Seite 31 von 46

Re: Der Literarische Salon

Verfasst: 14.02.2025, 20:34
von Rous2
Perryoldie hat geschrieben: 14.02.2025, 14:41
Paul Verlaine
(1844-1896)

Der Himmel über dem Haus
Ja, Verlaine darf hier nicht fehlen. Und das ist auch gleich sein vielleicht berühmtestes Gedicht. (Die Anfangsverse werden in praktisch jeder französischen Grammatik oder jedem Wörterbuch zitiert – im Robert zum Beispiel beim Wort ciel, Himmel.)
Wobei leider durch die Übersetzung viel von der Melodie verlorengeht, die Hans Scholl in einem Brief an seine Schwester Sophie rühmte:
Statt dessen hätte ich Dir lieber von meiner gestrigen Wanderung am Ammersee erzählt, von Muscheln, die das Wasser an den Strand geworfen, von bunten Steinen, dem Nebel über dem Moor und dem Aufglimmen des blassen Abendsterns. [...]
Manch schönes Wort bleibt in unserem Munde verschlossen, weil das Unheil drohend über uns liegt. Als ich nach Hause gekommen war, blätterte ich in einer Zeitschrift und fand dieses Gedicht von Verlaine:

ciel est par-dessus le toit, si bleu, si calme!
Un arbre, par-dessus le toit, berce sa palme.
La cloche, dans le ciel qu'on voit, doucement tinte;
Un oiseau sur l'arbre, qu'on voit chante sa plainte.
Mon Dieu, mon Dieu, la vie est là, simple et tranquille,
Cette paisible rumeur-là vient de la ville.
Qu'as-tu fait, ô toi que voilà pleurant sans cesse,
Dis, qu'as-tu fait, toi que voilà, de ta jeunesse?

Das ist Musik! Schöner als Rilke.

Viele Grüße!
Hans
(Wir wissen ja, wie Hans die Frage im letzten Vers beantwortet hat.)

Re: Der Literarische Salon

Verfasst: 16.02.2025, 08:44
von Amtranik
Lyrik von Torquato Tasso (1544 - 1595)

Die Wälder und Ströme schweigen,
Das Meer liegt ohne Welle,
In ihren Höhlen ruhn
Die Winde befriedet. Der helle
Mond in dämmernder Nacht
Bereitet erhabene Stille.
Und wir
Verbergen der Liebe Süße.
Rede nicht, atme nicht Amor.
Stumm sei mein Schmachten nach dir,
Stumm seien unsere Küsse.

Tacciono i boschi e i fiumi,
e ˋl mar senza onda giace,
ne le spelonche i venti han tregua e pace,
e le notte bruna
alto silenzio fa la bianca luna;
e noi tegnamo ascose
le dolcezze amorose.
Amor non parli o spiri,
sien muti i baci e muti miei sospiri.

Über Tasso hat Goethe ein Schauspiel in fünf Aufzügen verfasst.
Die Befreiung Jerusalems ist Torquato Tassos bekanntestes Werk; ein Epos vom 1. Kreuzzug.
Der Dichter war mutmasslich Paranoid/Geisteskrank…

Quelle: Torquato Tasso - Werke und Briefe - übersetzt von Emil Staiger, Winkler Dünndruckausgabe 1978

Re: Der Literarische Salon

Verfasst: 16.02.2025, 14:52
von Perryoldie

***


Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun,
sondern auch für das, was wir nicht tun.

Moliere


***


In der ersten Hälfte unseres Lebens opfern wir unsere Gesundheit, um Geld zu erwerben,
in der zweiten Hälfte opfern wir unser Geld, um die Gesundheit wiederzuerlangen.

Voltaire


***


Scheußlichkeiten kommen stets aus einer kleinen Seele,
die es nötig hat, sich Geltung zu verschaffen.

Henri Stendhal


***

Re: Der Literarische Salon

Verfasst: 16.02.2025, 19:47
von Rous2
Amtranik hat geschrieben: 16.02.2025, 08:44 Lyrik von Torquato Tasso (1544 - 1595)
[...]
Amor non parli o spiri,
sien muti i baci e muti miei sospiri.
Ah, jetzt weiß ich, warum ich mir vor 20 Jahren den Zingarelli zugelegt habe! Das Spiel mit den Wörtern spirare und sospiro ist einfach genial! Spirare kann atmen heißen, wenn man es von avere, aber auch sterben, wenn man es von essere ableitet.

Und passend für mich wird im Wörterbuch auch Tommaso di Leopardi (den ich sehr mag) zitiert:
Amore, sospiro acerbo de' provetti giorni.
Liebe, bitterer Seufzer des Alters (der gereiften Tage).

(Von Wörterbüchern, ich lese auch gerne im Grimm, hat ja auch Arno Schmidt geschwärmt.)

Re: Der Literarische Salon

Verfasst: 17.02.2025, 10:08
von Amtranik
Rous2 hat geschrieben: 16.02.2025, 19:47
Amtranik hat geschrieben: 16.02.2025, 08:44 Lyrik von Torquato Tasso (1544 - 1595)
[...]
Amor non parli o spiri,
sien muti i baci e muti miei sospiri.
Ich kann zwar kein Italienisch, aber die Gedichte von Tasso sind unglaublich melodisch - eine wirklich schöne Sprache :blush:

Re: Der Literarische Salon

Verfasst: 17.02.2025, 20:08
von Rous2
Amtranik hat geschrieben: 17.02.2025, 10:08 Ich kann zwar kein Italienisch, aber [...]
Nur keine Hemmungen, ein Versuch lohnt sich! Ich habe mich auch erst spät mit der Sprache beschäftigt (hatte aber schon ein bisschen Latein, Französisch und Spanisch intus), als wir häufiger nach Italien fuhren. (Meine Frau belegte an der VHS einen Kurs und lieferte die Grammatik.) Wenn wir, als Ausländer erkennbar, auf Englisch angesprochen werden, und wir dann darum bitten, Italienisch zu sprechen, weil wir noch lernen wollen, wird dem immer mit großer Herzlichkeit (und Nachsicht) entsprochen.

Re: Der Literarische Salon

Verfasst: 18.02.2025, 10:14
von Perryoldie

***


Gerrit Engelke
(1890-1918)


Am Meerufer


Und Welle kommt und Welle flieht,
Und der Wind stürzt sein Lied,
Schaumwasser spielt an deine Schuhe
Knie nieder, Wandrer, ruhe.

Es wälzt das Meer zur Sonne hin,
Und aller Himmel blüht darin.
Mit welcher Welle willst du treiben?
Es wird nicht immer Mittag bleiben.

Es braust ein Meer zur Ewigkeit,
In Glanz und Macht und Schweigezeit,
Und niemand weiß wie weit –
Und einmal kommst du dort zur Ruh,
Lebenswandrer, Du.


***


Re: Der Literarische Salon

Verfasst: 18.02.2025, 19:05
von kad
Friedrich Dürrenmatt (1921 - 1990) zählt zu meinen Lieblingsschriftstellern. Nicht nur, weil er dem Kosmos verfallen war.

Hier ein Gedicht: Siriusbegleiter


https://www.planetlyrik.de/lyrikkalend ... begleiter/

Re: Der Literarische Salon

Verfasst: 20.02.2025, 07:41
von kad

***

Wir begreifen die Ruinen nicht eher, als bis wir selbst Ruinen sind.

Heine



***

Re: Der Literarische Salon

Verfasst: 20.02.2025, 10:51
von Perryoldie

***

Clemens Brentano
(1778-1842)



Ach, wie flüchtig ist die Zeit!


Ach, wie flüchtig ist die Zeit!
Was wir gestern kaum begonnen,
Heute liegt es schon so weit
Grau und nebelhaft zerronnen –
Ach, so flüchtig ist die Zeit.

Ach, wie flüchtig ist die Zeit!
Doch kein Schritt ging noch verloren,
Denn ein Vater steht bereit,
Wartend vor den ew'gen Toren –
Bei ihm endet Flucht und Zeit!


***

Re: Der Literarische Salon

Verfasst: 20.02.2025, 22:21
von Rous2
kad hat geschrieben: 20.02.2025, 07:41

***

Wir begreifen die Ruinen nicht eher, als bis wir selbst Ruinen sind.

Heine



***
Ha! Wir könnten ja mal eine Ecke aufmachen mit Zitaten und Aphorismen, die in Romanen der PR-Serie auftauchten :rolleyes: . Wenn ich mich recht erinnere, war da Hans Kneifel in den 400er-Bänden besonders fleißig.

Re: Der Literarische Salon

Verfasst: 20.02.2025, 22:29
von kad
Rous2 hat geschrieben: 20.02.2025, 22:21
kad hat geschrieben: 20.02.2025, 07:41

***

Wir begreifen die Ruinen nicht eher, als bis wir selbst Ruinen sind.

Heine



***
Ha! Wir könnten ja mal eine Ecke aufmachen mit Zitaten und Aphorismen, die in Romanen der PR-Serie auftauchten :rolleyes: . Wenn ich mich recht erinnere, war da Hans Kneifel in den 400er-Bänden besonders fleißig.
Sehr schön hast du das bemerkt.

Re: Der Literarische Salon

Verfasst: 21.02.2025, 09:54
von Perryoldie

***


Max Dauthendey
(1867-1918)



Deine Brüste an meiner Brust



Deine Brüste an meiner Brust.
Die Seelen öffnen ihr Grab.
Ich sah durch die geschlossenen Augen,
Die Sonne sank in dir hinab.

Ich sah noch hinter der Sonne die Tiefen,
Den Urweltraum, wo alle Lebenskeime schliefen.

Sehr einfach still war es umher,
Und wir waren unendlich groß,
Wir waren alles und wußten nichts mehr,
Wußten bloß, daß wir selig waren.




*** ***



Wir gehen am Meer im tiefen Sand



Wir gehen am Meer im tiefen Sand,
Die Schritte schwer und Hand in Hand.
Das Meer geht ungeheuer mit,
Wir werden kleiner mit jedem Schritt.

Wir werden endlich winzig klein
Und treten in eine Muschel ein.
Hier wollen wir tief wie Perlen ruhn,
Und werden stets schöner, wie die Perlen es tun.



***

Re: Der Literarische Salon

Verfasst: 23.02.2025, 00:59
von wepe
siehe Buchhinweis: viewtopic.php?p=145294#p145294
Das Buch mit den feministischen Tiergedichten ist in meinen Händen - und ich bin ganz entzückt! Das liegt nicht nur an den wirklich schönen kleinen Gedichten, sondern auch an den ganz- und doppelseitigen Zeichnungen, die von einer Berliner Künstlerin, Juliane Pieper, sehr farbenfroh und mit fröhlicher Anarchie gemalt worden sind! :wub:
Aber einen Reim will ich schon in den Salon hineinwerfen:

In Sydney ruft die Bartagame:
"Mal bin ich Herr, dann wieder Dame!"
Ganz entspannt.
Das Kriechtier hatte
bei "Lanz" noch keine Trans-Debatte.

Re: Der Literarische Salon

Verfasst: 23.02.2025, 10:08
von Amtranik
Vielleicht wiederhole ich ja jemandes Beitrag - ich habe den Überblick verloren: :giggle:

Von Georg Christoph Lichtenberg:

Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird;
Aber soviel kann ich sagen: Es muss anders werden, wenn es gut werden soll.

***

Wer einen Engel sucht und nur auf die Flügel schaut,
könnte eine Gans nach Hause bringen.

***

Man sollte nie so viel zu tun haben,
dass man zum Nachdenken keine Zeit mehr hat.