Oldie BG hat geschrieben: ↑26.09.2025, 15:10 Lenau, der große Melancholiker, ist einer meiner Lieblingsdichter.
Früher bezeichnete Melancholie eine allgemeine, oft kulturspezifische Gemütsstimmung, während der moderne Begriff der Depression eine medizinische, krankhafte psychische Erkrankung meint. Heutzutage wird "Melancholie" jedoch auch verwendet, um eine bestimmte Form der schweren Depression zu beschreiben, die als biologisch fundierte Einheit mit spezifischen Symptomen wie Antriebsverlust und psychomotorischer Hemmung gilt.
Davon, dass man mit dem Begriff Melancholie auch Depressionen etc., bezeichnet, hörte ich noch nie und lehne dies auch ab.
Melancholie verstehe und sehe ich ausschließlich im romantischen Sinne.
'Ich bin in vielen Welten zu Hause.' (Philip K. Dick)
Nun ja, die Dosis scheint es auch hier letztlich auszumachen...
In Little Dorrit prangert Charles Dickens die Melancholie junger Männer seines Zeitalters an, die er für eine gefährliche Sache hinsichtlich der ansteigenden Suizide hielt.
Ich habe dich schon verstanden, aber es mag Menschen geben, die genau über diese Schiene auch in eine Depression abrutschen.
Das hat jetzt aber nichts mit deinem Dichter zu tun...
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Tell Sackett hat geschrieben: ↑26.09.2025, 15:27
... aber es mag Menschen geben, die genau über diese Schiene auch in eine Depression abrutschen.
Das erinnert natürlich an Goethes 'Werther', dessen Melancholie sich zu einer Depression steigerte, die ihn letztendlich in den Suizid trieb. Aber hier lag ja auch ein "Grund" vor, nämlich der Liebeskummer Werthers. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Melancholie sich "ohne Grund" zu einer Depression auswächst, kann dies aber natürlich auch nicht wirklich beurteilen.
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In den Briefen, die Rilke mit der jungen Mailänder Fürstin Aurelia Gallarati-Scotti wechselte, offenbart der Dichter eine noch immer wenig bekannte und gern verdrängte Seite – seine Sympathien für den italienischen Faschismus und autoritäre Regime. Dieser Biografie gelingt mit erzählerischen Mitteln eine brillante Analyse, die Rilkes Werk und seine politischen Überzeugungen in einen neuen Kontext stellt.
Amtranik setzte sich in Bewegung und ging durch die Öffnung - zurück an den Ort seines Flaggschiffs, den er vor 1,2 MillionenJahren verlassen hatte...
(aus Heft 984: Waffen der Verdammnis)
Aus ihren Augen lacht die Freude,
Auf ihren Lippen blüht die Lust,
Und unterm Amazonenkleide
Hebt Mut und Stolz und Drang die Brust.
Doch unter Locken, welche fliegen
Um ihrer Schultern Elfenbein,
Verrät ein Seitenblick beim Siegen
Den schönen Wunsch, besiegt zu sein.
Sie ist doch nicht....? - Aber ja!
Es ist ein kleines frivoles Textchen, das Lenz da anbietet. Schnuckelige acht Verse, ein schöner regelmäßiger Paarreim und, ach, die Formulierungen: "Auf den Lippen blüht" es, aus den "Augen lacht" es, die "Locken [...] fliegen" und die Schultern sind "Elfenbein". Ich habe mich einmal im Rahmen eines Projekts mit Schülern aus den Klassen 10 und 11 über dieses Gedicht unterhalten. Es ist eigentlich ein Klassiker aus dem Schulunterricht. Aber tatsächlich kannten sie es nicht. Und nachdem ich es vorgetragen hatte, fragte ich sie, wie ihnen das Gedicht gefallen habe. Und ja, sie fielen rein in die Formulierungsfalle, die Lenz da anbietet.
"Schön", war die Antwort. Es seien schöne Formulierungen und einige betonten die Metaphern und sprachlichen Bilder und in meinem Kopf nickte ich ihre braven Antworten etwas gelangweilt ab, während ich sie außerhalb meines Kopf anlächelte und einfach weiter fragte.
Bis sich dann hinten links ein Mädchen meldete und anmerkte, sie fände das Gedicht zwar schön, aber irgendwie fände sie das auch unangenehm. Das sei für sie irgendwie so körperlich. Das fände sie komisch. (Schüler sagen gerne komisch statt seltsam.)
Ich war dann plötzlich hellwach. Ob sie Beispiele für das Körperliche nennen könne, fragte ich sie und etwas zögernd nannte sie der "Schultern Elfenbein". Was sie sich denn darunter vorstellen würden, fragte ich dann die Gruppe und das Mädchen sagte, dass sie das als den Schulterknochen verstehe, den man manchmal sähe.
Wann man den denn sehen würde, bohrte ich nach und ein paar der Jugendlichen merkten an, dass man das sehen könne, wenn man schulterfrei oder Kleidung mit breiten und tiefen Ausschnitt hätte. Ob sie denn in dem Gedicht anderes fänden, was auf das Äußerliche oder Bekleidungsweise hindeuten würde, fragte ich erneut. Ein Junge merkte dann das Wort "Amazonenkleide" an. Es war eher eine Frage als eine Aussage. Da stecke ja das Wort "Kleid" drin. Aber er sei sich nicht sicher, er habe bei dem Wort an den Amazonas gedacht Und plötzlich waren wir in einer netten Unterhaltung. "Amazonenkleide" habe nichts mit dem Amazonas zu tun, merkte ich an, aber mit Amazonen. Was denn Amazonen seien? ratterte ich meinen Gedanken durch. Und ein anderer Junge, auch eher hinten sitzend, erklärte, dass diese Kriegerinnen aus dem alten Rom oder Griechenland gewesen waren und auf meine Frage, wie die denn wohl gekleidet waren, flogen mir ein paar Ideen entgegen: Lederrüstungen, Wamse, Stofftuniken, Lederhosen oder auch "na, so leichte Rüstungen, die nicht ganz so alles abdecken, so wie Arme frei".
Ich erklärte dann, dass Amazonen meist oberkörperfrei oder nur teilweise bedeckt gekleidet waren. "Amazonenkleide", wiederholte ich. "Leute, wie steht die Frau denn vor dem Lyrischen Ich ? Oder wie stellt er sie sich zumindest vor?" Ich sah wie vorne in der ersten Reihe ein Mädchen plötzlich die Augen aufriss, die Hand vor den Mund legte und eifrig auf ihre Freundin einredete. Da wusste ich, dass sie begannen zu verstehen, welche Frivolität in dem Gedicht steckt. Ich ermunterte sie dann sich einmal vorzustellen, wie es aussehen würde, wenn "Mut und Stolz und Drang" die Brust heben würden und das Gekicher im Raum (vor allem das der tieferen Stimmen) zeigte mir, dass sie sich das sehr gut vorstellen konnten.
Wir sprachen dann weiter darüber, welch eine Art von Frau hier beschrieben wurde, welches Bild von Liebe (oder Lust?) hier dargestellt wurde und schließlich gab es noch eine andere Frage: "Was ist das eigentlich für ein Typ Mann, der über eine Frau sagt, dass sie "den schönen Wünsch, besiegt zu sein" habe? Ist das nicht ein ziemlicher Macho und Chauvi?" Und dann waren wir plötzlich nicht mehr beim Frauenbild, sondern beim Männerbild. Der sei ja schon ein bisschen ein Macho, sagte ausgerechnet ein Junge. "Ja, und wie findest du solche Typen?", fragte ich. "Ich meine, ihr habt alle gesagt, dass der die Frau so toll beschrieben habe. Und jetzt ist der doch ein Macho?" ...
Acht Verse und ein schöner Paarreim. Und dieses kleine Textchen diskutiert auf diesem kleinen Raum ganze Geschlechter- und Liebeswelten. Die anwesende Deutschlehrerin meinte später zu mir, wenn ich das als Unterricht anbieten würde, würde ich durch die Lehrerprüfung fallen. Das sei nämlich viel zu "fragend-investigativ" gewesen. Aber auf der anderen Seite habe sie die Schüler noch nie so interessiert über ein Gedicht sprechen hören. Mir ist "fragend-investigativ" recht egal. Aber ich dachte mir, dass man vielleicht einfach mal mit den Schülern reden sollte, wenn man interessierte Antworten haben will.
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Tennessee hat geschrieben: ↑28.09.2025, 10:01Aus ihren Augen lacht die Freude (J.M.R. Lenz)
Sehr schön!
Von Lenz kenne ich fast nur:
Ich bin Ihr wahrer Jakob nicht!
Und auch Ihr deutscher Michel nicht!
So rein und hold nicht wie der Lenz.
Bin Jakob Michael Reinhold Lenz.
und das, was Büchner in seiner Novelle spiegelt. Muss ich nachholen!
Zu der geschilderten Lehrstunde:
Die anwesende Deutschlehrerin meinte später zu mir, wenn ich das als Unterricht anbieten würde, würde ich durch die Lehrerprüfung fallen. Das sei nämlich viel zu "fragend-investigativ" gewesen.
Das ist typisch für den Unsinn, der in überbesetzten Kultusbürokratien erdacht wird. Die Frage ist doch nicht »Hat die Lehrperson eine pädagogisch-wissenschaftlich abgesegnete Lehrmethode angewandt?«, sondern »Haben die Kinder etwas gelernt?« Ja, haben sie nach dieser Schilderung.
Ich hatte mich mal in meinem beruflichen Blog (ich war auch als Ausbilder tätig) mal über eine »Handreichung« aus dem Kultusministerium für den Unterricht in Anwendungsentwicklung lustig gemacht. Die Verfasserin verwechselte darin Zins und Endkapital und berechnete den Zinzeszins mit Fließkommazahlen!
Dass die sogenannte Pädagogik einiges am Schaden gerade im Deutschunterricht und in den Fremdsprachen angerichtet hat, ist ja nichts neues. Erst war es zu autoritär, dann zu locker, dann kam Lernen durch Hören, dann Grammaik ist Böse etc. statt den Kindern/Tnern/etc..einfach mal die Literatur vorzustellen und sie dann sie entdecken zu lassen.
In den Briefen, die Rilke mit der jungen Mailänder Fürstin Aurelia Gallarati-Scotti wechselte, offenbart der Dichter eine noch immer wenig bekannte und gern verdrängte Seite – seine Sympathien für den italienischen Faschismus und autoritäre Regime. Dieser Biografie gelingt mit erzählerischen Mitteln eine brillante Analyse, die Rilkes Werk und seine politischen Überzeugungen in einen neuen Kontext stellt.
Ein neues Licht weniger als eher ein alter Hut , aber der Autor scheint kompetent zu sein: Hans-Peter Kunisch, geb. 1962, studierte Germanistik, Theaterwissenschaft und Philosophie, promovierte über Musil, Schnitzler und Kafka.
In gerade einmal drei Briefen lobte Rilke Anfang des Jahres 1926 den Faschismus, Ende des Jahres verstarb er nach langer Krankheit (Leukämie), an der er seit Jahren laborierte. Zudem litt er schon wesentlich länger unter psychischen Problemen, darunter Angstzustände, quälende Selbstzweifel und depressiven Verstimmungen, die ihn bis zu seinem Tod begleiteten. In welcher Gemütsverfassung er sich also befand, als er besagte drei Briefe schrieb, können wir nur erahnen.
Der desolate Zustand der Weimarer Republik setzte Rilke auch zu, das Auseinanderfallen von Ordnung, von Strukturen, vielleicht sehnte er sich deshalb nach einer stabíl erscheinenden politischen Ordnung. Letztendlich war es wohl auch so (das kann ich jetzt aber nicht gesichert sagen), dass der Faschismus 1926 noch nicht vollständig seine grausige Fratze enthüllt hatte und so auch intelligente Menschen zu täuschen vermochte.
Wenn der Verlag schreibt, dass diese drei Briefe Rilkes eine "noch immer wenig bekannte und gern verdrängte Seite seien", dann liegt die Verdrängung sicher nicht auf Seiten der Bewunderer von Rilkes lyrischem Werk, diese setzen sich damit durchaus auseinander, wie ich in mehreren Foren lesen konnte.
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