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Re: Der Literarische Salon

Verfasst: 01.06.2025, 11:48
von Perryoldie
Auch ich hatte meine Romantiker - Sturm-und Drangzeit und war sehr fasziniert, nicht nur von der Literatur, sondern vor allem von der Zeit an sich und von den Lebensläufen- und Geschichten der wenigen Dichterinnen und der vielen Dichter.

Rous2 hat geschrieben: 31.05.2025, 19:43 In Auszügen (wie bei obigem Zitat aus »Die Einsame« – das hat Perryoldie geschickt gemacht) ...
Zu viel der Ehre, ja, ich möcht' sogar sagen, viel zuviel :-D , denn mir war nicht bekannt, dass das von mir gepostete nur ein Auszug war (man kann ja nicht alles wissen) - und nur Auszüge würde ich nicht posten, zumindest nicht, ohne sie als solche zu kennzeichnen.

Wieder etwas gelernt :yes: und hier nun also das komplette Werk, in welchem ich auch noch so manch' anderen schönen Vers fand. :-)



***

Joseph von Eichendorff
(1788-1857)



Die Einsame


1

Wenn morgens das fröhliche Licht bricht ein,
Tret ich zum offenen Fensterlein,
Draußen gehn lau die Lüft auf den Auen,
Singen die Lerchen schon hoch im Blauen,
Rauschen am Fenster die Bäume gar munter,
Ziehn die Brüder in den Wald hinunter;
Und bei dem Sange und Hörnerklange
Wird mir immer so bange, bange.

Wüßt ich nur immer, wo du jetzo bist,
Würd mir schon wohler auf kurze Frist.
Könntest du mich nur über die Berge sehen
Dein gedenkend im Garten gehen:
Dort rauschen die Brunnen jetzt alle so eigen,
Die Blumen vor Trauern im Wind sich neigen.
Ach! von den Vöglein über die Tale
Sei mir gegrüßt vieltausend Male!

Du sagtest gar oft: »Wie süß und rein
Sind deine blauen Äugelein!«
Jetzo müssen sie immerfort weinen,
Da sie nicht finden mehr, was sie meinen;
Wird auch der rote Mund erblassen,
Seit du mich, süßer Buhle, verlassen.
Eh du wohl denkst, kann das Blatt sich wenden,
Geht alles gar bald zu seinem Ende.


2

Die Welt ruht still im Hafen,
Mein Liebchen, gute Nacht!
Wann Wald und Berge schlafen,
Treu' Liebe einsam wacht.

Ich bin so wach und lustig,
Die Seele ist so licht,
Und eh ich liebt, da wußt ich
Von solcher Freude nicht.

Ich fühl mich so befreiet
Von eitlem Trieb und Streit,
Nichts mehr das Herz zerstreuet
In seiner Fröhlichkeit.

Mir ist, als müßt ich singen
So recht aus tiefster Lust
Von wunderbaren Dingen,
Was niemand sonst bewußt.

O könnt ich alles sagen!
O wär ich recht geschickt!
So muß ich still ertragen,
Was mich so hoch beglückt.


3

Wär's dunkel, ich läg im Walde,
Im Walde rauscht's so sacht,
Mit ihrem Sternenmantel
Bedecket mich da die Nacht,
Da kommen die Bächlein gegangen:
Ob ich schon schlafen tu?
Ich schlaf nicht, ich hör noch lange
Den Nachtigallen zu,
Wenn die Wipfel über mir schwanken,
Es klinget die ganze Nacht,
Das sind im Herzen die Gedanken,
Die singen, wenn niemand wacht.


4

Im beschränkten Kreis der Hügel,
Auf des stillen Weihers Spiegel
Scheue, fromme Silberschwäne
Fassend in des Rosses Mähne
Mit dem Liebsten kühn im Bügel
Blöde Bande - mut'ge Flügel
Sind getrennter Lieb Gedanken!


***

Re: Der Literarische Salon

Verfasst: 02.06.2025, 08:43
von Perryoldie

***


Justinus Kerner
(1786-1862)



Das Seltenste


Steig in der Erde Nacht!
Wohl manchen edlen Stein
Findst du in stillem Schacht,
Der unversehrt und rein.

Tauch' in des Meeres Grund,
Such' am einsamen Riff!
Manch Perle rein und rund
Hascht ein geschickter Griff.

Geh hin, wo sich ohn' Ruh'
Der Menschenmarkt bewegt, –
Nicht ein Herz findest du,
Das keine Narbe trägt.


***

Re: Der Literarische Salon

Verfasst: 02.06.2025, 10:00
von kad

***


Hugo von Hofmannsthal
(1874-1929)



Die Beiden (1896)


Sie trug den Becher in der Hand
- Ihr Kinn und Mund glich seinem Rand -,
So leicht und sicher war ihr Gang,
Kein Tropfen aus dem Becher sprang.

So leicht und fest war seine Hand:
Er ritt auf einem jungen Pferde,
Und mit nachlässiger Gebärde
Erzwang er, daß es zitternd stand.

Jedoch, wenn er aus ihrer Hand
Den leichten Becher nehmen sollte,
So war es beiden allzu schwer:

Denn beide bebten sie so sehr,
Daß keine Hand die andre fand
Und dunkler Wein am Boden rollte.


***

Re: Der Literarische Salon

Verfasst: 03.06.2025, 15:40
von Perryoldie

***

Walther von der Vogelweide
(* um 1170 - † um 1230)



Ach, erlebt' ich's einmal noch!



Ach, erlebt' ich's einmal noch!
Daß wir die Rosen miteinander brächen!
Ach, erlebt' ich's noch zum Heil uns beiden!
Daß wir freundlich wie zwei Liebste sprächen!

Nichts vermöchte uns dann mehr zu scheiden.
Küßte sie mich dann zu guter Stunde
Mit dem roten Munde,
Braucht' an Glück ich nie mehr Not zu leiden.


***

Re: Der Literarische Salon

Verfasst: 04.06.2025, 14:24
von Perryoldie

***


Eduard von Bauernfeld
(1802-1890)



Rückblick


Und so sind sie hingeschwunden,
Jahre, voll von Leid und Glück,
Tief im Innersten empfunden –
Lächelnd schau ich jetzt zurück.

Jugendgärung ist vorüber,
Fühle Ruhe, fühle Kraft;
Doch die Unruh' war mir lieber,
Die nur einzig zeugt und schafft!


***

Re: Der Literarische Salon

Verfasst: 05.06.2025, 11:06
von Perryoldie


***


Heinrich Heine
(Christian Johann Heinrich Heine) (Harry Heine)
(1797-1856)



Wo du auch wandelst



Überall wo du auch wandelst,
Schaust du mich zu allen Stunden,
Und je mehr du mich mißhandelst,
Treuer bleib ich dir verbunden.

Denn mich fesselt holde Bosheit,
Wie mich Güte stets vertrieben;
Willst du sicher meiner los sein,
Mußt du dich in mich verlieben.


***

Re: Der Literarische Salon

Verfasst: 05.06.2025, 11:08
von kad
Mmmh, ich rätsle…

Re: Der Literarische Salon

Verfasst: 05.06.2025, 11:19
von Perryoldie
kad hat geschrieben: 05.06.2025, 11:08 Mmmh, ich rätsle…
Und ich bin untröstlich, denn ich habe wieder einmal :blush: nur einen Auszug gebracht, wie er halt in meiner Sammlung zu finden war.

Tatsächlich handelt es sich hier um Heines Gedicht 'Clarisse'.

Text:

Spoiler


***


1

Meinen schönsten Liebesantrag
Suchst du ängstlich zu verneinen;
Frag ich dann: ob das ein Korb sei?
Fängst du plötzlich an zu weinen.

Selten bet ich, drum erhör mich,
Lieber Gott! Hilf dieser Dirne,
Trockne ihre süßen Tränen
Und erleuchte ihr Gehirne.


2

Überall, wo du auch wandelst,
Schaust du mich zu allen Stunden,
Und je mehr du mich mißhandelst,
Treuer bleib ich dir verbunden.

Denn mich fesselt holde Bosheit,
Wie mich Güte stets vertrieben;
Willst du sicher meiner los sein,
Mußt du dich in mich verlieben.


3

Hol' der Teufel deine Mutter,
Hol' der Teufel deinen Vater,
Die so grausam mich verhindert,
Dich zu schauen im Theater.

Denn sie saßen da und gaben,
Breitgeputzt, nur seltne Lücken,
Dich im Hintergrund der Loge,
Süßes Liebchen, zu erblicken.

Und sie saßen da und schauten
Zweier Liebenden Verderben,
Und sie klatschten großen Beifall,
Als sie beide sahen sterben.


4

Geh nicht durch die böse Straße,
Wo die schönen Augen wohnen -
Ach! sie wollen allzugütig
Dich mit ihrem Blitz verschonen.

Grüßen allerliebst herunter
Aus dem hohen Fensterbogen,
Lächeln freundlich (Tod und Teufel!)
Sind dir schwesterlich gewogen.

Doch du bist schon auf dem Wege,
Und vergeblich ist dein Ringen;
Eine ganze Brust voll Elend
Wirst du mit nach Hause bringen.


5

Es kommt zu spät, was du mir lächelst,
Was du mir seufzest, kommt zu spät!
Längst sind gestorben die Gefühle,
Die du so grausam einst verschmäht.

Zu spät kommt deine Gegenliebe!
Es fallen auf mein Herz herab
All deine heißen Liebesblicke,
Wie Sonnenstrahlen auf ein Grab.


Nur wissen möcht ich: wenn wir sterben,
Wohin dann unsre Seele geht?
Wo ist das Feuer, das erloschen?
Wo ist der Wind, der schon verwehe?


***

Interpretation bei Abi-Pur.


---


P.S.

Auch diesen Auszug aus dem Gedicht findet man häufig "alleinstehend" zitiert:

Selten bet ich, drum erhör mich,
Lieber Gott! Hilf dieser Dirne,
Trockne ihre süßen Tränen
Und erleuchte ihr Gehirne.