Wahlrecht
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Wahlrecht
Hallo Zusammen,
ich weiß, mit dieser Frage begebe ich mich auf dünnes Eis. Die hatte ich schon öfter gestellt (nicht hier) und Antworten erhalten, die mir mehr oder weniger subtil zu verstehen gegeben haben, dass ich komplett zu dumm für das Thema wäre. Ähem, ihr dürft das natürlich genau so tun, aber ich wünsche mir doch eine Antwort, warum meine Frage so dumm ist.
Wir haben in Deutschland eine Mischung von Mehrheitswahl + Verhältniswahl.
Meine Frage ist, warum muss die Verhältniswahl ein Übergewicht haben, so dass es entweder ein Rechenkonstrukt aus Ausgleich/Überhangsmandate geben muss, oder wie im neuen Wahlrecht Direktmandate nicht vergeben werden.
Wir haben in Deutschland zurzeit 299 Wahlkreise. Warum verdoppeln wir diese Anzahl nicht einfach auf 598 Sitze im Bundestag und vergeben mit der Zweitstimme nur die zweite Hälfte des Bundestages. Das wäre eine 50/50 Verteilung von Mehrheit und Verhältniswahlrecht.
Was wäre daran ungerecht, oder nicht umsetzbar, oder einfach nur dumm?
ich weiß, mit dieser Frage begebe ich mich auf dünnes Eis. Die hatte ich schon öfter gestellt (nicht hier) und Antworten erhalten, die mir mehr oder weniger subtil zu verstehen gegeben haben, dass ich komplett zu dumm für das Thema wäre. Ähem, ihr dürft das natürlich genau so tun, aber ich wünsche mir doch eine Antwort, warum meine Frage so dumm ist.
Wir haben in Deutschland eine Mischung von Mehrheitswahl + Verhältniswahl.
Meine Frage ist, warum muss die Verhältniswahl ein Übergewicht haben, so dass es entweder ein Rechenkonstrukt aus Ausgleich/Überhangsmandate geben muss, oder wie im neuen Wahlrecht Direktmandate nicht vergeben werden.
Wir haben in Deutschland zurzeit 299 Wahlkreise. Warum verdoppeln wir diese Anzahl nicht einfach auf 598 Sitze im Bundestag und vergeben mit der Zweitstimme nur die zweite Hälfte des Bundestages. Das wäre eine 50/50 Verteilung von Mehrheit und Verhältniswahlrecht.
Was wäre daran ungerecht, oder nicht umsetzbar, oder einfach nur dumm?
- Rebecca
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Re: Wahlrecht BRD
Wahlrecht! Jurathema!
Also:
Grundsätzlich ist es nach unserer Verfassung (Grundgesetz) möglich, dass unser Wahlsystem sowohl eine reine Verhältniswahl als auch eine reine Mehrheitswahl sein könnte. Das könnte man ändern per Bundeswahlgesetz (mit einfacher Mehrheit).
Das vorausgeschickt haben wir tatsächlich eine Verhältniswahl in Deutschland mit Mehrheitswahlrechtelementen(!).
So wie es aktuell ist, wird nämlich die Zusammensetzung des Bundestages (Verteilung der Sitzanteile) alleine durch das Verhältniswahlrecht bestimmt (ist somit auch die wichtigere Stimme). D.h. der Gesetzgeber hat entschieden, dass das Verhältniswahlrecht Vorrang hat. Er hätte auch entscheiden können die Hälfte der Sitze nach Verhältniswahl zu verteilen und die andere Hälfte nach Mehrheitswahl. Aber er hat sich entschieden, dass die Gesamtzusammensetzung nach Verhältniswahl geht.
Beide Systeme haben Vor-, und Nachteile.
Vorteile und Nachteile bei der Verhältniswahl:
Auch kleinere Parteien haben Chancen einen Platz im Bundestag zu bekommen. In früheren Zeiten, wo die SPD und die Union noch deutlich stärker waren, wären es nur die beiden Parteien im Bundestag gewesen. Die Stimme für andere Parteien (aber auch für die Unterlegenen) gehen bei der Mehrheitswahl unter.
Einfaches Beispiel: Stellen wir uns vor alle Sitze würden per Mehrheitswahlrecht im Wahlkreis vergeben. Partei A würde überall auf 51% kommen und Partei B überall auf 49%, das würde dazu führen dass 51% der tatsächlich zur Wahl gehenden ALLE Sitze im Bundestag bestimmen würden und Partei A alle kriegen würde und Partei B nichts, obwohl sie von den bundesweiten Stimme fast genauso viele wie Partei A haben.
(Bei Mehrheitswahlrecht gibt es übrigens auch noch verschiedene Varianten, ob man die absolute Mehrheit im Wahlkreis braucht oder die relative Mehrheit reicht... bei der relativen Mehrheit gehen noch mehr Stimmen verloren!).
Weiterer Vorteil der Verhältniswahl ist, dass die Bindung zwischen einem einzelnen Abgeordneten und dem Wahlkreis nicht zu stark wird, weil genug auch über die Listen hineinkommen. Die Gefahr bei einer zu starken Bindung besteht darin, dass sie primär ihren Wahlkreis vertreten und nicht mehr das tun, was (in ihren Augen) zum Wohle des Gesamtvolkes ist. Denn das ist nach unserer Verfassung die Aufgabe der Abgeordneten. Nicht den Willen der Wähler eines Wahlkreises umzusetzen, sondern Entscheidungen zu Treffen, die für das Wohl des Volkes in seiner Gesamtheit die Richtigen sind (Theorie und Praxis.... aber so ist es gedacht).
Das Verhältniswahlrecht wiederrum stärkt die Parteien und schwächt die Abgeordneten, weil die Listenplätze über die Parteien vergeben werden (übrigens in demokratischer Wahl innerhalb der Parteien... so dass das nicht von oben einfach bestimmt wird... wie es manchmal den Anschein hat). Aber allgemein muss der Abgeordnete der nicht auf Parteilinie stimmt sich Sorgen machen nicht mehr aufgestellt zu werden in der nächsten Legislaturperiode.
Das Verhältniswahlrecht ist jedenfalls das, welches dafür sorgt, dass die größte Anzahl der abgebenen Stimmen bei der Anteilsbildung der Parteien berücksichtigt wird und da nicht viel verloren geht... um die Kleinparteilichkeit zu begrenzen und einer Zersplitterung des Bundestags (Stichwort: Weimarer Republik) entgegen zu wirken hat der Gesetzgeber sich für die (durchaus in der Höhe umstrittene) 5 % Hürde entschieden.
Das ist tatsächlich auch der Grund, warum sich der Gesetzgeber für die Verhältniswahl als führendes Verfahren entschieden hat. Er könnte nun die Mehrheitswahl auch komplett weglassen...
Warum tut er das nicht?
Vorteile und Nachteile der Mehrheitswahl:
Wir leben in einem förderalen Staat und wir wollen, dass die Abgeordneten nahbar für das Volk bleiben. Damit sie nahbar bleiben, sollen nicht alle Plätze per Liste vergeben werden, sondern eben auch per Mehrheitswahl vor Ort. Diese soll aber eben nicht die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag beeinflussen, sondern nur eine persönliche Wahl der Personen ermöglichen. Immerhin haben die Leute einer Partei, die per Mehrheitswahlrecht gewählt werden, Vorrang vor den Leuten, die auf der Liste stehen.
Kommt es also dazu, dass eine Partei 70 Mandate per Mehrheitswahl gewinnt und nach Verhältniswahlrecht 70 Mandate haben sollte, dann gehen die auf der Liste leer aus.
Dadurch soll eine Erdung geschaffen werden, so dass die Partei motiviert sind vor Ort mit Leuten in Kontakt zu kommen und eben Leute auch im Bundestag sitzen, die vor Ort persönlich Wahlkampf gemacht haben und mit den Leuten in Kontakt gekommen sind.
Darüber hinaus stärkt das Mehrheitswahlrecht die einzelnen Abgeordneten. Zwar ist es nach den Erfahrungen in Großbritannien und den USA schon auch wichtig die Unterstützung der Partei zu haben, aber es grundsätzlich möglich, dass Abgeordnete die sehr viel Rückhalt im Wahlkreis haben, auch ohne UNterstützung der Partei gewählt würden. Das könnten sie nutzen um den Fraktionszwang aufzuweichen.
Fazit:
Rechtlich geht dein Vorschlag, wenn sich der Gesetzgeber dafür entscheidet... es wäre eine stärkere Betonung der Mehrheitswahl als wir bisher haben, also stärker die Vor-, und Nachteile wie oben genannt.
Die Verhältniswahl muss keine Mehrheit haben. Wir könnten 1:1 wählen wie sie es in Frankreich oder Großbritannien tun. Beide Wahlsysteme wären grundsätzlich auch für den Bundestag möglich.
Ich persönlich bin gegen die Mehrheitswahl. Ich bin auch gegen Fraktionszwang. Ich würde mir wünschen, dass der Geist unserer Verfassung mehr zum Tragen käme und die Abgeordneten sich fragen würden, welche Entscheidung ist die richtige für das Land/das Volk (mit dem Auftrag das dann auch natürlich zu erklären - aber die Entscheidung zu treffen, egal ob sie dafür Beifall kriegen und wiedergewählt werden... oder nicht - sie sollen die Entscheidung treffen, weil sie richtig ist.).
Mischvarianten aus Verhältnis-, und Mehrheitswahlrecht sind übrigens nach meinem Wissen eher selten... die meisten (westlichen) Staaten haben das eine oder das andere.
Grundsätzlich sind schon viele Arbeiten, Aufsätze und Bücher über die Historie und Vor-, und Nachteile der Wahlsysteme geschrieben worden (sowohl aus der Perspektive von Historikern, Politikwissenschaftlern als auch Juristen). Insofern konnte ich das Wesentliche hier nur anreißen.
Unser eigenes Wahlsystem wird dann noch mal kompliziert... weil wir keine Bundeslisten benutzen... sondern LANDESlisten... und die Mehrheitsmandate dann darauf noch verteilt werden... aber ich will euch nicht langweilen...

Also:
Grundsätzlich ist es nach unserer Verfassung (Grundgesetz) möglich, dass unser Wahlsystem sowohl eine reine Verhältniswahl als auch eine reine Mehrheitswahl sein könnte. Das könnte man ändern per Bundeswahlgesetz (mit einfacher Mehrheit).
Das vorausgeschickt haben wir tatsächlich eine Verhältniswahl in Deutschland mit Mehrheitswahlrechtelementen(!).
So wie es aktuell ist, wird nämlich die Zusammensetzung des Bundestages (Verteilung der Sitzanteile) alleine durch das Verhältniswahlrecht bestimmt (ist somit auch die wichtigere Stimme). D.h. der Gesetzgeber hat entschieden, dass das Verhältniswahlrecht Vorrang hat. Er hätte auch entscheiden können die Hälfte der Sitze nach Verhältniswahl zu verteilen und die andere Hälfte nach Mehrheitswahl. Aber er hat sich entschieden, dass die Gesamtzusammensetzung nach Verhältniswahl geht.
Beide Systeme haben Vor-, und Nachteile.
Vorteile und Nachteile bei der Verhältniswahl:
Auch kleinere Parteien haben Chancen einen Platz im Bundestag zu bekommen. In früheren Zeiten, wo die SPD und die Union noch deutlich stärker waren, wären es nur die beiden Parteien im Bundestag gewesen. Die Stimme für andere Parteien (aber auch für die Unterlegenen) gehen bei der Mehrheitswahl unter.
Einfaches Beispiel: Stellen wir uns vor alle Sitze würden per Mehrheitswahlrecht im Wahlkreis vergeben. Partei A würde überall auf 51% kommen und Partei B überall auf 49%, das würde dazu führen dass 51% der tatsächlich zur Wahl gehenden ALLE Sitze im Bundestag bestimmen würden und Partei A alle kriegen würde und Partei B nichts, obwohl sie von den bundesweiten Stimme fast genauso viele wie Partei A haben.
(Bei Mehrheitswahlrecht gibt es übrigens auch noch verschiedene Varianten, ob man die absolute Mehrheit im Wahlkreis braucht oder die relative Mehrheit reicht... bei der relativen Mehrheit gehen noch mehr Stimmen verloren!).
Weiterer Vorteil der Verhältniswahl ist, dass die Bindung zwischen einem einzelnen Abgeordneten und dem Wahlkreis nicht zu stark wird, weil genug auch über die Listen hineinkommen. Die Gefahr bei einer zu starken Bindung besteht darin, dass sie primär ihren Wahlkreis vertreten und nicht mehr das tun, was (in ihren Augen) zum Wohle des Gesamtvolkes ist. Denn das ist nach unserer Verfassung die Aufgabe der Abgeordneten. Nicht den Willen der Wähler eines Wahlkreises umzusetzen, sondern Entscheidungen zu Treffen, die für das Wohl des Volkes in seiner Gesamtheit die Richtigen sind (Theorie und Praxis.... aber so ist es gedacht).
Das Verhältniswahlrecht wiederrum stärkt die Parteien und schwächt die Abgeordneten, weil die Listenplätze über die Parteien vergeben werden (übrigens in demokratischer Wahl innerhalb der Parteien... so dass das nicht von oben einfach bestimmt wird... wie es manchmal den Anschein hat). Aber allgemein muss der Abgeordnete der nicht auf Parteilinie stimmt sich Sorgen machen nicht mehr aufgestellt zu werden in der nächsten Legislaturperiode.
Das Verhältniswahlrecht ist jedenfalls das, welches dafür sorgt, dass die größte Anzahl der abgebenen Stimmen bei der Anteilsbildung der Parteien berücksichtigt wird und da nicht viel verloren geht... um die Kleinparteilichkeit zu begrenzen und einer Zersplitterung des Bundestags (Stichwort: Weimarer Republik) entgegen zu wirken hat der Gesetzgeber sich für die (durchaus in der Höhe umstrittene) 5 % Hürde entschieden.
Das ist tatsächlich auch der Grund, warum sich der Gesetzgeber für die Verhältniswahl als führendes Verfahren entschieden hat. Er könnte nun die Mehrheitswahl auch komplett weglassen...
Warum tut er das nicht?
Vorteile und Nachteile der Mehrheitswahl:
Wir leben in einem förderalen Staat und wir wollen, dass die Abgeordneten nahbar für das Volk bleiben. Damit sie nahbar bleiben, sollen nicht alle Plätze per Liste vergeben werden, sondern eben auch per Mehrheitswahl vor Ort. Diese soll aber eben nicht die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag beeinflussen, sondern nur eine persönliche Wahl der Personen ermöglichen. Immerhin haben die Leute einer Partei, die per Mehrheitswahlrecht gewählt werden, Vorrang vor den Leuten, die auf der Liste stehen.
Kommt es also dazu, dass eine Partei 70 Mandate per Mehrheitswahl gewinnt und nach Verhältniswahlrecht 70 Mandate haben sollte, dann gehen die auf der Liste leer aus.
Dadurch soll eine Erdung geschaffen werden, so dass die Partei motiviert sind vor Ort mit Leuten in Kontakt zu kommen und eben Leute auch im Bundestag sitzen, die vor Ort persönlich Wahlkampf gemacht haben und mit den Leuten in Kontakt gekommen sind.
Darüber hinaus stärkt das Mehrheitswahlrecht die einzelnen Abgeordneten. Zwar ist es nach den Erfahrungen in Großbritannien und den USA schon auch wichtig die Unterstützung der Partei zu haben, aber es grundsätzlich möglich, dass Abgeordnete die sehr viel Rückhalt im Wahlkreis haben, auch ohne UNterstützung der Partei gewählt würden. Das könnten sie nutzen um den Fraktionszwang aufzuweichen.
Fazit:
Rechtlich geht dein Vorschlag, wenn sich der Gesetzgeber dafür entscheidet... es wäre eine stärkere Betonung der Mehrheitswahl als wir bisher haben, also stärker die Vor-, und Nachteile wie oben genannt.
Die Verhältniswahl muss keine Mehrheit haben. Wir könnten 1:1 wählen wie sie es in Frankreich oder Großbritannien tun. Beide Wahlsysteme wären grundsätzlich auch für den Bundestag möglich.
Ich persönlich bin gegen die Mehrheitswahl. Ich bin auch gegen Fraktionszwang. Ich würde mir wünschen, dass der Geist unserer Verfassung mehr zum Tragen käme und die Abgeordneten sich fragen würden, welche Entscheidung ist die richtige für das Land/das Volk (mit dem Auftrag das dann auch natürlich zu erklären - aber die Entscheidung zu treffen, egal ob sie dafür Beifall kriegen und wiedergewählt werden... oder nicht - sie sollen die Entscheidung treffen, weil sie richtig ist.).
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Re: Wahlrecht BRD
Da hätte ich mal eine Nachfrage:
Im Grundgesetz steht jetzt nur, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt werden. Und das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
Insofern kann ich nachvollziehen, dass rein verfassungsrechtlich erstmal nichts dagegen spricht, unser Wahlsystem anzupassen oder sogar komplett zu ändern. Und das theoretisch sogar per Gesetz mit einfacher Mehrheit im Bundestag.
Ganz konkret wurde unser Wahlrecht aber gerade von der Ampel geändert. Unter anderem wurde die Grundmandatsklausel abgeschafft.
Danach konnte eine Partei, die 3 Direktmandate gewinnt, in den Bundestag einziehen. Das ist genau bei der Linken der Fall gewesen, die bei der letzten Bundestagswahl keine 5 Prozent bekam. Und auch die CSU müsste ohne die Grundmandatsklausel allein in Bayern über 5 Prozent kommen, bundesweit gesehen, da liegt sie nur ganz knapp drüber. Daher fanden sowohl Linke, als auch die CSU, den Wegfall der Grundmandatsklausel natürlich gar nicht gut und haben dagegen geklagt.
Und meines Wissens nach gabs da vor kurzem ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das den beiden Parteien recht gegeben hat. Das Verfassungsgericht hat festgestellt, dass das mit dem Wegfall der Grundmandatsklausel so einfach nicht geht. Bestimmt mit guten Gründen, die dann auch sehr nützlich zur Beantwortung der Frage wären.
Und meine Nachfrage wäre jetzt: wenn nicht mal die Grundmandatsklausel so einfach wegfallen kann, steht das nicht erstmal im Widerspruch zur Aussage, dass man das ganze Wahlsystem per Gesetz ändern könnte?!
Im Grundgesetz steht jetzt nur, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt werden. Und das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
Insofern kann ich nachvollziehen, dass rein verfassungsrechtlich erstmal nichts dagegen spricht, unser Wahlsystem anzupassen oder sogar komplett zu ändern. Und das theoretisch sogar per Gesetz mit einfacher Mehrheit im Bundestag.
Ganz konkret wurde unser Wahlrecht aber gerade von der Ampel geändert. Unter anderem wurde die Grundmandatsklausel abgeschafft.
Danach konnte eine Partei, die 3 Direktmandate gewinnt, in den Bundestag einziehen. Das ist genau bei der Linken der Fall gewesen, die bei der letzten Bundestagswahl keine 5 Prozent bekam. Und auch die CSU müsste ohne die Grundmandatsklausel allein in Bayern über 5 Prozent kommen, bundesweit gesehen, da liegt sie nur ganz knapp drüber. Daher fanden sowohl Linke, als auch die CSU, den Wegfall der Grundmandatsklausel natürlich gar nicht gut und haben dagegen geklagt.
Und meines Wissens nach gabs da vor kurzem ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das den beiden Parteien recht gegeben hat. Das Verfassungsgericht hat festgestellt, dass das mit dem Wegfall der Grundmandatsklausel so einfach nicht geht. Bestimmt mit guten Gründen, die dann auch sehr nützlich zur Beantwortung der Frage wären.
Und meine Nachfrage wäre jetzt: wenn nicht mal die Grundmandatsklausel so einfach wegfallen kann, steht das nicht erstmal im Widerspruch zur Aussage, dass man das ganze Wahlsystem per Gesetz ändern könnte?!
Möge der US-Präsident jede Nacht gut schlafen, jedes Golf-Turnier gewinnen, so dass er seine schlechte Laune nicht an der Welt auslässt.
- Rebecca
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Re: Wahlrecht BRD
Zum einen hat das Bundesverfassungsgericht noch nicht zur neusten Wahlrechtsreform entschieden. Linke und CSU haben geklagt, aber die Entscheidung steht noch aus.
Problematischer sehe ich es auch hier bei Einzelkandidaten die antreten und KEINER Partei angehören. Die sollen nämlich ihr Direktmandat bekommen... ohne Ausgleichsmandate für die anderen Parteien... (was auch schwierig ist, weil die Einzelkandidaten in dem Sonderfall ja eben keiner Partei angehören..).
Die sogenannte Grundmandatsklausel hat die 5 % Hürde aufgeweicht. Die Frage ist, ob die 5%-Hürde ohne Grundmandatsklausel noch verfassungsgemäß ist oder ob man sie dann nicht auf eine 4% Hürde absenken müsste. Es könnte sein, dass das nicht ausreichend berücksichtigt wurde.
Und die Grundmandatsklausel kann selbst problemlos wegfallen. Die wirkt ja eben auch nur zusammen mit der 5%-Klausel. Letztere ist was durchaus kritisch ist (weil eben alle die weniger haben komplett unter dem Tisch fallen - das ist eine Verletzung der Stimmgleichheit. Sie ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt um die Funktionsfähigkeit des Bundestags zu erhalten (und Zersplitterung a la Weimarer Republik zu verhindern) - aber eben nur, soweit sie den Zweck erfüllt und sichergestellt ist, dass keine unangemessene Benachteiligung für kleine Parteien entsteht.
D.h. das Recht der kleinen Parteien ist abzuwägen mit der Funktionsfähigkeit des deutschen Bundestages. Zwischen den Rechten ist ein Ausgleich zu finden. Das war bislang die 5 % Klausel die gemildert wurde durch die Grundmandatsklausel (letztere ist eigentlich die rechtlich viel fragwürdigere Regelung... - warum soll eine Partei die 2 % der Stimmen bekommt aber 3 Direktmandate mit den vollen 2 % (was so ca. 12 Sitze wären) einziehen, während eine Partei, die 2 Direktmandate gewinnt und 4,9 % der Stimmen nur die 2 Sitze der Direktmandate bekommt? - Bei der Grundmandatsklausel überwiegt deutlich die Wertung zum Mehrheitswahlrecht - was eigentlich systemwidrig ist, da wir grundsätzlich primär ein Verhältniswahlrecht haben)).
Die Lösung wäre wohl recht einfach gewesen: keine Grundmandatsklausel und dafür eine Sperrgrenze von 3,5% - das sollte der Zersplitterung noch gut genug entgegenwirken, ist aber nicht so hart wie die 5% Klausel. Man hat sich dagegen entschieden.
Also die Abschaffung der Grundmandatsklausel ist nicht verboten (eher sogar geboten... <hüstel>), aber eben muss man dann auch strenger die 5% Hürde im Verhältniswahlrecht unter die Lupe nehmen.
Hier ein Artikel auf LTO, der das gut darstellt, was der Streitstand ist: https://www.lto.de/recht/hintergruende/ ... form-2023/
Mündliche Verhandlung war. Entscheidung steht aus. Und unklar ist, ob die Entscheidung dann ist:
a) Neues Wahlrecht gilt unter folgenden Einschränkungen bis neues beschlossen ist
b) Neues Wahlrecht gilt gar nicht sondern das alte Wahlrecht (mit dem Blähbundestag)
c) Neues Wahlrecht gilt voll, aber in der nächsten Legislaturperiode muss es korrigiert werden (Fristenregelung)
Ich halte, wenn sie es beanstanden Variante c für am Unwahrscheinlichsten... also a oder b.
Ich habe über das Wahlrecht (und die 5%-Klausel, sowie die Grundmandatsklausel meine Examenshausarbeit geschrieben
).
Spannend, das selbst von den Reihen der Verfassungsrichter vorgeschlagen wurde, dass man ja alternativ auch auf eine Wahlkreiswahl komplett verzichten könnte um den Bundestag zu verkleinern und Überhangmandate zu vermeiden.
P.S.: Auch das Bundesverfassungsgericht ändert mal seine Rechtsauffassung. Recht ist nicht in Stein gemeißelt... sondern eben der Interpretation und gesellschaftlichen Entwicklung offen (bis zu einem gewissen Grad).
Wenn das Bundesverfassungsgericht seine Meinung ändert, fängt es (wie immer) in der Begründung an: "Wie das Bundesverfassungsgericht schon immer auch in vergangenen Entscheidungen entschieden hat ... [und dann kommt etwas, was noch nie in vergangenen Entscheidungen stand....].
Problematischer sehe ich es auch hier bei Einzelkandidaten die antreten und KEINER Partei angehören. Die sollen nämlich ihr Direktmandat bekommen... ohne Ausgleichsmandate für die anderen Parteien... (was auch schwierig ist, weil die Einzelkandidaten in dem Sonderfall ja eben keiner Partei angehören..).
Die sogenannte Grundmandatsklausel hat die 5 % Hürde aufgeweicht. Die Frage ist, ob die 5%-Hürde ohne Grundmandatsklausel noch verfassungsgemäß ist oder ob man sie dann nicht auf eine 4% Hürde absenken müsste. Es könnte sein, dass das nicht ausreichend berücksichtigt wurde.
Und die Grundmandatsklausel kann selbst problemlos wegfallen. Die wirkt ja eben auch nur zusammen mit der 5%-Klausel. Letztere ist was durchaus kritisch ist (weil eben alle die weniger haben komplett unter dem Tisch fallen - das ist eine Verletzung der Stimmgleichheit. Sie ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt um die Funktionsfähigkeit des Bundestags zu erhalten (und Zersplitterung a la Weimarer Republik zu verhindern) - aber eben nur, soweit sie den Zweck erfüllt und sichergestellt ist, dass keine unangemessene Benachteiligung für kleine Parteien entsteht.
D.h. das Recht der kleinen Parteien ist abzuwägen mit der Funktionsfähigkeit des deutschen Bundestages. Zwischen den Rechten ist ein Ausgleich zu finden. Das war bislang die 5 % Klausel die gemildert wurde durch die Grundmandatsklausel (letztere ist eigentlich die rechtlich viel fragwürdigere Regelung... - warum soll eine Partei die 2 % der Stimmen bekommt aber 3 Direktmandate mit den vollen 2 % (was so ca. 12 Sitze wären) einziehen, während eine Partei, die 2 Direktmandate gewinnt und 4,9 % der Stimmen nur die 2 Sitze der Direktmandate bekommt? - Bei der Grundmandatsklausel überwiegt deutlich die Wertung zum Mehrheitswahlrecht - was eigentlich systemwidrig ist, da wir grundsätzlich primär ein Verhältniswahlrecht haben)).
Die Lösung wäre wohl recht einfach gewesen: keine Grundmandatsklausel und dafür eine Sperrgrenze von 3,5% - das sollte der Zersplitterung noch gut genug entgegenwirken, ist aber nicht so hart wie die 5% Klausel. Man hat sich dagegen entschieden.
Also die Abschaffung der Grundmandatsklausel ist nicht verboten (eher sogar geboten... <hüstel>), aber eben muss man dann auch strenger die 5% Hürde im Verhältniswahlrecht unter die Lupe nehmen.
Hier ein Artikel auf LTO, der das gut darstellt, was der Streitstand ist: https://www.lto.de/recht/hintergruende/ ... form-2023/
Mündliche Verhandlung war. Entscheidung steht aus. Und unklar ist, ob die Entscheidung dann ist:
a) Neues Wahlrecht gilt unter folgenden Einschränkungen bis neues beschlossen ist
b) Neues Wahlrecht gilt gar nicht sondern das alte Wahlrecht (mit dem Blähbundestag)
c) Neues Wahlrecht gilt voll, aber in der nächsten Legislaturperiode muss es korrigiert werden (Fristenregelung)
Ich halte, wenn sie es beanstanden Variante c für am Unwahrscheinlichsten... also a oder b.
Ich habe über das Wahlrecht (und die 5%-Klausel, sowie die Grundmandatsklausel meine Examenshausarbeit geschrieben

Spannend, das selbst von den Reihen der Verfassungsrichter vorgeschlagen wurde, dass man ja alternativ auch auf eine Wahlkreiswahl komplett verzichten könnte um den Bundestag zu verkleinern und Überhangmandate zu vermeiden.
P.S.: Auch das Bundesverfassungsgericht ändert mal seine Rechtsauffassung. Recht ist nicht in Stein gemeißelt... sondern eben der Interpretation und gesellschaftlichen Entwicklung offen (bis zu einem gewissen Grad).
Wenn das Bundesverfassungsgericht seine Meinung ändert, fängt es (wie immer) in der Begründung an: "Wie das Bundesverfassungsgericht schon immer auch in vergangenen Entscheidungen entschieden hat ... [und dann kommt etwas, was noch nie in vergangenen Entscheidungen stand....].
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- Eisrose
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Re: Wahlrecht BRD
Ja, nur steht jetzt auch im LTO-Artikel, dass das BVerfG das reformierte Bundestags-Wahlrecht vermutlich beanstanden wird. Und egal, ob nun wegen Grundmandatsklausel, 5 Prozenthürde oder weil die schlechtesten Wahlkreissieger leer ausgehen...
Meine Frage ist: wenn nicht mal so einfache Dinge geändert werden können, wie könnte dann unser ganzes Wahlsystem zum Beispiel in ein Mehrheitswahlsystem geändert werden? Offenbar wäre das jedenfalls nicht so einfach.
Meine Frage ist: wenn nicht mal so einfache Dinge geändert werden können, wie könnte dann unser ganzes Wahlsystem zum Beispiel in ein Mehrheitswahlsystem geändert werden? Offenbar wäre das jedenfalls nicht so einfach.
Das ist jetzt zwar (noch?) nicht die Meinung des BVerfG, sondern "nur" die eines Rechtsprofessor, aber der vertritt offenbar die Meinung, dass ein Systemwechsel die "Chancengleichheit" der Parteien garantieren müsste. Nur in einem Mehrheitswahlsystem haben kleine Parteien nicht die gleichen Chancen wie grosse Parteien. Danach könnte dann unser Wahlsystem eben doch nicht so einfach in ein Mehrheitswahlsystem geändert werden. Jedenfalls nicht nach Meinung dieses Professors...Rechtsprofessor Heinrich Lang von der Uni Greifswald, der mit dem Heidelberger Rechtsprofessor Bernd Grzeszick die CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten vertrat, stellte ein Prüfungsmodell für Wahlrechtsänderungen vor. Modifikationen eines bestehenden Wahlsystems seien an Art. 38 Grundgesetz (GG) zu messen, es genüge ein sachlicher Grund. Dagegen gelte bei einem wahlrechtlichen Systemwechsel Art. 21 GG, der die Chancengleichheit der Parteien garantiert. Danach wäre jede evidente Benachteiligung einer Partei verboten. Lang sieht im neuen Wahlrecht einen Systemwechsel, weil Wahlkreisgewinner:innen nun nicht mehr sicher ein Mandat erhalten können.
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Re: Wahlrecht BRD
Es kann doch geändert werden... es muss nur verfassungskonform geschehen. Das Bundesverfassungsgericht hat schon vor Jahrzehnten gesagt, dass die 5%-Hürde (und die Grundmandatsklausel) regelmäßig überprüft werden müssen...
Das Bundesverfassungsgericht hat es in der Vergangenheit schon mal anders gesehen... der Gesetzgeber hat eine Einschätzungsprärogative und im Mehrheitswahlrecht gilt grundsätzlich schon die Chancengleichheit der Parteien.
Die Chancengleichheit ist nämlich auch am Maßstab des gewählten Wahlrechts (Verhältnis-, oder Mehrheitswahlrecht) zu bewerten. Und wir sehen ja, dass auch kleine Parteien Wahlkreise gewinnen können - schon jetzt.
Und nein... EINFACH sind Wahlrechtsänderungen nie. Aber sie sind vergleichsweise einfach, weil es eben mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag geht (man braucht nicht mal den Bundesrat!) - weil eben die Art unseres Wahlsystems NICHT in die Verfassung geschrieben wurde.
Wenn dich Details interessieren: Ist noch zum "alten" Wahlrecht aber da steht die Problematik mit den Klauseln erklärt - und hat mich an den korrekten Begriff erinnert für unser Wahlsystem aktuell: "Personalisierte Verhältniswahl": https://www.uni-potsdam.de/de/rechtskun ... rt-20-38-i
Und hier in kurz: Ausführungen des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags dazu aus dem Jahre 2008 (PDF): https://www.bundestag.de/resource/blob/ ... Lo1qA4o4nw
Jedes Wahlrecht hat Vorzüge/Nachteile für große und kleine Parteien. Es geht nicht darum sie nicht zu benachteiligen, sondern nicht "unangemessen" zu benachteiligen.
Und ob ein solcher Systemwechsel solchen Einschränkungen unterliegt, wie der Professor sie vertritt... nun ja. Das ist eine Mindermeinung.
Aber es gibt nicht umsonst unter Juristen den Witz (der leider durchaus sehr wahr ist): 3 Juristen - 5 Meinungen.
Es gibt einen Grund, warum wir Gerichte brauchen die Dinge im Zweifel zu entscheiden. Es folgt zwar festen Regeln... aber innerhalb derer sind unbestimmte Rechtsbegriffe die ausgelegt werden müssen im Einzelfall und im Lichte der Zeit/Gesellschaft.
Auch das folgt wieder konkreten und festen Regeln - aber es ist eben keine Mathematik.
Und nur weil ein Professor was sagt.... - da ist es schon interessanter wenn ein höchstes Gericht etwas sagt... und selbst die streiten sich durchaus mal untereinander.
(Berühmter Streit BVerfG mit BGH (in Strafsachen) - Sitzblockaden auf der Straße. BGH sagt: "Nötigung!" - BVerfG sagt: "Wo ist da Nötigung... die Castortransporte könnten doch weiterfahren. Die Menschen stellen kein Hindernis dar, das die LKWs ernsthaft aufhält. Also keine Strafbarkeit erkennbar!" -- Geht an BGH zurück. Der ist unzufrieden und findet dann aber heraus: "Richtig... Nötigung ist nicht hinsichtlich des ersten LKWs... der könnte weiterfahren. Aber wenn er es nicht tut... weil er psychisch unter Druck gesetzt wird (Menschen nicht überfahren) ... dann stellt sein LKW für die LKWs dahinter ein echtes physisches Hindernis dar... also doch strafbar...." - und meines Wissens war es seitdem nicht wieder beim Bundesverfassungsgericht (die urteilen auch nur über Sachen, die letztlich auch dort landen. Anders als der Supreme Court ist unser Bundesverfassungsgericht keine Superrevisioninstanz sondern prüft nur Verfassungsrecht).
Das Bundesverfassungsgericht hat es in der Vergangenheit schon mal anders gesehen... der Gesetzgeber hat eine Einschätzungsprärogative und im Mehrheitswahlrecht gilt grundsätzlich schon die Chancengleichheit der Parteien.
Die Chancengleichheit ist nämlich auch am Maßstab des gewählten Wahlrechts (Verhältnis-, oder Mehrheitswahlrecht) zu bewerten. Und wir sehen ja, dass auch kleine Parteien Wahlkreise gewinnen können - schon jetzt.
Und nein... EINFACH sind Wahlrechtsänderungen nie. Aber sie sind vergleichsweise einfach, weil es eben mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag geht (man braucht nicht mal den Bundesrat!) - weil eben die Art unseres Wahlsystems NICHT in die Verfassung geschrieben wurde.
Wenn dich Details interessieren: Ist noch zum "alten" Wahlrecht aber da steht die Problematik mit den Klauseln erklärt - und hat mich an den korrekten Begriff erinnert für unser Wahlsystem aktuell: "Personalisierte Verhältniswahl": https://www.uni-potsdam.de/de/rechtskun ... rt-20-38-i
Und hier in kurz: Ausführungen des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags dazu aus dem Jahre 2008 (PDF): https://www.bundestag.de/resource/blob/ ... Lo1qA4o4nw
Jedes Wahlrecht hat Vorzüge/Nachteile für große und kleine Parteien. Es geht nicht darum sie nicht zu benachteiligen, sondern nicht "unangemessen" zu benachteiligen.
Und ob ein solcher Systemwechsel solchen Einschränkungen unterliegt, wie der Professor sie vertritt... nun ja. Das ist eine Mindermeinung.

Aber es gibt nicht umsonst unter Juristen den Witz (der leider durchaus sehr wahr ist): 3 Juristen - 5 Meinungen.
Es gibt einen Grund, warum wir Gerichte brauchen die Dinge im Zweifel zu entscheiden. Es folgt zwar festen Regeln... aber innerhalb derer sind unbestimmte Rechtsbegriffe die ausgelegt werden müssen im Einzelfall und im Lichte der Zeit/Gesellschaft.
Auch das folgt wieder konkreten und festen Regeln - aber es ist eben keine Mathematik.

Und nur weil ein Professor was sagt.... - da ist es schon interessanter wenn ein höchstes Gericht etwas sagt... und selbst die streiten sich durchaus mal untereinander.
(Berühmter Streit BVerfG mit BGH (in Strafsachen) - Sitzblockaden auf der Straße. BGH sagt: "Nötigung!" - BVerfG sagt: "Wo ist da Nötigung... die Castortransporte könnten doch weiterfahren. Die Menschen stellen kein Hindernis dar, das die LKWs ernsthaft aufhält. Also keine Strafbarkeit erkennbar!" -- Geht an BGH zurück. Der ist unzufrieden und findet dann aber heraus: "Richtig... Nötigung ist nicht hinsichtlich des ersten LKWs... der könnte weiterfahren. Aber wenn er es nicht tut... weil er psychisch unter Druck gesetzt wird (Menschen nicht überfahren) ... dann stellt sein LKW für die LKWs dahinter ein echtes physisches Hindernis dar... also doch strafbar...." - und meines Wissens war es seitdem nicht wieder beim Bundesverfassungsgericht (die urteilen auch nur über Sachen, die letztlich auch dort landen. Anders als der Supreme Court ist unser Bundesverfassungsgericht keine Superrevisioninstanz sondern prüft nur Verfassungsrecht).
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Re: Wahlrecht BRD
Man könnte auch größere Wahlkreise bilden und dort mehrere Kandidaten nach Mehrheitswahlrecht bestimmen. Bei ca. 60 Millionen Wahlberechtigten und 600 zu wählenden Abgeordneten würden z.B. 120 Groß-Wahlkreise (also jeweils ca. 500.000 Wahlberechtigte) mit je 5 Abgeordnete hinkommen.
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Re: Wahlrecht BRD
Hallo Zusammen,
erst einmal vielen Dank für Eure Antworten zu meinem Post.
Mit Eurer Expertise zu dem Thema, kann ich natürlich in keinster Weise mithalten, ja, mache Abschnitte Eurer Posts musste ich doch mehrmals lesen, bis ich bemerkte, dass mir nur erklärt wurde, was Mehrheitswahlrecht und Verhältniswahlrecht so sind und welche grundsätzlichen Vor- und Nachteile da so herrschen. – Die waren mir eigentlich schon bekannt. –
Meine Frage bezog sich auf unser Wahlsystem, das ja wegen der Nachteile der einzelnen Systeme eine Mischung aus beiden ist, wobei die Vorteile derselben maximiert und die Nachteile nach Möglichkeit minimiert werden sollen. Das finde ich persönlich ja gut und richtig.
Der Verhältniswahl-Teil (wie es man auch formulieren will) hat durch die Priorisierung der Zweitstimme einen leichten Vorteil gegenüber der Mehrheitswahl in den Wahlbezirken,
was dazu führt, dass der Bundestag entweder durch Überhangs- und Ausgleichmandate aufgebläht wird oder nach dem neuen Wahlrecht, einzelne direkt gewählte Kandidaten, keinen Sitz im Bundestag bekommen. Ich bin nun wirklich kein CSU-Fan, aber gerecht finde ich das nicht.
Das brachte mich zur Frage, welch konkreten Nachteile, für wen, es gäbe, wenn man den Verhältniswahlanteil auf 50% reduziert und nur die gleiche Menge der vorhandenen Wahlkreise damit vergeben würde. Dadurch hätte man eine feste Größe des Plenums und niemand direkt gewähltes, müsste auf seinen Platz verzichten. Es müssen ja gute Gründe sein, warum man sich den Ärger entweder mit einem aufgeblähten Bundestag oder mit Klagen von sich benachteiligt fühlenden Parteien, antut. Das war eigentlich meine Frage.
Aber Ihr habt mir nicht, wie andere mit Dr.-Titel, eine Antwort gegeben, die darauf hinausläuft, dass wenn ich mir die Antwort nicht selbst geben könne, ich eh zu blöd wäre.
Dafür Danke!
erst einmal vielen Dank für Eure Antworten zu meinem Post.
Mit Eurer Expertise zu dem Thema, kann ich natürlich in keinster Weise mithalten, ja, mache Abschnitte Eurer Posts musste ich doch mehrmals lesen, bis ich bemerkte, dass mir nur erklärt wurde, was Mehrheitswahlrecht und Verhältniswahlrecht so sind und welche grundsätzlichen Vor- und Nachteile da so herrschen. – Die waren mir eigentlich schon bekannt. –
Meine Frage bezog sich auf unser Wahlsystem, das ja wegen der Nachteile der einzelnen Systeme eine Mischung aus beiden ist, wobei die Vorteile derselben maximiert und die Nachteile nach Möglichkeit minimiert werden sollen. Das finde ich persönlich ja gut und richtig.
Der Verhältniswahl-Teil (wie es man auch formulieren will) hat durch die Priorisierung der Zweitstimme einen leichten Vorteil gegenüber der Mehrheitswahl in den Wahlbezirken,
was dazu führt, dass der Bundestag entweder durch Überhangs- und Ausgleichmandate aufgebläht wird oder nach dem neuen Wahlrecht, einzelne direkt gewählte Kandidaten, keinen Sitz im Bundestag bekommen. Ich bin nun wirklich kein CSU-Fan, aber gerecht finde ich das nicht.
Das brachte mich zur Frage, welch konkreten Nachteile, für wen, es gäbe, wenn man den Verhältniswahlanteil auf 50% reduziert und nur die gleiche Menge der vorhandenen Wahlkreise damit vergeben würde. Dadurch hätte man eine feste Größe des Plenums und niemand direkt gewähltes, müsste auf seinen Platz verzichten. Es müssen ja gute Gründe sein, warum man sich den Ärger entweder mit einem aufgeblähten Bundestag oder mit Klagen von sich benachteiligt fühlenden Parteien, antut. Das war eigentlich meine Frage.
Aber Ihr habt mir nicht, wie andere mit Dr.-Titel, eine Antwort gegeben, die darauf hinausläuft, dass wenn ich mir die Antwort nicht selbst geben könne, ich eh zu blöd wäre.
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Re: Wahlrecht BRD
Es ist m. E. ein gezielter Versuch, mittels Wahlrechtsmanipulation, die CSU und Die LINKE zu vernichten und den Ampelparteien künftig Mehrheiten wahrscheinlicher zu machen. Die "Verkleinerung" ist nur vorgeschoben.
Wobei Wagenknecht DIE LINKE wohl im Alleingang erledigt.
Persönlich denke ich, das Verfassungsgericht lässt das so nicht durchgehen - und speziell in der SPD zittern ca. 40% der Abgeordneten vor den nächsten Wahlen.
So rechne ich damit, daß da keiner dann was macht und das alte Wahlrecht erst mal greift.
Konkrete Nachteile hätten die möglichen Listenkandidaten, ich nenn sie gern "Hinterzimmerkandidaten", die mangels Kompetenz o. persönlicher Ausstrahlung, nie die Chance hätten direkt gewählt zu werden.
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Re: Wahlrecht BRD
Dem möchte ich widersprechen ...die Linke hat durchaus genauso viel Chancen wie die FDP - da wird nichts vernichtet. Wie ich bereits ausführte, müsste meines Erachtens bei Wegfall der Grundmandatsklausel eben due 5%-Hürde (die ja eine Einschränkung der Verhältniswahl ist) senken. Wenn die dann bei 3,5 % liegen würde, könnten Linke, FDP (und z.B. auch freie Wähler) das deutlich entspannter sehen. Auch die CSU müsste sich dann keine Sorgen mehr machen im Bundestag vertreten zu sein.
Der Grund, warum sie die 5-% Hürde nicht angefasst haben, ist meines Erachtens diese Paranoia vor den Weimarer Verhältnissen... tätsächlich hätten wir wohl jetzt bei einer 3,5 % Hürde keinerlei Veränderung zum jetzigen Verhältnis im Bundestag (dann wäre die Linke mit 4,9% nämlich auch so problemlos reingekommen).
Die Sachen mit der CSU/CDU (Union) ist eine Sache, die ich (rein rechtlich betrachtet!) schon seit geraumer Zeit kritisch sehe. Jahrzehntelang haben sie sich nämlich dadurch immer Überhangmandate geholt und sogar mehr als einmal nur damit eine Mehrheit gesichert. Das eine Partei nur in einem Bundesland antritt und dort dann auch Wahlkreise gewinnt, ist ein absoluter Ausnahmecharakter in der Bundesrepublik, der eigentlich dauernd zu rechtlichen Problemen führt.
Es wäre komplett unproblematisch, wenn die CSU und die CDU eine gemeinsame Liste für den Bundestag hätten... DAS wiederrum geht (wenn ich micht recht entsinne) nicht, weil es eben zwei verschiedene Parteien sind... und man nicht einfach die Listen der CDU aus den anderen Bundesländern mit der Liste der CSU mischen kann... (das ist ein sehr kompliziertes Verfahren... wie die Plätze nach Listen verteilt werden ... da es alles Landeslisten sind...).
Ich glaube, dass sie keine Rücksicht auf die CSU nehmen... - aber ich glaube nicht, dass es zielgerichtet nur deswegen gemacht wurde.
Es gab ja durchaus Kompromissangebote, die die CSU/CDU alle rigeros abgelehnt haben - z.B. eben eine Regelung zu schaffen, dass die CSU quasi in die Listengemeinschaft mit der CDU kommen könnte - aber das wollte die CSU nicht...
Ich habe halt umgekehrt den Eindruck, dass die Union bewusst die Überhangmandate zurück haben will, weil gerade jetzt wo die großen Parteien allgemein weniger haben und so ganz häufig Überhangmandate entstehen.
Ein anderer Vorschlag war ja auch die Zahl der Wahlkreise weiter zu reduzieren, um dafür zu sorgen, dass es gar nicht zu der Problematik kommt... wollte die Union auch nicht.
Die Union ist die stärkste Fraktionsgemeinschaft, die wir haben. Jede Regelung, die das Mehrheitswahlrecht betont stärkt die Union. Jede Regelung die das Verhältniswahlrecht betont stärkt die kleinen Parteien - wie gesagt: die 5 % Hürde ist eine EINSCHRÄNKUNG des Verhältniswahlrechts und meines Erachtens ohne eine mildernde Klausel, wie die Grundmandatsklausel verfassungswidrig.
Aber das ist letztlich wirklich eine Rechtsauffassung, die man in die eine oder andere Richtung entscheiden kann. Um so gespannter bin ich, was das Bundesverfassungsgericht entscheiden wird.
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Re: Wahlrecht BRD
Nun ja, aktuell steht die Linke in Umfragen bei 3 Prozent. Es ist aber noch immer sehr wahrscheinlich, dass die Linke 3 Direktmandate bekommt. Also auch eine 3,5-Prozenthürde schafft das Problem nicht aus der Welt. Zumindest für die Linke nicht.
Das würde ich nicht so sehen, denn die Zusammensetzung des Bundestags wird vollständig anhand der Zweitstimmen berechnet. Durch Überhangmandate werden keine Mehrheiten verschoben, da es Ausgleichsmandate gibt. Wenn eine Partei, wie die CSU, viele Überhangmandate holt, erhalten die anderen Parteien so lange Ausgleichsmandate, bis das Zweitstimmenverhältnis der Parteien hergestellt ist.Rebecca hat geschrieben: ↑12.07.2024, 18:42 Die Sachen mit der CSU/CDU (Union) ist eine Sache, die ich (rein rechtlich betrachtet!) schon seit geraumer Zeit kritisch sehe. Jahrzehntelang haben sie sich nämlich dadurch immer Überhangmandate geholt und sogar mehr als einmal nur damit eine Mehrheit gesichert.
Wobei ich das grösste Problem darin sehe, dass in einer unionsgeführten Bundesregierung die CSU immer überproportional viele Minister bekommt. Wäre die Union nur eine Partei, würde maximal ein Bundesminister aus Bayern kommen. Die CDU in NRW bekommt regelmässig etwas mehr Stimmen als die CSU in Bayern. Und doch stellt die NRW-CDU maximal einen Minister, die bayrische CSU dagegen 3 bis 4 Minister. Da CSU-Minister sich dann auch noch zusätzlich gerne als bayrische Minister sehen, wirkt nochmals sehr unangenehm auf mich. Bei den Staatssekretären ists übrigens das gleiche.
Das allerdings denke ich auch nicht. Man wollte den Bundestag verkleinern, nicht bestimmten Parteien schaden. Das man dabei vielleicht etwas rücksichtslos vorging, steht dem nicht entgegen.
Möge der US-Präsident jede Nacht gut schlafen, jedes Golf-Turnier gewinnen, so dass er seine schlechte Laune nicht an der Welt auslässt.
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Re: Wahlrecht BRD
Historie:Eisrose hat geschrieben: ↑12.07.2024, 19:13 Das würde ich nicht so sehen, denn die Zusammensetzung des Bundestags wird vollständig anhand der Zweitstimmen berechnet. Durch Überhangmandate werden keine Mehrheiten verschoben, da es Ausgleichsmandate gibt. Wenn eine Partei, wie die CSU, viele Überhangmandate holt, erhalten die anderen Parteien so lange Ausgleichsmandate, bis das Zweitstimmenverhältnis der Parteien wiederhergestellt ist.
Ursprünglich wurde nicht ausgeglichen, dann wurde ausgeglichen mit maximal 10 Mandaten oder so, und alles was darüber war konnte zur Verschiebung von Mehrheitsverhältnissen führen bei knappen Ausgängen. Und das hatten wir auch schon.
Das Bundesverfassungsgericht hat diese Regelung als verfassungswidrig kassiert, weil durch diese Ausgleichsmandate eben das Verhältniswahlrechtsergebnis (was bei der personalisierten Verhältniswahl an erster Stelle steht) verletzt. Insbesondere konnte es zum Ergebnis kommen, dass es günstig sein kann, einer Partei die Zweitstimme (Verhältniswahl) nicht zu geben, um ein Überhangmandat zu generieren, was dann die Mehrheitsverhältnisse beeinflusst - bzw. umgekehrt, wenn ich meine Stimme gebe, verhindere ich einen zusätzlichen Sitz für die Partei (da die Überhangmandate nach Bundesländern berechnet werden und eine Verrechnung nur bedingt möglich ist - auch hier war die CSU schon immer im Vorteil, weil da eine Verrechnung NIE möglich war. (Förderalismus.... yey

Nachdem das Urteil da war, kam das Wahlrecht, was wir bis zuletzt hatten nämlich der vollkommene Ausgleich der Überhangmandate. Das führte zu dem Blähbundestag (zweitgrößte Volksvertretung in der Welt... allein bei den Chinesen ist es größer... selbst die Inder mit ihren 1 Millarden Einwohner haben weniger Sitze im Parlament... auch die USA mit 333 Millionen Einwohnern (Stand 2022) haben weniger.
Das kostet den Steuerzahler nicht nur Geld, das erschwert auch tatsächlich die Arbeit der Abgeordneten. Denn die sollen ja schon frei entscheiden und nicht nur Stimmvieh für die Parteien sein. Es ist sogar so, dass um so mehr Abgeordnete da sind, um so mächtiger wird die Partei und um so weniger kann der einzelne Abgeordnete bewirken.
Das Problem hat der Gesetzgeber gesehen und darin waren sich tatsächlich ALLE Parteien einig (auch CDU und CSU, und Linke) es müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die Zahl der Abgeordneten zu senken.
Die CDU, CSU wollte wieder Überhangmandate mit anderen Grenzenwerten einführen, die dann hoffentlich(!) nicht zu einer Verschiebung der Mehrheit führen... gaben aber selbst zu, dass das mit der Zersplitterung der Parteien schwierig ist, deswegen wollten sie auch gleich mal die Prozenthürde um 1 erhöhen (da hat aber schon die FDP nicht mehr mitgemacht).
Die Linke wollte eine Senkung der Prozenthürde haben und eine Beibehaltung der Grundmandatsklausel (wie gesagt, die halte ich für notwendig solange wir eine 5% Hürde haben).
Aber alle konnten sich nicht einigen. Der Vorschlag der Ampelparteien jetzt ist insofern gar nicht so schlecht, weil hier eine typische Kleinpartei (FDP) und eine die mal eine war (Grüne) mitbestimmt haben, und insofern die Rechte der kleinen Parteien auch nicht ganz untergegangen sind.
Dass die Linke jetzt bei 3 % liegt ist auch BSW geschuldet. Zu dem Zeitpunkt als das beschlossen wurde, war das alles nicht absehbar. Und ja, ich bin der Meinung, dass irgendwo eine Grenze sein sollte - unabhängig ob man 3 Direktmandate hat oder nicht. Man soll ja immer noch das Volk vertreten und NICHT UND NIEMALS den Wahlkreis (zumindest nicht mehr als alle anderen Wahlkreise auch). Regionale Partikularinteressen sollen vermieden werden. Dafür ist nämlich eigentlich unsere zweite Kammer, der Bundesrat zuständig. Aber ja... Theorie und Praxis.
Die personalisierte Verhältniswahl wie wir sie hatten mit Überhangmandaten ist verfassungswidrig. Der immer größer werdende Bundestag wohl auch.
Es gab tatsächlich auch den Vorschlag (ich weiß nicht von wem), den Bundestag einfach drastisch zu verkleinern (in der Basiskonfiguration) und dann halt wieder auszugleichen. Dafür müsste man dann natürlich auch die Zahl der Wahlkreise mit Direktmandaten entsprechend reduzieren.
Da lief die CSU wieder Sturm gegen...
Eine Lösung, die verfassungskonform ist und niemanden einschränkt, gibt es derzeit nicht. Die Frage ist, wo man den besten Ausgleich findet und verfassungskonform bleibt.
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Re: Wahlrecht BRD
Du betrachtest es rein rechtlich. Ich politisch, demokratisch, föderal und Rücksicht auf gewachsene Traditionen nehmend. Eine rein juristische Betrachtung empfinde ich als unzulässige Verengung.Rebecca hat geschrieben:.......Die Sachen mit der CSU/CDU (Union) ist eine Sache, die ich (rein rechtlich betrachtet!) schon seit geraumer Zeit kritisch sehe. Jahrzehntelang haben sie sich nämlich dadurch immer Überhangmandate geholt und sogar mehr als einmal nur damit eine Mehrheit gesichert. Das eine Partei nur in einem Bundesland antritt und dort dann auch Wahlkreise gewinnt, ist ein absoluter Ausnahmecharakter in der Bundesrepublik, der eigentlich dauernd zu rechtlichen Problemen führt. ...............
Habe es z. B. immer abgelehnt z. B. die Freie und Hansestadt Hamburg ihrer Staatlichkeit zu entkleiden.
Wass ja schon andiskutiert wurde (Nordstaat).
Rein rechtlich betrachtet, um deine Perspektive einzunehmen, ist die Bundesrepublik, wie es der Name sagt, föderal organisiert.
Möchte auch dran erinnern - die Länder haben die Bundesrepublik begründet. Nicht umgekehrt.
Der preußische Zentralstaat wurde aus guten Gründen aufgelöst.
In deiner Idee, die CSU in die Schwesterpartei zu zwingen, schwingt dieses zentralistische Denken nach.
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Re: Wahlrecht BRD
Dem möchte ich widersprechen, ich betrachte es auch politisch, demokratisch und förderal. Und schon, wenn ich es politisch und rechtlich betrachte, wird dabei Rücksicht auf gewachsene Traditionen genommen.Fab hat geschrieben: ↑12.07.2024, 21:17Du betrachtest es rein rechtlich. Ich politisch, demokratisch, föderal und Rücksicht auf gewachsene Traditionen nehmend. Eine rein juristische Betrachtung empfinde ich als unzulässige Verengung.Rebecca hat geschrieben:.......Die Sachen mit der CSU/CDU (Union) ist eine Sache, die ich (rein rechtlich betrachtet!) schon seit geraumer Zeit kritisch sehe. Jahrzehntelang haben sie sich nämlich dadurch immer Überhangmandate geholt und sogar mehr als einmal nur damit eine Mehrheit gesichert. Das eine Partei nur in einem Bundesland antritt und dort dann auch Wahlkreise gewinnt, ist ein absoluter Ausnahmecharakter in der Bundesrepublik, der eigentlich dauernd zu rechtlichen Problemen führt. ...............
Diese Traditionen sind aber kein Grundgesetz, das für die Ewigkeit gemacht ist. Tradition trumpft nicht Gesetz oder demokratische Entscheidungen. Es muss in einem angemessenen Ausgleich zueinander gebracht werden.
Ich habe nicht gesagt, dass man die CSU in die CDU zwingen soll. Ich habe nur erwähnt, dass durch die Spezialsituation dort unfaire Wettbewerbvorteile für die Union entstehen. Das ist, was ich rechtlich kritisch betrachte (und das habe ich auch geschrieben). Und die Auslegung der Verfassung, insbesondere ob die Stimmgleichheit verletzt ist oder nicht ist eine juristische Frage (mit politischem Einschlag). Die Entscheidungen der Gerichte werden doch nicht in einem fiktiven Raum getroffen, wo gesellschaftliche Strömungen, Politik, Tradition, Lebensauffassung (auch der Richter) keine Rolle spielen. Aber sie spielen eben nicht die übergeordnete Rolle. Insofern hilft es häufig in Diskussionen wo unterschiedliche Traditionen und Lebensauffassungen aufeinandertreffen, sich auf das Gemeinsame zu besinnen und das ist unsere Demokratie und unser Rechtsstaat mit seinen Regelungen - denn die gelten unabhängig von Tradition und Lebensauffassung für alle gleich.
Ich halte das Konstrukt der Union für kritisch (rechtlich betrachtet), aber eine Änderung des Wahlrechts, die effektiv die CSU abschaffen würde, halte ich schlicht für verfassungswidrig.
Und ich sehe durchaus die Vorteile und Nachteile unserer förderalen Strukturen. - Aber grundsätzlich halte ich den Bund wichtiger als jedes einzelne Land. - Aber ich persönlich würde mir auch wünschen, dass wir von einer Staatengemeinschaft bei der EU zu einem vereinigten Staat mit starken förderalen Struktur kommen (von mir aus gerne nach dem Vorbild der BRD). Aber ich glaube, wenn wir in der Welt auf Dauer bestehen wollen, ist der Schritt notwendig, um nicht endgültig zum Spielball der anderen Mächte zu werden.
Zumindest eine echte gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik würde ich mir wünschen.
Was habe ich damals geträumt, als unser Kanzler vorschlug, dass wenn Großbritannien sich sperrt gegen weitere Veränderungen, dann vielleicht ein Kerneuropa aus Frankreich, den Benelux und Deutschland vorgehen müsste bei der größeren Vereinigung.... leider ist GB dann eingeknickt... ob es funktioniert hätte weiß ich nicht, aber solange es mit förderaler Struktur gewesen wäre, wäre es das wert gewesen.
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Re: Wahlrecht BRD
So die Entscheidung des BVerfG zur Wahlrechtsreform steht wohl soweit: https://www.n-tv.de/politik/Karlsruhe-e ... 23663.html
Und sie entspricht im Wesentlichen wohl auch der Analyse, die vorab auf LTO gepostet wurde: https://www.lto.de/recht/hintergruende/ ... tscheidung
Und im Wesentlichen ist es (wie für mich nicht überaschend) wohl die Problematik, dass ohne Grundmandatsklausel die 5 % Hürde zu hoch ist (vergl. meine Ausführungen oben).
Im Ergebnis halte ich das für eine gute Entscheidung, soweit es aus den Ausführungen bei n-tv nun bekannt ist.
Und sie entspricht im Wesentlichen wohl auch der Analyse, die vorab auf LTO gepostet wurde: https://www.lto.de/recht/hintergruende/ ... tscheidung
Und im Wesentlichen ist es (wie für mich nicht überaschend) wohl die Problematik, dass ohne Grundmandatsklausel die 5 % Hürde zu hoch ist (vergl. meine Ausführungen oben).
Im Ergebnis halte ich das für eine gute Entscheidung, soweit es aus den Ausführungen bei n-tv nun bekannt ist.
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