Der Literarische Salon

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Perryoldie
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »


***


Gottfried Keller
(1819-1890)



So oft die Sonne aufersteht



So oft die Sonne aufersteht,
Erneuert sich mein Hoffen,
Und bleibet, bis sie untergeht,
Wie eine Blume offen;
Dann schlummert es ermattet
Im dunklen Schlummer ein,
Doch eilig wacht es wieder auf
Mit ihrem ersten Schein.

Das ist die Kraft, die nimmer stirbt
Und immer wieder streitet,
Das gute Blut, das nie verdirbt,
Geheimnisvoll verbreitet!
Solang noch Morgenwinde
Voran der Sonne wehn,
Wird nie der Freiheit Fechterschar
In Nacht und Schlaf vergehn.


***
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »



***


Abraham Gotthelf Kästner
(1719-1800)



Die veränderlichen Triebe der menschlichen Alter


Nach Puppen wird das Kind sich sehnen,
Der muntre Jüngling nach der Schönen,
Der Ruhm erhitzt des Mannes Fleiß,
Und Gold begehrt der matte Greis.

Bei so veränderlichen Trieben,
Wer wird sein wahres Glücke lieben?
Nur der, der Schöne, Ruhm und Geld
Für Puppen der Erwachsnen hält.


***

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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Amtranik »

Ein Aphorismus von Jakob Wassermann
(1873-1934)

Ich bin kreuz und quer durch ganz
Süddeutschland gewandert, habe
im Schwarzwald in Holzhütten ge-
nächtigt, bin zu Fuss, nicht nur auf
Schusters Rappen, sondern auf
nackten Sohlen in die Schweiz ge-
zogen und habe oft statt einer
Zimmerdecke auch nur den nack-
ten Himmel über mir gehabt. Als
ich seßhaft wurde, war es nur dem
äusseren Schein nach. Nirgends
hielt es mich lange, und wenn ich
drei Monate in einer Stadt zuge-
bracht hatte, trat ein Zustand von
Lufthunger ein. Berg und Gebirge
zogen mich immer lebhafter an.
Ich war monatelang unterwegs,
wie um die mir gemäße Landschaft
zu suchen. Zwischen meinem drei-
ßigsten und vierzigsten Jahr bin
ich in Italien von Stadt zu Stadt
gezogen, aber alles Entzücken
über die Schönheit, alle Sehn-
suchtsbefriedigung konnte mich
auf die Dauer nicht festhalten.
Nach einer Weile verlangte mich
nach einem Wald, nach einer
Wiese, einem Schatten gebenden
Baum, ja sogar einem schweren
Wolkenhimmel. Der Süden rief
mich, aber dem Norden war ich zu
Eigen.
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »


***

Franz Kugler
(1808-1858)


Nachtgruß


Vor meinem Fenster dämmert
Das trübe Mondenlicht;
auf meinem Tischlein hämmert
Die Uhr und rastet nicht.

Die stille Nacht durchschallet
Ein einsam hast'ger Gang,
Der wiederum verhallet
Die leere Straß' entlang.

Auf Traumesschwingen heben
Sich die Gedanken mir,
Und heimlich, o mein Leben,
Träum' ich mich hin zu dir.


***
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »


***

Maria Luise Weissmann
(1899-1929)



Die Katzen


Sie sind sehr kühl und biegsam, wenn sie schreiten,
Und ihre Leiber fließen sanft entlang.
Wenn sie die blumenhaften Füße breiten,
Schmiegt sich die Erde ihrem runden Gang.

Ihr Blick ist demuthaft und manchmal etwas irr.
Dann spinnen ihre Krallen fremde Fäden,
Aus Haar und Seide schmerzliches Gewirr,
Vor Kellerstufen und zerbrochnen Läden.

Im Abend sind sie groß und ganz entrückt,
Verzauberte auf nächtlich weißen Steinen,
In Schmerz und Wollust sehnsuchtskrank verzückt
Hörst du sie fern durch deine Nächte weinen.


***
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »

Amtranik hat geschrieben: 07.05.2025, 15:43 Ein Aphorismus von Jakob Wassermann
(1873-1934)

[...]

Der Süden rief mich,
aber dem Norden war ich zu Eigen.

Im Süden (Süddeutschland :-D ) habe ich gerne gelebt, aber dann zog es mich doch wieder zurück in den Norden. :-)
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von kad »

Wärst du noch etwas südlicher gelandet, wärst du möglicherweise geblieben :-).
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Amtranik »

Perryoldie hat geschrieben: 11.05.2025, 13:28Im Süden (Süddeutschland :-D ) habe ich gerne gelebt, aber dann zog es mich doch wieder zurück in den Norden.
Den Norden (Friesland) mag ich auch sehr… :-)
kad hat geschrieben: 11.05.2025, 15:16 Wärst du noch etwas südlicher gelandet, wärst du möglicherweise geblieben :-).
:-D :yes:
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »

Amtranik hat geschrieben: 11.05.2025, 16:12
Perryoldie hat geschrieben: 11.05.2025, 13:28Im Süden (Süddeutschland :-D ) habe ich gerne gelebt, aber dann zog es mich doch wieder zurück in den Norden.
Den Norden (Friesland) mag ich auch sehr… :-)
kad hat geschrieben: 11.05.2025, 15:16 Wärst du noch etwas südlicher gelandet, wärst du möglicherweise geblieben :-).
:-D :yes:
Südlicher als bis Kreuzlingen kam ich leider nie. :-) :-D
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von kad »

Perryoldie hat geschrieben: 12.05.2025, 18:51
Amtranik hat geschrieben: 11.05.2025, 16:12
Perryoldie hat geschrieben: 11.05.2025, 13:28Im Süden (Süddeutschland :-D ) habe ich gerne gelebt, aber dann zog es mich doch wieder zurück in den Norden.
Den Norden (Friesland) mag ich auch sehr… :-)
kad hat geschrieben: 11.05.2025, 15:16 Wärst du noch etwas südlicher gelandet, wärst du möglicherweise geblieben :-).
:-D :yes:
Südlicher als bis Kreuzlingen kam ich leider nie. :-) :-D
Falls du noch eine grössere Reise, zb bis nach Zürich machen möchtest, könnten wir dort das Gottfried Keller Zentrum besuchen und einen Abstecher zu Gotthelf im Emmental planen. Amtranik hätte sicher weitere Ideen für ein solches Treffen.
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Amtranik »

kad hat geschrieben: 12.05.2025, 22:12Falls du noch eine grössere Reise, zb bis nach Zürich machen möchtest, könnten wir dort das Gottfried Keller Zentrum besuchen und einen Abstecher zu Gotthelf im Emmental planen. Amtranik hätte sicher weitere Ideen für ein solches Treffen.
z.B. das Conrad Ferdinand Meyer Museum in Kilchberg/ZH oder die Gräber von bedeutenden Schriftstellern, wie Thomas Mann oder James Joyce.
Ehemalige Wohnorte von Goethe, Wagner, Lenin in der Stadt Zürich... Ja, da gäbe es einiges; nicht zu vergessen das Chaplin-Museum! Stichwort: Stummfilm ;)
Perryoldie: plan mal mindestens ein halbes Jahr ein für deine Literatur-Reise in die Schweiz! :-)
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »


***

Alfred Meißner
(1822-1885)



Abend am Meer


O Meer im Abendstrahl,
An deiner stillen Flut
Fühl’ ich nach langer Qual
Mich wieder fromm und gut.

Das heiße Herz vergisst,
Woran sich’s müd’ gekämpft,
Und jeder Wehruf ist
Zu Melodie gedämpft.

Kaum dass ein leises Weh
Durchgleitet das Gemüt,
Wie durch die stumme See
Ein weißes Segel zieht.


***

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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Rous2 »

Perryoldie hat geschrieben: 13.05.2025, 17:06 Abend am Meer
Dann wollen wir den alten Perry mal etwas aufmuntern ;)
Heinrich Heine

Das Fräulein stand am Meere

Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.

Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »

@kad
@Amtranik

Danke für die vielen Tipps :yes: , aber aus verschiedenen Gründen sehe ich mich in absehbarer Zeit leider nicht verreisen. :(

Aber ja, Zürich, Kilchberg und der dortige Friedhof sind schon eine Reise wert. :-)


Kilchberg ZH - Friedhof
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »


***


Otto Ernst
(1862-1926)



Nis Randers


Krachen und Heulen und berstende Nacht,
Dunkel und Flammen in rasender Jagd -
Ein Schrei durch die Brandung!

Und brennt der Himmel, so sieht mans gut.
Ein Wrack auf der Sandbank! Noch wiegt es die Flut;
Gleich holt sichs der Abgrund.

Nis Randers lugt - und ohne Hast
Spricht er: "Da hängt noch ein Mann im Mast;
Wir müssen ihn holen."

Da fasst ihn die Mutter: "Du steigst mir nicht ein:
Dich will ich behalten, du bliebst mir allein,
Ich wills, deine Mutter!

Dein Vater ging unter und Momme, mein Sohn;
Drei Jahre verschollen ist Uwe schon,
Mein Uwe, mein Uwe!"

Nis tritt auf die Brücke. Die Mutter ihm nach!
Er weist nach dem Wrack und spricht gemach:
"Und seine Mutter?"

Nun springt er ins Boot und mit ihm noch sechs:
Hohes, hartes Friesengewächs;
Schon sausen die Ruder.

Boot oben, Boot unten, ein Höllentanz!
Nun muss es zerschmettern ...! Nein, es blieb ganz ...!
Wie lange? Wie lange?

Mit feurigen Geißeln peitscht das Meer
Die menschenfressenden Rosse daher;
Sie schnauben und schäumen.

Wie hechelnde Hast sie zusammenzwingt!
Eins auf den Nacken des andern springt
Mit stampfenden Hufen!

Drei Wetter zusammen! Nun brennt die Welt!
Was da? - Ein Boot, das landwärts hält -
Sie sind es! Sie kommen! - -

Und Auge und Ohr ins Dunkel gespannt...
Still - ruft da nicht einer? - Er schreits durch die Hand:
"Sagt Mutter, 's ist Uwe!"


***


Wikipedia: Nis Randers



Achim Reichel - Nis Randers - Album 'Regenballade' von 1978

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