Der Literarische Salon
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Re: Der Literarische Salon
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Re: Der Literarische Salon
Herman Melville wurde in einem anderen thread erwähnt. Ich kannte seine Gedichte nicht.
***
Herman Melville
(1819 - 1891)
Monody
To have known him, to have loved him
After loneness long;
And then to be estranged in life,
And neither in the wrong;
And now for death to set his seal--
Ease me, a little ease, my song!
By wintry hills his hermit-mound
The sheeted snow-drifts drape,
And houseless there the snow-bird flits
Beneath the fir-trees' crape:
Glazed now with ice the cloistral vine
That hid the shyest grape.
***
Vorgelesen
***
Herman Melville
(1819 - 1891)
Monody
To have known him, to have loved him
After loneness long;
And then to be estranged in life,
And neither in the wrong;
And now for death to set his seal--
Ease me, a little ease, my song!
By wintry hills his hermit-mound
The sheeted snow-drifts drape,
And houseless there the snow-bird flits
Beneath the fir-trees' crape:
Glazed now with ice the cloistral vine
That hid the shyest grape.
***
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Re: Der Literarische Salon
Danke dafür. Wie ich anhand seines Buches feststellen durfte, muss man von Matts Kommentare genau so intensiv, aufmerksam und am besten mehrmals lesen, wie die Gedichte, die er vorstellt. Als Belohnung dafür winkt dann immer ein Erkenntnisgewinn.kad hat geschrieben: ↑27.02.2025, 07:42 An eine Mohnblume mitten in der Stadt; von Friederike Mayröcker (1924 - 2021).
Mit einem Kommentar von Peter von Matt

---
Dass Melville auch Gedichte schrieb, war mir auch noch nicht bekannt.

'Ich bin in vielen Welten zu Hause.' (Philip K. Dick)
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Re: Der Literarische Salon




'Ich bin in vielen Welten zu Hause.' (Philip K. Dick)
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Re: Der Literarische Salon

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Re: Der Literarische Salon
***
Eduard Mörike
(1804-1875)
Er ist's
Frühling läßt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen
Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's!
Dich hab ich vernommen!
***
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Re: Der Literarische Salon
***
Alkaios von Lesbos
(um 630 - um 580 v. Chr.
Frühlingstrunk
Seht, o seht, geliebte Schwestern und Brüder,
Lenz und Blumen kehren wieder,
Jauchzet ihrer Wiederkehr!
Gebt mir gleich aus diesem Fasse
Von dem honigsüßen Nasse.
Hurtig! einen Becher her!
***
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Re: Der Literarische Salon
***
Detlev von Liliencron
(1844-1909)
Märztag
Wolkenschatten fliehen über Felder,
Blau umdunstet stehen ferne Wälder.
Kraniche, die hoch die Luft durchpflügen,
Kommen schreiend an in Wanderzügen.
Lerchen steigen schon in lauten Schwärmen,
Überall ein erstes Frühlingslärmen.
Lustig flattern, Mädchen, deine Bänder;
Kurzes Glück träumt durch die weiten Länder.
Kurzes Glück schwamm mit den Wolkenmassen;
Wollt es halten, mußt es schwimmen lassen.
***
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Re: Der Literarische Salon
***
Charlotte von Ahlefeld
(1781-1849)
Sehnsucht
Im Frühling -
Wenn Philomelens bange Liebesklage
Mir neu ertönt im leisen Pappelhain,
Da denk' ich sehnend der vergangnen Tage,
Und seufze schmerzlich: ach, ich bin allein!
O fühltest Du mit mir das warme Leben,
Das neu erwacht, rings um mich her sich regt,
Das Leben der Natur, die mit dem ew'gen Streben
Im Jugendglanz sich jetzt empor bewegt.
Denn zwiefach schön war mir des Jahres Morgen
Mit seinem holden Lächeln neben Dir.
O banne schnell der Liebe leise Sorgen,
Und eil' auf ihren Flügeln her zu mir.
Dann will ich Dir die schönsten Kränze binden,
Die mir des Frühlings bunter Segen beut.
Gesellig soll sich Efeu um sie winden,
Das als der Treue Sinnbild Dich erfreut.
Nur dann, wenn ich Dich freudig wiedersehe,
Entschlummert sanft in mir der Sehnsucht Schmerz,
Er flieht mich nur in Deiner teuern Nähe,
Denn Du allein beglückst und füllst mein Herz.
***
'Ich bin in vielen Welten zu Hause.' (Philip K. Dick)
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Re: Der Literarische Salon
***
Hoffmann von Fallersleben
(eigentlich August Heinrich Hoffmann)
(1798-1874)
Frühling
So sei gegrüßt viel tausendmal,
holder, holder Frühling!
Willkommen hier in unserm Tal,
holder, holder Frühling!
Holder Frühling, überall
grüßen wir dich froh mit Sang und Schall,
mit Sang und Schall.
Du kommst, und froh ist alle Welt,
holder, holder Frühling!
Es freut sich Wiese, Wald und Feld,
holder, holder Frühling!
Jubel tönt dir überall,
dich begrüßet Lerch und Nachtigall,
und Nachtigall.
***
'Ich bin in vielen Welten zu Hause.' (Philip K. Dick)
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Re: Der Literarische Salon
***
Richard von Wilpert
(1862-1918)
Nur einmal bringt des Jahres Lauf
Nur einmal bringt des Jahres Lauf
uns Lenz und Lerchenlieder;
nur einmal blüht die Rose auf,
und dann verwelkt sie wieder;
nur einmal gönnt uns das Geschick
so jung zu sein auf Erden:
Hast du versäumt den Augenblick,
jung wirst du nie mehr werden.
Drum lass von der gemachten Pein
um nie gefühlte Wunden!
Der Augenblick ist immer dein,
doch rasch entfliehn die Stunden.
Und wer als Greis im grauen Haar
vom Schmerz noch nicht genesen,
der ist als Jüngling auch fürwahr
nie jung und frisch gewesen.
Nur einmal blüht die Jugendzeit
und ist so bald entschwunden;
und wer nur lebt vergangnem Leid,
wird nimmermehr gesunden.
Verjüngt sich denn nicht auch Natur
stets neu im Frühlingsweben?
Sei jung und blühend einmal nur,
doch das durchs ganze Leben!
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Re: Der Literarische Salon
***
Friedrich Leopold zu Stolberg-Stolberg
(1750-1819)
An die Natur
Süße, heilige Natur,
Laß mich geh'n auf deiner Spur,
Leite mich an deiner Hand
Wie ein Kind am Gängelband!
Wenn ich dann ermüdet bin,
Sink' ich dir am Busen hin,
Atme süße Himmelslust
Hangend an der Mutterbrust.
Ach! wie wohl ist mir bei dir!
Will dich lieben für und für;
Laß mich geh'n auf deiner Spur,
Süße, heilige Natur!
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Re: Der Literarische Salon
***
Hoffmann von Fallersleben
(eigentlich August Heinrich Hoffmann)
(1798-1874)
Frühlingsbotschaft
Kuckuck, Kuckuck ruft aus dem Wald:
Lasset uns singen,
Tanzen und springen!
Frühling, Frühling wird es nun bald.
Kuckuck, Kuckuck lässt nicht sein Schrei′n:
Kommt in die Felder,
Wiesen und Wälder!
Frühling, Frühling, stelle dich ein!
Kuckuck, Kuckuck, trefflicher Held!
Was du gesungen,
Ist dir gelungen:
Winter, Winter räumet das Feld.
***
Wiener Sängerknaben - Kuckuck, Kuckuck ruft aus dem Wald (1970)
'Ich bin in vielen Welten zu Hause.' (Philip K. Dick)
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Re: Der Literarische Salon
Die Spröde
Johann Wolfgang von Goethe
An dem reinsten Frühlingsmorgen
Ging die Schäferin und sang,
Jung und schön und ohne Sorgen,
Daß es durch die Felder klang,
So la la! le ralla!
Thyrsis bot ihr für ein Mäulchen
Zwei, drei Schälchen gleich am Ort;
Schalkhaft blickte sie ein Weilchen,
Doch sie sang und lachte fort,
So la la! le ralla!
Und ein andrer bot ihr Bänder,
Und der dritte bot sein Herz;
Doch sie trieb mit Herz und Bändern
So wie mit den Lämmern Scherz,
Nur la la! le ralla!
Achtung Frau!
Na, das ist ja eine! Es ist ein schöner Frühlingsmorgen, es ist ein schöner, sorgenfreier Tag, es sind so schöne Frühlingsgefühle - man könnte der Natur so richtig schön freien Lauf lassen, wäre da nicht ... ja... Sie! Sie, das ist eine Schäferin. Singend geht und tanzt sie durch die Frühlingsfelder. Und sie ist schön, sie ist jung, sie ist sorgenfrei - und sie ist sich sicher zu hundert Prozent bewusst, wie sie auf die Männer in ihrer Umgebung wirkt.
Die erste Strophe von Goethes Gedicht "die Spröde" bietet alles an, was das romantische, nach Idyllen strebende Herz sich wünscht: Frühlingsmorgen, schöne Frauen, Gesänge, ein sorgenfreies Leben und ein spielerischer Reigen: "So la la! le ralla!" - Mehr Kitsch geht nun wirklich nicht!
Und Goethe ist noch nicht fertig. Natürlich gibt es gleich den ersten, der auf sie reagiert. Und der will auch gleich schon ein "Mäulchen", also ein Küsschen, von der schönen Schäferin. Er hat für dieses Küsschen sogar einen Ausgleich parat, "Zwei, drei Schälchen gleich am Ort": Frische Schafs- oder Ziegenmilch für die schöne Schäferin.
Dass es sich bei diesem Mann nicht um einen Grobian handelt, der ruppig seine "Mäulchen" erzwingt, sondern um einen Mann, der bei der schönen Schäferin um ein diminutives "Küsschen" anfragt, füttert die spielerische Unschuld dieses Szenarios weiter an. Auch der Name des Schäfers, Thyrsis - in der griechischen Mythologie der Name eines Dichter-Schäfers -, rückt die Szenerie in eine Art Idyllenbild. Auch wenn die Frage nach einem "Mäulchen" vielleicht ungehörig erscheinen mag: Mehr als eine Anfrage ist es nicht.
Und die schöne Schäferin? Kokett schaut sie den Schäfer eine Weile an und sagt dann: Nö! Und sie singt und sie tanzt weiter: "So la la! le ralla!"
Und weiter geht es mit den Männern und dem was sie anbieten: Schmuck ("ein andrer bot ihr Bänder"), Liebe ("der dritte bot sein Herz"), das Küsschen von vorher fügen wir noch hinzu. Aber nichts davon nimmt die Schäferin an. Im Gegenteil. Das einzige, was sie tut, ist mit den armen verliebten Kerlen ihren Scherz zu treiben, genauso "wie mit den Lämmern". Aber ihr Gesang hat sich ein wenig verändert: "Nur la la! le ralla!". Anschauen erlaubt, anfassen verboten. Na, das ist ja eine!
Aber was ist das denn jetzt für eine, von der Goethe da schreibt? "Die Spröde" nennt er sie. Und das Wort "spröde" kennt man als Materialbezeichnung für trockene, rissige und schwer biegsame und dadurch leicht zerbrechliche Stoffe. Als Charakterbezeichnung verweist "spröde" oft auf schwer zugängliche Personen, schamhaft, sexuell verschlossen, prüde - und nun mal ganz ehrlich: schwer zugänglich könnte ich noch verstehen, aber schamhaft, sexuell verschlossen oder prüde? Das ist nicht die Frau, von der Goethe da schreibt. Die weiß ganz genau, was sie da tut! Die zeigt ihren ganzen Laden her! Und dabei ist sie ziemlich selbstbewusst: anschauen erlaubt, anfassen verboten! Ist sie jetzt "spröde" und ein "Miststück", die die Männer heiß macht und dann eiskalt stehen lässt?
Ganz eindeutig ist dieses Gedicht nicht. Gut, durch den Titel wäre die Antwort ganz klar: spröde ist sie. Und ein "Miststück". Dieses Gedicht ist eine Warnung vor falscher Liebe, vor falschen Frauen, die mit den Gefühlen der Männer spielen und sich daran ergötzen, die Jungs zu Hampelmännern zu machen, bei denen man nur am Zipfelchen ziehen muss, damit sie hin und her springen.
Aber dem widerspricht das Spielerische der Frau und das idyllische Traumszenario. Ein Spiel trägt auch immer den Charakter des Ungefährlichen mit sich. Sicher, man kann gegen Spielregeln verstoßen, aber außer nicht direkt über "Los" zu gehen und keine 2000,- Dollar zu bekommen, kann nicht viel passieren. Und dieses Gedicht zeigt kein Gewaltpotenzial oder ähnliches. Und das Traumszenario? Nun mal ehrlich, wer träumt schon von prüden, sexuell verschlossenen Frauen?
Ja, dieses Gedicht kann man verstehen als den empörten Ausdruck eines Mannes, der zum Opfer von Frauenspielereien wurde. Man kann es aber auch anders verstehen, nämlich dergestalt, dass es solche Frauen gibt, die schön sind und selbstbewusst. Die sich an ihrem Äußeren erfreuen und damit zu spielen verstehen. Und diese Frauen sind keine Gefahr für die Männer. Oder sie sollten es nicht sein. Sie verstehen sich, sie verstehen ihre Weiblichkeit. Und in diesem Spiel darf man gerne hinschauen, man darf gerne mitspielen, anschauen erlaubt, anfassen verboten. Aber in diesem Spiel mit dem Spröden gibt es nur einen Chef: Sie! Und ich glaube, Goethe hat die Frauen zu sehr genossen, um daran etwas Schlechtes zu finden.
Johann Wolfgang von Goethe
An dem reinsten Frühlingsmorgen
Ging die Schäferin und sang,
Jung und schön und ohne Sorgen,
Daß es durch die Felder klang,
So la la! le ralla!
Thyrsis bot ihr für ein Mäulchen
Zwei, drei Schälchen gleich am Ort;
Schalkhaft blickte sie ein Weilchen,
Doch sie sang und lachte fort,
So la la! le ralla!
Und ein andrer bot ihr Bänder,
Und der dritte bot sein Herz;
Doch sie trieb mit Herz und Bändern
So wie mit den Lämmern Scherz,
Nur la la! le ralla!
Achtung Frau!
Na, das ist ja eine! Es ist ein schöner Frühlingsmorgen, es ist ein schöner, sorgenfreier Tag, es sind so schöne Frühlingsgefühle - man könnte der Natur so richtig schön freien Lauf lassen, wäre da nicht ... ja... Sie! Sie, das ist eine Schäferin. Singend geht und tanzt sie durch die Frühlingsfelder. Und sie ist schön, sie ist jung, sie ist sorgenfrei - und sie ist sich sicher zu hundert Prozent bewusst, wie sie auf die Männer in ihrer Umgebung wirkt.
Die erste Strophe von Goethes Gedicht "die Spröde" bietet alles an, was das romantische, nach Idyllen strebende Herz sich wünscht: Frühlingsmorgen, schöne Frauen, Gesänge, ein sorgenfreies Leben und ein spielerischer Reigen: "So la la! le ralla!" - Mehr Kitsch geht nun wirklich nicht!
Und Goethe ist noch nicht fertig. Natürlich gibt es gleich den ersten, der auf sie reagiert. Und der will auch gleich schon ein "Mäulchen", also ein Küsschen, von der schönen Schäferin. Er hat für dieses Küsschen sogar einen Ausgleich parat, "Zwei, drei Schälchen gleich am Ort": Frische Schafs- oder Ziegenmilch für die schöne Schäferin.
Dass es sich bei diesem Mann nicht um einen Grobian handelt, der ruppig seine "Mäulchen" erzwingt, sondern um einen Mann, der bei der schönen Schäferin um ein diminutives "Küsschen" anfragt, füttert die spielerische Unschuld dieses Szenarios weiter an. Auch der Name des Schäfers, Thyrsis - in der griechischen Mythologie der Name eines Dichter-Schäfers -, rückt die Szenerie in eine Art Idyllenbild. Auch wenn die Frage nach einem "Mäulchen" vielleicht ungehörig erscheinen mag: Mehr als eine Anfrage ist es nicht.
Und die schöne Schäferin? Kokett schaut sie den Schäfer eine Weile an und sagt dann: Nö! Und sie singt und sie tanzt weiter: "So la la! le ralla!"
Und weiter geht es mit den Männern und dem was sie anbieten: Schmuck ("ein andrer bot ihr Bänder"), Liebe ("der dritte bot sein Herz"), das Küsschen von vorher fügen wir noch hinzu. Aber nichts davon nimmt die Schäferin an. Im Gegenteil. Das einzige, was sie tut, ist mit den armen verliebten Kerlen ihren Scherz zu treiben, genauso "wie mit den Lämmern". Aber ihr Gesang hat sich ein wenig verändert: "Nur la la! le ralla!". Anschauen erlaubt, anfassen verboten. Na, das ist ja eine!
Aber was ist das denn jetzt für eine, von der Goethe da schreibt? "Die Spröde" nennt er sie. Und das Wort "spröde" kennt man als Materialbezeichnung für trockene, rissige und schwer biegsame und dadurch leicht zerbrechliche Stoffe. Als Charakterbezeichnung verweist "spröde" oft auf schwer zugängliche Personen, schamhaft, sexuell verschlossen, prüde - und nun mal ganz ehrlich: schwer zugänglich könnte ich noch verstehen, aber schamhaft, sexuell verschlossen oder prüde? Das ist nicht die Frau, von der Goethe da schreibt. Die weiß ganz genau, was sie da tut! Die zeigt ihren ganzen Laden her! Und dabei ist sie ziemlich selbstbewusst: anschauen erlaubt, anfassen verboten! Ist sie jetzt "spröde" und ein "Miststück", die die Männer heiß macht und dann eiskalt stehen lässt?
Ganz eindeutig ist dieses Gedicht nicht. Gut, durch den Titel wäre die Antwort ganz klar: spröde ist sie. Und ein "Miststück". Dieses Gedicht ist eine Warnung vor falscher Liebe, vor falschen Frauen, die mit den Gefühlen der Männer spielen und sich daran ergötzen, die Jungs zu Hampelmännern zu machen, bei denen man nur am Zipfelchen ziehen muss, damit sie hin und her springen.
Aber dem widerspricht das Spielerische der Frau und das idyllische Traumszenario. Ein Spiel trägt auch immer den Charakter des Ungefährlichen mit sich. Sicher, man kann gegen Spielregeln verstoßen, aber außer nicht direkt über "Los" zu gehen und keine 2000,- Dollar zu bekommen, kann nicht viel passieren. Und dieses Gedicht zeigt kein Gewaltpotenzial oder ähnliches. Und das Traumszenario? Nun mal ehrlich, wer träumt schon von prüden, sexuell verschlossenen Frauen?
Ja, dieses Gedicht kann man verstehen als den empörten Ausdruck eines Mannes, der zum Opfer von Frauenspielereien wurde. Man kann es aber auch anders verstehen, nämlich dergestalt, dass es solche Frauen gibt, die schön sind und selbstbewusst. Die sich an ihrem Äußeren erfreuen und damit zu spielen verstehen. Und diese Frauen sind keine Gefahr für die Männer. Oder sie sollten es nicht sein. Sie verstehen sich, sie verstehen ihre Weiblichkeit. Und in diesem Spiel darf man gerne hinschauen, man darf gerne mitspielen, anschauen erlaubt, anfassen verboten. Aber in diesem Spiel mit dem Spröden gibt es nur einen Chef: Sie! Und ich glaube, Goethe hat die Frauen zu sehr genossen, um daran etwas Schlechtes zu finden.
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- kad • Perryoldie
"Die Nacht schuf tausend Ungeheuer - doch tausendfacher war mein Mut!"
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Re: Der Literarische Salon
Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848)
Ich denke dein im trauten Kreis der Freunde,
Ich denke dein in dem Gewühl der Schlacht,
Ich denke dein beim Neidgezisch der Feinde,
Und wenn die Felsenkluft vom Donner kracht.
Ich denke dein im finstern Stadtgewühle,
Und in dem Tal, wo nur der Hirte pfeift,
Ich denke dein in sehnsuchtsvoller Stille
Und auf dem Feld, wo schon die Ähre reift.
Ich denke dein, ich sitze oder stehe,
Du schwebst, o Traute, überall um mich
Und, wenn in stiller Schwermut leis ich gehe,
Vergeß ich alles, alles; nur nicht dich.
Ich denke dein im trauten Kreis der Freunde,
Ich denke dein in dem Gewühl der Schlacht,
Ich denke dein beim Neidgezisch der Feinde,
Und wenn die Felsenkluft vom Donner kracht.
Ich denke dein im finstern Stadtgewühle,
Und in dem Tal, wo nur der Hirte pfeift,
Ich denke dein in sehnsuchtsvoller Stille
Und auf dem Feld, wo schon die Ähre reift.
Ich denke dein, ich sitze oder stehe,
Du schwebst, o Traute, überall um mich
Und, wenn in stiller Schwermut leis ich gehe,
Vergeß ich alles, alles; nur nicht dich.
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- kad • Perryoldie
Amtranik setzte sich in Bewegung und ging durch die Öffnung - zurück an den Ort seines Flaggschiffs, den er vor 1,2 MillionenJahren verlassen hatte...
(aus Heft 984: Waffen der Verdammnis)
(aus Heft 984: Waffen der Verdammnis)