass ich nicht gerne Wurst esse, aber dass es mich freut, dass der Autor das Wurstessen als ein Kennzeichen seiner deutscher Identität definiert. Wenn man sich z.B. auf Youtube anschaut, was andere Nationalitäten als Deutsch definieren, dann sieht man neben den Weihnachtsmärkten eher noch das Pfandsystem, Kippfenster oder das Ablehnen von Airconditon als identitätsbezeichnend. Okay, zugestanden, Wurst gehört auch dazu.
Glücklicherweise verließ der Autor dann seinen persönlichen Background, der wohl letztendlich nur dazu diente uns eines zu verdeutlichen:
die Migration gibt es nicht, ebensowenig wie
die Migranten oder
den Migrationsbegriff. Vielmehr ist das alles ein Konglomerat von individuell zu betrachtenden Schicksalen und kollektiv zu betrachtenden Missleistungen. Und im folgenden dröselt er auch die Geschichte von hmhmhmhmhhmmmm-Begriffen auf, die zum ersten sehr korrekt ist und zum zweiten mich an die ganzen Begriffsdiskussionen aus den NL erinnerten, die auch nie wussten, ob sie nun
buitenlanders, gastarbeiders, Westerse/Niet-Westerse, allochthonen oder
migranten sagen sollten. Egal, was man wählte, es war immer irgendwie falsch.
Und da fragte ich mich dann: Was will er denn, der Herr Ku, abgesehen davon zu sagen, dass man alles, was man an Definitionen hat, nicht sagen kann oder soll. Er stellt die verzweifelten und zuweilen auch sehr lächerlichen Versuche
der Deutschen (Die gibt es übrigens!) vor, diese eine Frage zu beantworten, was denn "deutsch" sei. Dabei dekonstruiert er mögliche Antworten zugleich: deutsche Sprache? - sprechen auch Österreicher und Schweizer. Nationalhymne? - stammt von einem Österreicher und aus einer Zeit, als es den deutschen Staat noch gar nicht gab. Kant und Nietzsche führt er als Dichter und Denker an, die mit dem Patriotismus ihre Probleme hatten, vergisst aber auch den von ihm zuvor genüsslich aufgeführten Thomas Mann als Sohn einer brasilianischen Mutter, der nach seiner Exil-Ankunft in den USA laut sagte: Wo ich bin, da ist Deutschland.
Und spätestens hier verliert sich der Artikel in einer Definitionsdiskussion, die zum Ergebnis hat, dass man nichts definieren könne und dass jedwede Form von Migrations- oder Migrationsbegriffsdefinition aufgrund ihrer Vielfältigkeit ins Nichts und Undefinierbare diffundieren muss. 25 Millionen, so bezeichnet Herr Ku die Anzahl der Menschen "mit Migrationshintergrund" am Anfang. Das wird sicher richtig sein. Er könne Geschichten erzählen, so wird er später schreiben, von Migranten, die wichtiger wären als Statistiken. Auch das ist sicher absolut richtig und wichtig. 25 Millionen mal richtig und wichtig, denk ich mir und Herr Ku sagt: Man muss sich Mühe geben. Da schüttle ich dann doch den Kopf bzgl. der 25 Millionen individuell zu betrachtenden Schicksale.
Dabei hatte er den Kern des Problems sehr gut benannt: "Was ist deutsch? [...] Die meisten Deutschen können das nicht" beantworten, so sagt er. Diese Hilflosigkeit wird zum Vorwurf. Dabei führt er selbst auf, dass das Fremde und das Eigene, er nennt es das "deutsche Ideal", als Begriffspaar zusammenhängt. Das Fremde hatte er schon zuvor als 25 Millionen Schicksale pluralisiert. Das Eigene hat noch nicht einmal eine Definitionsgrundlage. Das "deutsche Ideal" gibt es nicht, sagt er. Und er hat Recht! Und das ist das Dilemma.
Wir fordern gerne Integration von "Migranten". Aber die Frage ist, in was denn? Ku selbst sagt: deutsche Sprache? - sprechen auch Österreicher und Schweizer. Nationalhymne? - stammt von einem Österreicher und aus einer Zeit, als es den deutschen Staat noch gar nicht gab, Dichter und Denker haben ihre Probleme mit dem Patriotismus. Werte wie Pünktlichkeit - Deutsche Bahn! Neben dem Migrationsbegriff ist für Ku auch der Nationalbegriff undefinierbar und vor allem historisch nicht herzuleiten. Kann man so sehen. Aber was bietet und der Artikel denn letztendlich an, abgesehen von einer Undefinierbarkeitserkenntnis? - Gar nichts. Und das ist mir, bei allen Richtigkeiten, die der Artikel hat, zu wenig für einen beeindruckenden Artikel.