Der Literarische Salon

Romane, Krimis, SF+Fantasy ... alles was Leseratten interessiert
Benutzeravatar
Perryoldie
Beiträge: 3396
Registriert: 24.06.2024, 09:12
Wohnort: Nordfiesland
Hat sich bedankt: 884 Mal
Danksagung erhalten: 649 Mal

Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »

Auch ich hatte meine Romantiker - Sturm-und Drangzeit und war sehr fasziniert, nicht nur von der Literatur, sondern vor allem von der Zeit an sich und von den Lebensläufen- und Geschichten der wenigen Dichterinnen und der vielen Dichter.

Rous2 hat geschrieben: 31.05.2025, 19:43 In Auszügen (wie bei obigem Zitat aus »Die Einsame« – das hat Perryoldie geschickt gemacht) ...
Zu viel der Ehre, ja, ich möcht' sogar sagen, viel zuviel :-D , denn mir war nicht bekannt, dass das von mir gepostete nur ein Auszug war (man kann ja nicht alles wissen) - und nur Auszüge würde ich nicht posten, zumindest nicht, ohne sie als solche zu kennzeichnen.

Wieder etwas gelernt :yes: und hier nun also das komplette Werk, in welchem ich auch noch so manch' anderen schönen Vers fand. :-)



***

Joseph von Eichendorff
(1788-1857)



Die Einsame


1

Wenn morgens das fröhliche Licht bricht ein,
Tret ich zum offenen Fensterlein,
Draußen gehn lau die Lüft auf den Auen,
Singen die Lerchen schon hoch im Blauen,
Rauschen am Fenster die Bäume gar munter,
Ziehn die Brüder in den Wald hinunter;
Und bei dem Sange und Hörnerklange
Wird mir immer so bange, bange.

Wüßt ich nur immer, wo du jetzo bist,
Würd mir schon wohler auf kurze Frist.
Könntest du mich nur über die Berge sehen
Dein gedenkend im Garten gehen:
Dort rauschen die Brunnen jetzt alle so eigen,
Die Blumen vor Trauern im Wind sich neigen.
Ach! von den Vöglein über die Tale
Sei mir gegrüßt vieltausend Male!

Du sagtest gar oft: »Wie süß und rein
Sind deine blauen Äugelein!«
Jetzo müssen sie immerfort weinen,
Da sie nicht finden mehr, was sie meinen;
Wird auch der rote Mund erblassen,
Seit du mich, süßer Buhle, verlassen.
Eh du wohl denkst, kann das Blatt sich wenden,
Geht alles gar bald zu seinem Ende.


2

Die Welt ruht still im Hafen,
Mein Liebchen, gute Nacht!
Wann Wald und Berge schlafen,
Treu' Liebe einsam wacht.

Ich bin so wach und lustig,
Die Seele ist so licht,
Und eh ich liebt, da wußt ich
Von solcher Freude nicht.

Ich fühl mich so befreiet
Von eitlem Trieb und Streit,
Nichts mehr das Herz zerstreuet
In seiner Fröhlichkeit.

Mir ist, als müßt ich singen
So recht aus tiefster Lust
Von wunderbaren Dingen,
Was niemand sonst bewußt.

O könnt ich alles sagen!
O wär ich recht geschickt!
So muß ich still ertragen,
Was mich so hoch beglückt.


3

Wär's dunkel, ich läg im Walde,
Im Walde rauscht's so sacht,
Mit ihrem Sternenmantel
Bedecket mich da die Nacht,
Da kommen die Bächlein gegangen:
Ob ich schon schlafen tu?
Ich schlaf nicht, ich hör noch lange
Den Nachtigallen zu,
Wenn die Wipfel über mir schwanken,
Es klinget die ganze Nacht,
Das sind im Herzen die Gedanken,
Die singen, wenn niemand wacht.


4

Im beschränkten Kreis der Hügel,
Auf des stillen Weihers Spiegel
Scheue, fromme Silberschwäne
Fassend in des Rosses Mähne
Mit dem Liebsten kühn im Bügel
Blöde Bande - mut'ge Flügel
Sind getrennter Lieb Gedanken!


***
'Ich bin in vielen Welten zu Hause.' (Philip K. Dick)
Benutzeravatar
Perryoldie
Beiträge: 3396
Registriert: 24.06.2024, 09:12
Wohnort: Nordfiesland
Hat sich bedankt: 884 Mal
Danksagung erhalten: 649 Mal

Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »


***


Justinus Kerner
(1786-1862)



Das Seltenste


Steig in der Erde Nacht!
Wohl manchen edlen Stein
Findst du in stillem Schacht,
Der unversehrt und rein.

Tauch' in des Meeres Grund,
Such' am einsamen Riff!
Manch Perle rein und rund
Hascht ein geschickter Griff.

Geh hin, wo sich ohn' Ruh'
Der Menschenmarkt bewegt, –
Nicht ein Herz findest du,
Das keine Narbe trägt.


***
Folgende Benutzer bedankten sich beim Autor Perryoldie für den Beitrag (Insgesamt 2):
kadAmtranik
'Ich bin in vielen Welten zu Hause.' (Philip K. Dick)
kad
Beiträge: 3409
Registriert: 21.06.2024, 15:28
Hat sich bedankt: 225 Mal
Danksagung erhalten: 224 Mal

Re: Der Literarische Salon

Beitrag von kad »


***


Hugo von Hofmannsthal
(1874-1929)



Die Beiden (1896)


Sie trug den Becher in der Hand
- Ihr Kinn und Mund glich seinem Rand -,
So leicht und sicher war ihr Gang,
Kein Tropfen aus dem Becher sprang.

So leicht und fest war seine Hand:
Er ritt auf einem jungen Pferde,
Und mit nachlässiger Gebärde
Erzwang er, daß es zitternd stand.

Jedoch, wenn er aus ihrer Hand
Den leichten Becher nehmen sollte,
So war es beiden allzu schwer:

Denn beide bebten sie so sehr,
Daß keine Hand die andre fand
Und dunkler Wein am Boden rollte.


***
Folgende Benutzer bedankten sich beim Autor kad für den Beitrag (Insgesamt 2):
PerryoldieAmtranik
Benutzeravatar
Perryoldie
Beiträge: 3396
Registriert: 24.06.2024, 09:12
Wohnort: Nordfiesland
Hat sich bedankt: 884 Mal
Danksagung erhalten: 649 Mal

Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »


***

Walther von der Vogelweide
(* um 1170 - † um 1230)



Ach, erlebt' ich's einmal noch!



Ach, erlebt' ich's einmal noch!
Daß wir die Rosen miteinander brächen!
Ach, erlebt' ich's noch zum Heil uns beiden!
Daß wir freundlich wie zwei Liebste sprächen!

Nichts vermöchte uns dann mehr zu scheiden.
Küßte sie mich dann zu guter Stunde
Mit dem roten Munde,
Braucht' an Glück ich nie mehr Not zu leiden.


***
Folgende Benutzer bedankten sich beim Autor Perryoldie für den Beitrag (Insgesamt 2):
Amtranikkad
'Ich bin in vielen Welten zu Hause.' (Philip K. Dick)
Benutzeravatar
Perryoldie
Beiträge: 3396
Registriert: 24.06.2024, 09:12
Wohnort: Nordfiesland
Hat sich bedankt: 884 Mal
Danksagung erhalten: 649 Mal

Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »


***


Eduard von Bauernfeld
(1802-1890)



Rückblick


Und so sind sie hingeschwunden,
Jahre, voll von Leid und Glück,
Tief im Innersten empfunden –
Lächelnd schau ich jetzt zurück.

Jugendgärung ist vorüber,
Fühle Ruhe, fühle Kraft;
Doch die Unruh' war mir lieber,
Die nur einzig zeugt und schafft!


***
'Ich bin in vielen Welten zu Hause.' (Philip K. Dick)
Antworten