Gestern unternahm ich eine Wanderung und lief den Solothurner Megalithweg ab. Den kann ich jedem nur ans Herz legen, der sich für erratische Blöcke und von Menschenhand angeordnete Steinsetzungen interessiert.
Gemach, ich komme gleich auf das Thema des Treads zu sprechen…
Ein Teil des Weges führt auch durch eine Einsiedelei und die Verenaschlucht. (Sehr schön!) In die Wände der Schlucht wurden vor ca 100 Jahren die Namen von bedeutenden Persönlichkeiten des Kantons gemeisselt, darunter auch: ein Alfred Hartmann. Gestiftet wurde das Ganze von der Töpfergesellschaft Solothurn

! Das machte mich neugierig.
Alfred Hartmann (1814 - 1897) war ein Schweizer Schriftsteller, Lyriker und Herausgeber der humoristischen Zeitschrift
Postheiri.
Die Töpfergesellschaft Solothurn war sehr umtriebig und organisierte Lesungen und Vorträge, an denen Hartmann rege teilnahm - deshalb die Ehrung in der Verenaschlucht.
Orgetorix
Es standen im Ring auf grasiger Au
Helvetiens Mannen aus jeglichem
Gau,
die Mannen vom ganzen Land;
sie standen beisammen in Waffen
und Wehr,
die wuchtige Keule, den spitzigen
Speer,
die hatte jeder zur Hand.
Und mitten im Ringe flammenden
Blicks,
da stand der Häuptling Orgetorix.
Und sprach mit beredtem Mund:
„Was weilen wir hier im kargen
Tal?
Was bauen wir Hütten auf schwan-
kem Pfahl?
Hört, was ich euch rate zur Stund‘!
Wir stecken die morschen Hütten
in Brand;
Wir ziehen hinunter ins gallische
Land;
wir ziehen mit Weib und Kind.
Wer trotzt wohl unseren Keulen
Wucht?
Wir jagen die Memmen in die
Flucht,
wie die Spreu des Kornes der
Wind.
Wo die Traube reift, wo die Man-
del blüht,
wo des Mädchens schwarzbraun-
nes Auge glüht,
wo nimmer die Schneflocke fällt,
-
Helvetiens Mannen, dahin, dahin,
in die gallischen Lande lasst uns
ziehen!
Dem Starken gehört die Welt!“
Die trotzigen Mannen jubelten
wild,
und jeder schlug mit dem Schwert
an den Schild,
dass es laut am Fels widerhallt‘!
Der Kriegszug ward beschlossen
im Ring;
ein Rauschen wie Geisterflüstern
ging
durch die heiligen Eichen im Wald.
„Zwei volle Jahre geb‘ ich euch
Frist,
bis alles zur Reise bereitet ist;
zwei Jahre noch wollen wir harren.
Zwei volle Jahre noch habt ihr Zeit,
zu bauen das Korn, zu wirken das
Kleid,
ans Joch zu gewöhnen die Farren.
Und ist dann alles zur Fahrt be-
stellt,
So stürzen wir jäh auf das gall-
ische Feld
wie der Strom, der den Damm ge-
brochen,
wie die Lawine jäh zu Tale geht,
wenn der Südsturm über den Glet-
scher weht.“
So hatte der Häuptling gespro-
chen.
Und wiederum standen die Man-
nen im Ring,
berufen, zu halten ein Blutgeding,
ein Ding auf Leben und Sterben.
Und wiederum stand Orgetorix
in Ringes Mitte finsteren Blicks;
es ging um Leben und Sterben.
„Und glaubt ihr mich schuldig, was
mir so fern,
ich woll‘mich wüerschwingen zu eu-
rem Herrn
und woll‘ euch machen zu Knech-
ten;
und liehet ihr dem Verleumder das
Ohr,
und wenn ich euer Vertrauen ver-
lor,
so will ich mit euch nicht rechten.
Zieht ohne mich fort ins gallische
Land,
den Rhodan hinunter zu Meeres-
Strand;
ein anderer mag euch weisen.
Doch dass ihr mit Unrecht mir geg-
rollt
und dass ich euch nimmer verra-
ten wollt‘,
das soll mein Blut euch beweisen…“
Und stiess sich das eherne
Schwert ins Herz;
er fiel in den Sand mit stummem
Schmerz -
wo fändet ihr seinesgleichen?
Und schweigend auseinander ging
der Ring,
berufen zum Blutgeding;
es bebten die heiligen Eichen.
Diese romantisierte Darstellung von Orgetorix fusst auf Cäsars „De Bello Gallico“, erstes Buch, wo in wenigen Sätzen berichtet wird, dass Orgetorix sein Volk zum Auswandern bewegen, und dass er den Sequaner Casticus, oder den Häduer Dumnorix zum König seines Volkes machen wollte.
Diese Verschwörung wurde den Helvetiern bekannt und sie beriefen einen Gerichtstag ein; doch Orgetorix starb unerwartet - dem Julius Cäsar wurde von Selbstmord berichtet…
Bei Hartmann fällt auf, dass er den helvetischen Stamm primitiver darstellt, als die Kelten in der La Tène-Zeit tatsächlich waren. Er spricht von „Keulen“ und Häusern auf „Pfählen“. Pfahlbauern waren sie ganz sicher nicht!

Auch die heiligen Eichen sprechen eher für germanische Kultorte… Aber Hartmann war wohl die Darstellung des Aufrechten und Wahrhaften Schweizers (Pardon - Helvetiers!) wichtiger als historische akuratesse.
Sorry für das ausschweifende Posting!
