Der Literarische Salon

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Darmok
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Darmok »

Wer einsam ist, der hat es gut,
weil keiner da, der ihm was tut.


Wilhelm Busch (1832 - 1908)
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Tell Sackett »

Darmok hat geschrieben: 01.03.2025, 16:56
Wer einsam ist, der hat es gut,
weil keiner da, der ihm was tut.


Wilhelm Busch (1832 - 1908)
"Der Einsame" geht schon noch etwas weiter:
Ihn stört in seinem Lustrevier
Kein Tier, kein Mensch und kein Klavier,
Und niemand gibt ihm weise Lehren,
Die gut gemeint und bös zu hören.
Der Welt entronnen, geht er still
In Filzpantoffeln, wann er will.
Sogar im Schlafrock wandelt er
Bequem den ganzen Tag umher.
Er kennt kein weibliches Verbot,
Drum raucht und dampft er wie ein Schlot.
Geschützt vor fremden Späherblicken,
Kann er sich selbst die Hose flicken.
Liebt er Musik, so darf er flöten,
Um angenehm die Zeit zu töten,
Und laut und kräftig darf er prusten,
Und ohne Rücksicht darf er husten,
Und allgemach vergißt man seiner.
Nur allerhöchstens fragt mal einer:
Was, lebt er noch? Ei, Schwerenot,
Ich dachte längst, er wäre tot.
Kurz, abgesehn vom Steuerzahlen,
Läßt sich das Glück nicht schöner malen.
Worauf denn auch der Satz beruht:
Wer einsam ist, der hat es gut.[\center]
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Larsaf »

Tell Sackett hat geschrieben: 01.03.2025, 17:20
Darmok hat geschrieben: 01.03.2025, 16:56
Wer einsam ist, der hat es gut,
weil keiner da, der ihm was tut.


Wilhelm Busch (1832 - 1908)
"Der Einsame" geht schon noch etwas weiter:
(...)
Hier auch nochmal mit filmischer Untermalung.
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"Yesterday, today was tomorrow. And tomorrow, today will be yesterday."
(Gestern war heute noch morgen. Und morgen wird heute gestern sein.)
--GEORGE HARRISON, in "Ding Dong, Ding Dong" aus der Dark Horse LP (1974)
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »

Tennessee hat geschrieben: 28.02.2025, 16:04 Die Spröde
Johann Wolfgang von Goethe
[...]
Sehr schöne Analyse! :yes:

Über Goethe und die Frauen gibt es hier einen interessanten Artikel:

MDR Beitrag

Sicher, Goethe mochte Frauen sehr, aber dass Christiane Vulpius fast 20 Jahre seine, von der Weimarer Gesellschaft ignorierte, Geliebte war, bevor er sie heiratete, spricht nicht gerade für ihn. Überhaupt hatte er wohl trotz - oder vielleicht gerade wegen seiner tiefen Einsichten in die menschliche Natur - einen durchaus schwierigen Charakter.

Zumindest wurde Christiane Vulpius, wenn auch sehr spät, dann doch noch von Teilen der Weimarer Gesellschaft akzeptiert. Hilfreich dabei war vor allem Johanna Schopenhauer, die Christiane, auf Wunsch Goethes, zum Tee in ihren Literarischen Salon einlud. Bei ihrem ersten Besuch dort war Christiane sehr schüchtern und verlegen, aber Johanna Schopenhauer "nahm sie an die Hand" und führte sie in die Gesellschaft ein. Goethe versicherte daraufhin Johanna seine lebenslange Freundschaft. Zu den anderen Gästen in ihrem Salon sprach Johanna an diesem Abend die oft zitierten Worte: „Wenn Goethe ihr seinen Namen gibt, werden wir ihr wohl eine Tasse Tee geben können.“

Charlotte und Friedrich Schiller allerdings, akzeptierten die Verbindung Goethes zu Christiane auch nach der Hochzeit nicht, sie waren genauso mit Standesdünkeln behaftet, wie Frau von Stein ... :no:

Goethe war in Johanna Schopenhauers Salon ein sehr häufiger und - natürlich - gern gesehener Gast, aber als er alt und kränklich war und Johannas Salon nicht mehr besuchen konnte, löste sich dieser so nach und nach auf.


Buchtipp

Christiane und Goethe , ein sehr empfehlenswertes Buch von Sigrid Damm.
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »


***


Anastasius Grün
(Anton Alexander Graf von Auersperg)
(1808-1876)


Am Strande


Auf hochgestapelte Ballen blickt
Der Kaufherr mit Ergötzen;
Ein armer Fischer daneben flickt
Betrübt an zerrissenen Netzen.

Manch rüstig stolzbewimpelt Schiff!
Manch morsches Wrack im Sande!
Der Hafen hier, und dort das Riff,
Jetzt Flut, jetzt Ebb' am Strande.

Hier Sonnenblick, Sturmwolken dort;
Hier Schweigen, dorten Lieder,
Und Heimkehr hier, dort Abschiedswort;
Die Segel auf und nieder!

Zwei Jungfrauen sitzen am Meeresstrand;
Die eine weint in die Fluten,
Die andre mit dem Kranz in der Hand
Wirft Rosen in die Fluten.

Die eine, trüber Wehmut Bild,
Stöhnt mit geheimem Beben:
»O Meer, o Meer, so trüb und wild,
Wie gleichst du so ganz dem Leben!«

Die andre, lichter Freude Bild,
Kos't selig lächelnd daneben:
»O Meer, o Meer, so licht und mild,
Wie gleichst du so ganz dem Leben!«

Fortbraust das Meer und überklingt
Das Stöhnen wie das Kosen;
Fortwogt das Meer, und, ach, verschlingt
Die Tränen wie die Rosen.


***

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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Tennessee »

Nie mehr
Ulla Hahn

Das hab ich nie mehr gewollt
um das Telefon streichen am Fenster stehn
keinen Schritt [...]

Mehr hab ich das nie gewollt.

(1988)


Das Drei-in-Eins Paket!

Erst am Ende tauchen sie auf. Die Satzzeichen. Vier Punkte gibt es in diesem Gedicht und zwei davon schon nach jeweils einem Wort. Und alle in den letzten drei Versen. Ansonsten ist dieses Gedicht frei von allem, was in irgendeinerweise eine Art von Interpunktionsstruktur anbietet. Keine Kommas, keine Fragezeichen, deine Ausrufezeichen, nichts. Nur vier Punkte in den letzten drei Versen von insgesamt zwölf.

Inhaltlich macht Ulla Hahn erstmal keine großen Schwierigkeiten. "Das habe ich nie mehr gewollt" jammert das lyrische direkt zu Beginn, um dann mit allen Klischees loszulegen, die die liebeskummernde Seele erleben kann: am Telefon auf einen Anruf warten, heimlich aus dem Fenster nach dem Geliebten spähen (er könnte ja auch heimlich das Fenster beobachten; wobei hier aber auch gar keine eindeutige Mann/Frau-Situation benannt wird), mangelnde Unternehmenslust, Liebesbriefe schreiben (und die dann direkt zerreißen) und sowieso Herzensqual im ganz allgemeinen. Und jedesmal hämmert uns das lyrische Ich wiederholend winselnd ein: "das hab ich nie mehr gewollt", dass man schon ganz genervt aufbrüllen möchte: Jaha! Ich weiß es mittlerweile!

Die quälende Rastlosigkeit und Hektik zeigt Ulla Hahn einmal durch die fehlenden Satzzeichen. Es gibt nichts, was diese Litanei des Jammerns strukturiert oder ordnet. Die Sätze fließen ineinander über, wie auch der Gefühlszustand des lyrische Ichs keinen Ablauf kennt, sondern sich in einem permanenten Dauerzustand der Qual befindet. Zusätzlich befeuert sie die Atemlosigkeit dieses Zustandes durch einen kleinen, feinen Reim, der sich aber nicht nur in den Enden der Strophen zeigt ("am Fenster stehn"/Gespenster sehn"), sondern der auch noch durch einen zusätzlichen Binnenreim ("aus dem Haus gehen") weitere Hektik und Geschwindigkeit aufbaut. Ein Mittel, das in der Rapmusik mittlerweile zum kleinen Einmaleins des Rhythmisierens zählt.
Erst fast zum Ende rotzt das lyrische Ich trotzig raus: "Soll dich der Teufel holen." Und da ist er: der Punkt. Fast schon abgehackt folgen zwei Wörter: "Herbringen" Punkt. "Schnell" Punkt. Um dann mit einer kuriosen Variante des Jammer-Satzes zu enden: "Mehr habe ich das nie gewollt."

Im Deutschen werden am Satzanfang gerne die Betonungen gelegt. Und im letzten Satz des Gedichtes steht das Wort "mehr" plötzlich am Anfang, in der Betonung. Und man stellt verwirrend fest, dass das Gedicht eine ganz andere Nuance und Bedeutung bekommt, wenn man nur ein einziges Wort in diesem Gedicht anders beton: mehr.

Bedeutet "Das habe ich nie mehr gewollt" nun so viel wie, dass man etwas nie wieder wollte oder bedeutet "Das habe ich nie mehr gewollt" so viel wie, dass man etwas nie so stark und intensiv gewollt hat. Was ist das für eine Person, die da jammert? Hat sie nun eine Liebesqual oder liebt sie die Qual? Das Gedicht erhält einen gemeinen doppelten Boden: Zwei Gedichte in einem Text. Oder doch nur ein Gedicht in einem Text?

Ulla Hahn bietet dem Leser hier letztendlich sogar drei Lesemöglichkeiten an: Ein Gedicht über den Liebeskummer, ein Gedicht über den (wohlbekannten) Genuss des Liebeskummers und letztendlich einen Text über den immerchangierenden Prozess von Liebesleid und Liebesfreud. Das rief auch mal jemand anders aus: "Verdammt ich lieb dich, ich lieb dich nicht!". Tanzbar passend im 4/4 Takt. Aber wie viel eleganter ist Ulla Hahns Himmelhochjauchzend zu Tode betrübt
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »


***

Luise von Plönnies
(1803-1872)


Frauenliebe


Frauenliebe ist die Quell' im Thale,
Die, ob festes Eis sie noch umschließt,
Bei dem ersten warmen Sonnenstrahle
Wieder reicher wallend sich ergießt.

Frauenlieb' ist gleich dem Rosenstrauche;
Ob ihm Nord und Sturm die Blüten raubt,
Bei dem ersten warmen Frühlingshauche
Hebt aufs neu' erblühend er das Haupt.

Frauenlieb' ist gleich dem Abendsterne,
Scheint vergebens er auch tausendmal,
Ruhig harrt er in der blauen Ferne,
Bis ein liebend Aug' erkennt den Strahl.


***
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »

Da mir die Vergünstigung eines offiziellen Studiums nie vergönnt war, nahm ich auch nie an einem 'G.I.' teil . . . :-D


Wiki:

Gaudeamus Igitur (lateinisch für 'Lasst uns also fröhlich sein!'), auch bekannt unter dem Titel 'De brevitate vitae' (lat. für 'Über die Kürze des Lebens'), ist ein Studentenlied mit lateinischem Text und gilt als das berühmteste traditionelle Studentenlied der Welt.

Es ist in vielen Ländern Europas, in der angelsächsischen Welt sowie in Teilen Asiens und Lateinamerikas bekannt. Teilweise gibt es Übersetzungen in die jeweiligen Landessprachen. Seit dem 18. Jahrhundert gibt es auch verschiedene deutschsprachige Versionen.

Die ersten Textspuren dieses Liedes finden sich im Mittelalter. In den nächsten Jahrhunderten tauchen weitere Hinweise in der Literatur auf, die vermuten lassen, dass zumindest Textpassagen über einen langen Zeitraum hinweg in der mündlichen Überlieferung weitergetragen worden sein müssen. Literarisch von Christian Wilhelm Kindleben bearbeitet, erscheint der Text im ersten gedruckten studentischen Liederbuch von 1781 und wird im 19. Jahrhundert zu einem prominenten Bestandteil studentischer Liederbücher im deutschen Sprachraum, aber auch in anderen Ländern.

Die Melodie erscheint 1788 erstmals im Druck und wird seitdem fest mit dem Text 'Gaudeamus Igitur' verknüpft. Text und Melodie bilden heute eine Einheit und erfreuen sich in vielen Ländern der Welt hoher Wertschätzung in akademischen Kreisen.


Start bei Sek.14

Zuletzt geändert von Perryoldie am 05.03.2025, 06:55, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »

Wenn der Sternenfall beginnt ...


Mein Gott was für ein Morgen - by Winters & Owens


Spoiler
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »


***


Ludwig Pfau
(1831-1894)


Fassung


Kaum ruhte ich in ihren Armen
Wie nach dem Sturm im Hafen aus,
So reißt die Welle ohn' Erbarmen
Mich wieder in die See hinaus.

So tobt denn, Winde! heule, Brandung!
Ihr wilden Fluten meint es gut –
Nur nach dem Sturme freut die Landung,
Und nur im Kampfe reift der Mut.


***
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von kad »


***


Gottfried Keller
(1819 - 1890)


Die öffentlichen Verleumder


Ein Ungeziefer ruht
In Staub und trocknem Schlamme
Verborgen, wie die Flamme
In leichter Asche tut.
Ein Regen, Windeshauch
Erweckt das schlimme Leben,
Und aus dem Nichts erheben
Sich Seuchen, Glut und Rauch.

Aus dunkler Höhle fährt
Ein Schächer, um zu schweifen;
Nach Beuteln möcht er greifen
Und findet bessern Wert:
Er findet einen Streit
Um Nichts, ein irres Wissen,
Ein Banner, das zerrissen,
Ein Volk in Blödigkeit.

Er findet, wo er geht,
Die Leere dürft’ger Zeiten,
Da kann er schamlos schreiten,
Nun wird er ein Prophet!
Auf einen Kehricht stellt
Er seine Schelmenfüße
Und zischelt seine Grüße
In die verblüffte Welt.

Gehüllt in Niedertracht,
Gleichwie in einer Wolke,
Ein Lügner vor dem Volke,
Ragt bald er groß an Macht
Mit seiner Helfer Zahl,
Die hoch und niedrig stehend,
Gelegenheit erspähend,
Sich bieten seiner Wahl.

Sie teilen aus sein Wort,
Wie einst die Gottesboten
Getan mit den fünf Broten,
Das klecket fort und fort!
Erst log allein der Hund,
Nun lügen ihrer Tausend;
Und wie ein Sturm erbrausend,
So wuchert jetzt sein Pfund.

Hoch schießt empor die Saat,
Verwandelt sind die Lande,
Die Menge lebt in Schande
Und lacht der Schofeltat!
Jetzt hat sich auch erwahrt,
Was erstlich war erfunden:
Die Guten sind verschwunden,
Die Schlechten stehn geschart!

Wenn einstmals diese Not
Lang wie ein Eis gebrochen,
Dann wird davon gesprochen
Wie von dem schwarzen Tod;
Und einen Strohmann baun
Die Kinder auf der Haide,
Zu brennen Lust aus Leide
Und Licht aus altem Graun.


***
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Amtranik »

Karl Ludwig Giesecke (1761- 1833)

Die Nachtreise (Beresinalied)

Unser Leben gleicht der Reise
Eines Wandrers in der Nacht;
Jeder hat auf seinem Gleise
Vieles, das ihm Kummer macht;

Aber unerwartet schwindet
Vor uns Nacht und Dunkelheit,
Und der Schwergedrückte findet
Linderung für sein Leid.

Darum laßt uns weiter gehen!
Weichet nicht verzagt zurück!
Hinter jenen fernen Höhen
Wartet unsrer noch ein Glück.

Muthig, muthig, liebe Brüder!
Gebt die bangen Sorgen auf!
Morgen geht die Sonne wieder
Freundlich an dem Himmel auf.


https://youtu.be/CXTMDmr9n-M?si=vvLOzo3aebUUVkkz
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(aus Heft 984: Waffen der Verdammnis)
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »

.
Arthur Rimbaud

Bild

Foto: Étienne Carjat, 1872




***

Arthur Rimbaud
(1854 -1891)



Das trunkene Schiff


***


Da das Gedicht etwas länger ist, habe ich es in einen Spoiler gepackt.

Spoiler

***

Hinab glitt ich die Flüsse, von träger Flut getragen,
da fühlte ich: es zogen die Treidler mich nicht mehr.
Sie waren, von Indianern ans Marterholz geschlagen,
ein Ziel an buntem Pfahle, Gejohle um sich her.

Ich scherte mich den Teufel um Männer und um Frachten;
wars flämisch Korn, wars Wolle, mir war es einerlei.
Vorbei war der Spektakel, den sie am Ufer machten,
hinunter gings die Flüsse, wohin, das stand mir frei.

Derweil die Tide tobte und klatschte an den Dämmen,
flog ich, und es war Winter, wie Kinderhirne stumpf, dahin.
Und wär es möglich, daß jemals Inseln schwämmen,
kein solcher Gischt umbraust’ sie, kein ähnlicher Triumph.

Ein leichter Korken, tanzt ich dahin auf steiler Welle:
die erste Meerfahrt haben die Stürme benedeit.
Von solcher Welle heißt es, sie töte und sie fälle –
Die albernen Laternen der Häfen blieben weit!

So süß kann Kindermündern kein grüner Apfel schmecken,
wie mir das Wasser schmeckte, das grün durchs Holz mir drang.
Rein wuschs mich vom Gespeie und von den Blauweinflecken,
fort schleudert es das Steuer, der Draggen barst und sank.

Des Meers Gedicht! Jetzt konnt ich mich frei darin ergehen,
Grünhimmel trank ich, Sterne, taucht ein in milchigen Strahl
und konnt die Wasserleichen zur Tiefe gehen sehen:
ein Treibgut, das versonnen und selig war und fahl.

Die Rhythmen und Delirien, das Blau im rauchigen Schleier,
verfärbt sind sie im Nu hier, versengt sind sie, verzehrt:
so brannte noch kein Branntwein, kein Lied und keine Leier,
wie hier das bittre Rostrot der Liebe brennt und gärt!

Ich weiß, wie Himmel bersten, ich kenn die Dämmerungen,
die Strömung und die Dünung, die Woge, die sich bäumt,
die Früh – verzückt wie Tauben, die sich emporgeschwungen,
und manchmal sah mein Auge, was Menschenauge träumt.

Ich sah die Sonne hängen – mystisch geflecktes Grauen,
und violett, geronnen, Leuchtstreifen, endlos weit,
und sah die Fluten schaufeln und groß die Bühne bauen,
ein Schauspiel sah ich spielen, das alt war wie die Zeit!

Im Traum sah ich die Schneenacht, die grüne, sich erheben:
ein Kuß stieg zu den Augen der Meeres-Au empor.
Ein Kreisen wars von Säften, ein unerhörtes Weben,
und blau und gelb erwachte der singende Phosphor!

Ich folgt und folgt der Horde von wildgewordnen Kühen:
der See, die Klippen stürmte, folgt ich auf ihrem Ritt.
Vergessen wart ihr, Füße der leuchtenden Marien:
hier keuchten Meeresmäuler – sie schloß kein Heiligentritt!

Wißt ihr, ich lief auf Land auf, wie ihrs nicht schaut im Traume:
Des Menschenpanthers Augen – den Blumen beigesellt!
Ich sah im weitgespannten, im Regenbogenzaume
flutgrün die Herden ziehen am Grund der Meereswelt.

Ich sah, wie’s in den Sümpfen, den Riesenreusen, gärte,
darin den Leviathan, verwesend zwischen Tang.
Und Wasserstürze sah ich, wo sich die Stille mehrte,
und schaute, wie die Ferne zur Tiefe niedersank!

Sah Gletscher, Silbersonnen, Gluthimmel, Perlmuttfluten,
den braunen Golf, wo greulich ein Wrack beim andern steht,
und sah die Riesenschlange, ein Fraß der Wanzenbruten,
vom Krüppelbaume fallen, von schwarzem Duft umweht!

Wo seid ihr, Kinderaugen, zu schaun die Herrlichkeiten?
Das Schuppengold der Welle, den Goldfisch, der da singt!
– Dies schaumumblühte Driften, dies Zwischen-Blumen-Gleiten!
Der Wind, der Wind unsäglich, der meine Fahrt beschwingt!

Und litt ich Pein, der Pole und Wendekreise müde,
so schluchzt’ es in den Wassern, ich schlingerte dahin,
mit gelbem Saugnapf tauchte empor die Schattenblüte –
ein Weib, so blieb ich liegen, ein Weib auf Weibesknien.

Gewölle und Gezänke hab ich an Bord genommen,
ich war das Vogel-Eiland – blond äugte, was da flog.
Ich trieb mit loser Spante, ich schwamm und ward durchschwommen:
ein Leichnam um den andern, der rücklings schlafwärts zog.

Und ich – verstrickt, verloren im Haar geheimer Buchten,
hinauf ins Vogellose geworfen vom Orkan:
sie fahren nicht, die Klipper, die Koggen, die mich suchten,
des wassertrunknen Rumpfes nimmt sich kein Schlepptau an.

Frei war ich und ich rauchte, von Nebelblau bestiegen,
ich stieß durch Feuerhimmel, ich stieß sie alle ein,
und was den Dichtern mundet, das fühlt ich auf mir liegen:
es waren Sonnenflechten, es war azurner Schleim.

Ich – mondgefleckt, elektrisch: die tollgewordne Planke!
Seepferdchen kam in Scharen und war mein schwarzer Troß.
Ihr Himmel blau und tiefblau, ich sah euch alle wanken,
ich sah, wie euch der Juli durch Glutentrichter goß!

Der Behemoth, der Mahlstrom durchstöhnte jene Breiten,
ich spürte beider Brunstlaut – ein Schauder ging durch mich,
ich schwamm und schwamm durch blaue, durch Regungslosigkeiten –
Europa, deine Wehren, die alten misse ich!

Und ich sah Inselsterne, sah Archipele ragen,
darüber Fieberhimmel – das Tor der Wanderschaft!
– Hats dich dorthin, ins Nächtige und Nächtigste verschlagen,
du goldnes Vogeltausend, du künftige, du Kraft?

Doch wahr, genug des Weinens! Der Morgen muß enttäuschen.
Ob Nacht-, ob Taggestirne, keins, das nicht bitter wär:
ich schwoll von herber Liebe, erstarrt in Liebesräuschen –
O du mein Kiel, zersplittre! Und über mir sei, Meer!

Und gäb es in Europa ein Wasser, das mich lockte,
so wärs ein schwarzer Tümpel, kalt, in der Dämmernis,
an dem dann eins der Kinder, voll Traurigkeiten, hockte
und Boote, falterschwache, und Schiffchen segeln ließ’.

Wen du umschmiegt hast, Woge, um den ist es geschehen,
der zieht nicht hinter Frachtern und Baumwollträgern her!
Nie komm ich da vorüber, wo sich die Fahnen blähen,
und wo die Brücken glotzen, da schwimm ich nimmermehr!


***


WIKI:

'Das trunkene Schiff' (französisch Le Bateau ivre) gilt als das bekannteste Gedicht des französischen Dichters Arthur Rimbaud. Es schildert die Lebensreise eines Schiffes aus dessen Sicht.

Das Schiff beschreibt, wie es sich losreißt von seinen Fesseln in den „unbewegten Flüssen“ und sich dem offenen Meer hingibt. Es beschreibt, was es auf seiner Reise erlebt: dramatische Naturerscheinungen, „die bittere Röte der Liebe“, aber auch harmonische Stille, „schwärmen wie ein Volk von Tauben“. Es begegnet fremden Welten und Abgründen und erlebt rauschhafte, ekstatische Zustände.

Rimbaud brachte das Gedicht 1871, im Alter von 17 Jahren, mit nach Paris und stellte es seinen Freunden und Förderern vor. Geschrieben wurde es aber wahrscheinlich schon früher und überliefert ist es nur durch eine Abschrift Paul Verlaines. In den literarischen Kreisen von Paris erregte es sofort Aufmerksamkeit und machte Rimbaud bekannt.

'Das trunkene Schiff' gilt als eines der frühesten Zeugnisse des literarischen Symbolismus und als eine Vorwegnahme surrealistischer Inhalte.
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »

Rückerts Gedanken zu den Phänomenen Zeit und Ewigkeit.




***

Friedrich Rückert
(1788-1866)



Was ist die Zeit


Du fragst, was ist die Zeit? Und was die Ewigkeit?
Wo hebt sich Ew'ges an und hebet auf die Zeit?

Die Zeit, sobald du sie aufhebst, ist aufgehoben,
Wo dich das Ewige zu sich erhebt nach oben.

Die Zeit ist nicht, es ist allein die Ewigkeit,
Die Ewigkeit allein ist ewig in der Zeit.

Sie ist das in der Zeit sich stets gebärende,
Als wahre Gegenwart die Zeit durchwährende.

Wo die Vergangenheit und Zukunft ist geschwunden
In Gegenwart, da hast du Ewigkeit empfunden.

Wo du Vergangenheit und Zukunft hast empfunden
Als Gegenwart, da ist die Ewigkeit gefunden.


***

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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »


Gedanken zur Zeit



***


Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben,
sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen.

Lucius Annaeus Seneca
(1- 65 n. Chr.)


***


Liebst du das Leben?
Dann vergeude keine Zeit, denn daraus besteht das Leben.

Benjamin Franklin
(1706-1790)


***


Jetzt sind die guten alten Zeiten,
nach denen wir uns in zehn Jahren zurücksehnen.

Peter Ustinov
(1921-2004)


***


Es gibt Diebe, die nicht bestraft werden
und einem doch das Kostbarste stehlen: die Zeit.

Napoleon Bonaparte
(1769-1821)



***


Das Leben ist kurz, weniger wegen der kurzen Zeit, die es dauert,
sondern weil uns von dieser kurzen Zeit fast keine bleibt, es zu genießen.

Jean-Jacques Rousseau
(1712-1778)


***


Jede Zeit ist umso kürzer, je glücklicher man ist.

Gaius Plinius Secundus Maior
(23-79 n. Chr.)


***


Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt,
der andere packt sie an und handelt.

Dante Alighieri
(1265-1321)



***


Verschwendete Zeit ist Dasein.
Gebrauchte Zeit ist Leben.

Edward Young
(1683-1765)


***
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