Klassiker - Die Cantaro. Eine Zyklusbetrachtung mit begleitender Story

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RBB
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Re: Klassiker - Die Cantaro. Eine Zyklusbetrachtung mit begleitender Story

Beitrag von RBB »

Band 1485 - Werkstatt der Sucher - ist von Peter Griese, erschienen am 06. Februar 1990
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"Ihr habt uns ja schon einiges über das Humanidrom erzählt", sagte Lee. "Wie muss, wie kann ich mir das eigentlich vorstellen? Geht das überhaupt?"

Gucky sah Bully an und meinte ein wenig ratlos: "Von außen könnte man sich das wie zwei aneinandergesetzte Glibbertiere denken, Amöben eben, die sich irgendwie nach außen umstülpen, aber beide gleich, was meinst du, Bully?"

Der Angesprochene zuckte mit der Schulter und ergänzte: "Du kannst es dir wie zwei altmodische Hüte vorstellen, die mit den Krempen aneinandergesetzt worden sind. Aber das gibt es nur annähernd her. Das Teil muss man gesehen haben."

Er blickte auf seinen Chrono und sagte: "Projektiere das Humanidrom."

Ein nur sehr schwer erklärbares Teil entstand vor ihnen. Lee fand die Aussage, dass es kaum beschreibbar war, nachvollziehbar. Das dreidimensionale Abbild drehte sich in alle Richtungen, was dazu führte, das Lee gar nichts mehr auf die Reihe kriegte. "Wie groß war das Ding?" fragte sie.

"Einmal in Äquatorhöhe außen rum waren 7.000 Meter und von ganz oben nach ganz unten auch", antwortete der Ilt. "Also ein ganz netter Brocken. Frag aber bitte nicht, wie es innen ausgesehen hatte. Interdimensional verquert, würd ich mal sagen. Gänge führten wie Schläuche hindurch und wie bei vierdimensionalen Bauwerken verschwand etwas vor einem - einfach so. Von einem Moment zum anderen. Ohne Hilfe hättest du dich da drinnen sofort verlaufen. Es geht sogar das Gerücht um, dass Personen im Inneren dieses Bauwerkes verschwanden und nie wieder aufgetaucht sind. Zudem gingen damals die Nakken im Inneren ihren Forschungen nach. Wobei aber niemand weiß, was sie da wirklich gesucht haben. Die haben sich natürlich nicht verlaufen. Kein Wunder, sie waren ja selber halb mehrdimensionale Wesen, zumindest im Denken."

Dr. Tarota Danger hatte ihre zwischenzeitlichen Arbeiten an den Aufzeichnungen unterbrochen und landete auf dem Tisch. "Ich muss mal was anderes sehen", gab sie von sich. "Zwei Tage nur eure Aufzeichnungen hören und reicht fürs Erste." Sie blickte Lee an. "Da hast du dir aber was vorgenommen", sagte sie, sah Lee an und lachte. "Ich denke, damit bist du bis ans Ende deiner Tage beschäftigt. Aber mal sehen, vielleicht kriege ich noch ein paar Leute zur Mitarbeit motiviert."

Sie wendete sich Reginald Bull und Gucky zu. "Das Humanidrom war doch später mal Sitz des Galaktikums, bevor es während einer Besetzung durch größere Mengen Unholde von Ronald Tekener und seinen Leuten gesprengt wurde. Wie habt ihr euch denn dort drinnen fortbewegt? Anscheinend seid ja zumindest ihr wieder rausgekommen."

"Es gab spezielle Roboter", erklärte der Terraner. "Vertigos." Diskusförmige Dinger mit 50 cm Durchmesser und 10 cm Höhe. Ich glaube, das waren eine Viertelmillion. Sie führten Anwesende durch das System der vermeintlichen Irrgärten und Irrwege. Augenscheinlich hat es ja was genützt", schloss er grinsend seinen Vortrag ab. "Sonst säßen wir nicht hier."

Bull lehnte sich zurück.

"Ich glaube, unsere Leute wären seinerzeit da auch nicht wieder herausgekommen, damals, 1146. Sie hätten sich gnadenlos verlaufen, die Bewohner, die Nakken, brauchten sie nicht zu fragen. Für die waren sie sowieso überflüssig und gehörten entsorgt. Zum Glück hieß einer des Teams Sato Ambush."



Spoiler
Reginald Bull erzählt die Geschichte von der Werkstatt der Sucher:

Sie waren mit vier Personen in den Transmitter gestiegen, aber nur zu Dritt angekommen. Captain Ahab alias Balaam alias Stalker war verschwunden. Wieso und wohin wussten sie nicht und sie erfuhren es auch nicht. Er war einfach weg. Sie hatten sich zu Beginn noch ein wenig nach ihm bemüht, als sie aber das verwirrende Umfeld nach Verlassen der Empfangsstation sahen, gaben sie es auf.

Zumal sie während des Transportes von einer merkwürdigen Zeitlosigkeit umgeben waren. Normalerweise betritt man einen Transmitter und - plopp - ist man im Empfänger gelandet. Vom eigentlichen Sprung durch den Hyperraum kriegt man nichts mit, was bleibt, ist ein etwas nerviger Entzerrungsschmerz. Hier war das anders. Aber wer weiß, was da für Kräfte mit im Spiel waren. Auf jeden Fall überstiegen sie das normale Vorstellungsvermögen deutlich.

Die Eindrücke waren scheinbar real, müssen aber zumindest unvollständig gewesen sein. Dadurch verfälschte sich die Realität und gestaltete den Transmitterdurchgang zu einem unbegreiflichen Vorgang. Sato Ambush hat später mal versucht, es mir zu erklären. Aber spätestens, als er zu einer Erläuterung mit seinen pararealen Wirklichkeiten oder Unwirklichkeiten mit einem bestimmten oder unbestimmbaren Realitätsgradienten ankam, hat bei mir alles ausgesetzt.

Wie dem auch war: Sie spürten ihre Nähe, alles war undefinierbar zeitlos, miteinander kommunizieren konnten sie nicht. Sie versuchten es auch gar nicht. Sie hatten jeden Kontakt zum Raum verloren, zudem spielte die Zeit ihnen den üblen Streich, sie existiere gar nicht. Was sie unterwegs aber mitbekommen hatten, war die Tatsache, dass ihr vierter Mann verschwunden war. War der nicht schuld am Tod eines Nakken? War er deswegen weg?

Denken konnten sie. Immerhin etwas. Ihnen wurde klar, dass die Zeitlosigkeit nur eingebildet war, denn sie hörten die Stimme eines Nakk, der sich mit Hilfe seiner Sicht-Sprech-Maske meldete. Das Erzeugen von Tönen erforderte Zeit. Also gab es sie noch. Allerdings war das, was sei verstanden, nicht unbedingt positiv.

Niemand hätte sie aufgefordert, die Werkstatt der Sucher zu betreten, sagte der Nakk. Immerhin seien sie aus eigenem Antrieb gekommen, auch wenn man ihnen großzügigerweise den Weg geöffnet habe. Die Verantwortung für das, was geschehen werde, liege ausschließlich bei ihnen. Wenn die Interessen beider Seiten verwandt wären, so die Stimme weiter, könne es einer Verständigung geben. Wenn nicht, würde man das Eindringen bereuen. Eine Gelegenheit zur Umkehr gäbe es dann nicht.

Verständigung oder Tod. Dazwischen gab es nichts. Das war das Denken der Nakk. Welche Variante die wahrscheinlichere war, konnten sie sich lebhaft vorstellen. Schließlich wurden sie aus der seltsamen Zeitlosigkeit entlassen und Sato Ambush, Loydel Shvartz und der Haluter Lingam Tennar standen auf der Innenseite einer Kugel mit zwanzig Metern Durchmesser. Die Schwerkraft betrug 0,6 g und Tennar vermutete sofort, dass sie im Inneren einer Raumzeitfalte waren. Das wäre jetzt nicht das Problem gewesen. Er griff nach dem über seiner Schulter hängenden Hyperdim-Resonator und meinte, das hätte man gleich.

Dann tauchte aus dem Nichts eine zerlumpte menschliche Gestalt auf, blieb für eine halbe Sekunde sichtbar, schnappte sich den Resonator, kicherte wie irre und verschwand mitsamt dem technischen Gerät. Später stellte sich heraus, dass die arme Socke ein entführter Mensch war, der sich durch Medikamenteneinnahme von den anderen seines Trupps entfernen konnte. Leider hatten die Dinger extreme Nebenwirkungen, sodass er total irre wurde und wohl auch das Gegengift nur dazu geführt hatte, dass er keinen anderen Ausweg als Suizid gesehen hatte.

Jetzt würde ich euch ja gerne erklären, wie Lingam Tennar wieder zu seinem Resonator kam. Leider ist unser Denken auf drei Dimensionen beschränkt und die nächsthöhere Raumdimension kriegen wir nicht in unsere Köpfe. Also gehen wir mal eins tiefer. Stellt euch eine zweidimensionale Welt vor, vor mir aus auf einem riesengroßen Blatt Papier existierend. Darauf leben zweidimensionale Wesen. Dreiecke, Vierecke, Kreise undsoweiter. Ein Strich, eine einfache Linie ist für die dortigen Bewohner genauso unüberwindlich für eine normale Mauer für dich. Fähigkeiten besonders begabter Wesen lassen wir mal komplett außen vor.

Habt ihr's? Gut. Unsere Winzlinge wuseln also auf dem Blatt hin und her und gehen ihren Beschäftigungen nach. Auf einmal erhalten wie Besuch von einem dreidimensionalen Körper, sagen wir, einem Würfel. Sie können ihn erst wahrnehmen, wenn er auf ihrem Blatt Papier landet. Da unseren Freunden der Sinn für die dritte Dimension fehlt, taucht der Würfel wie aus dem Nichts auf und sie sehen ihn als Quadrat auf ihrem Blatt Papier. Dass es sich tatsächlich um einen Würfel handelt, können sie nicht wissen. Ihnen fehlt das Verständnis für die dritte Dimension. Klar soweit?

Sollte der Würfel nun die Fähigkeit haben ihr Blatt Papier zu durchdringen, sehen sie stets und ständig ein Quadrat. Ist der Würfel durch das Blatt hindurch, verschwindet das Quadrat aus der Sicht der Zweidimensionalen. Von jetzt auf gleich. Wie das Quadrat das gemacht hat, wissen sie nicht. Richtig kompliziert wird es, wenn der Würfel nicht "glatt" auf dem Blatt aufsetzt, sondern spitzwinklig, wenn er also auf einer Kante steht. Dann sehen die Kleinen zuerst ein immer größer werdendes Dreieck aus dem Nichts auftauchen, dass später in ein Sechseck übergeht, dann wieder zum Dreieck wird, diesmal kleiner werdend, und wieder wie eben im Nichts verschwindet. Sollten ein paar ganz kluge Kerlchen dabei sein, werden sie vielleicht mathematische Berechnungen anstellen, um auf diesem Wege nachvollziehen zu können, was sie da erlebt haben. Wirklich begreifen können sie es nicht.

Und genau das ist unserem Dreierteam passiert. Die Hand des Diebes fuchtelte, wieder aus dem Nichts kommend, vor Tennar herum. Der griff zu und zerrte die ganze Gestalt aus ihrem unsichtbaren Versteck, irgendwo in einer anderen Dimension liegend. Er nahm ihm den Resonator ab, wollte ihn festhalten, um ihm zu helfen. Der Haluter staunte nicht schlecht, als er die schmächtige Gestalt nicht halten konnte. Eine Sekunde später war er wieder weg. Aber sie hatten das Gerät zurück und konnten die Raumzeitfalte verlassen.

Warum ich das hier so detailliert erzähle?

Nun, unsere Freunde erlebten immer wieder derartiges. Irgendwas tauchte aus dem Nichts auf und verschwand direkt wieder. Ab und zu waren mal ein paar augenscheinlich meditierende Nakken dabei, die aber kaum waren. ansprechbar. Überhaupt: Was diese seltsamen Wesen da trieben, hatte noch nicht mal Sato Ambush mittels seiner Para-Realitäten herausbekommen. Wenn sie überhaupt etwas von sich gaben, war das lediglich ein Wort: Shaarim. Mehr nicht. Was das bedeutete, war unklar.

Das heißt, einmal bekamen sie tatsächlich eine Antwort. Sato Ambush hatte erfahren, dass sie in der Werkstatt der Sucher wären. Die Meditierenden seien die die Sucher, teilte man ihm mit. Deren Suche sei die nach dem Unerklärbaren, sagte man ihm. Darauf wollte Sato wissen, worauf sich das Unerklärbare beziehen würde, also auf welchem Gebiet die Meditierenden forschen würden.

Prompt erhielt er zur Antwort, dass alleine seine Frage unsinnig sei. Denn wenn das Unerklärbare in irgendeiner Weise erklärbar wäre, wäre es ja nicht das Unerklärbare. Also sei jede Frage in dieser Richtung widdersinnig.

So oder ähnlich dürft ihr euch Kommunikation mit den Nakken vorstellen. So richtig weiter kommt man da nicht. Sie erhielten einen Sack voller mysteriöser Bemerkungen und Schlagworte wie Dogmatik des Überseins, Strategie des Unerklärbaren, Dislozierung der Unmöglichkeiten, Lizitation des Überflüssigen oder dergleichen mehr.

Und immer wieder Shaarim. Bis sie plötzlich vor ihm standen. Shaarim war ein Nakk und anscheinend hatten die anderen nicht mehr getan, als nach ihm zu rufen. Dieser eröffnete den Dreien, man hätte ihr Verhalten analysiert und wäre zu dem Schluss gekommen, dass sie nur stören würden und ihre Interessen nicht mit denen der Nakken übereinstimmen würden. Daher hätten sie den Weg der drei Stufen zu gehen.

Nun, dieser Weg erwies sich als äußerst abenteuerlich und wenn man auf Loydel Shvartz gehört hätte, wären sie wohl nicht wieder lebend aus dem Humanidrom herausgekommen. Aber trotz Sato Ambush und Lingam Tennar hätten sie es nicht geschafft, wenn nicht plötzlich Varonzem vor ihnen gestanden hätte. Varonzem war der Nakk, der in Andromeda die Lebenskraft des Zentralplasmas steigern wollte, ihr erinnert euch?

Nun, die anderen Nakken hatten von Varonzem einen Riesenrespekt. Nach einer kurzen Konferenz mit Shaarim eröffnete Letzterer unseren drei erstaunten Kameraden, dass 200 Nakken sie begleiten würden. Man würde bei der Manipulation des Kontrollfunknetztes mithelfen. Die Nakken wurden in Folge zunächst über den Transmitter zurück nach Lockvorth gebracht und danach auf die drei Raumschiffe verteilt. Die konnten den anrückenden Cantaro so grade noch entkommen.




"Und was nun mit diesem Captain Ahab? Wo ist der abgeblieben?" wollte Lee wissen.

"Das war zu dieser Zeit völlig unbekannt. Man kenne keinen Balaam, erklärten die Nakken und damit war das Thema beendet. Mehr erfuhren sie nicht."

"Seltsame Kerlchen." Lee wandte sich Gucky zu. "Da bist du mir lieber", sagte sie zu dem Ilt und kraulte ihm den Nacken.

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Peter Griese gehört zu den Autoren, von denen ich wusste, dass es sie gab, aber konkret etwas unter seiner Schreibe vorstellen konnte ich mir nicht. In diesem Zyklus hat er zu Beginn einen für mich grottenschlechten und einen guten bis sehr guten Roman abgeliefert. Der hier war genau dazwischen.

Die Schilderung der Transmitter - Reise (ein Sprung war es ja nicht) zu Beginn hat mich beeindruckt, ebenso hat mir die Beschreibung des Terraners gefallen, der den Resonator entwendet hatte. Eine verzweifelte Person, die es ins Humanidrom verschlagen hatte. Schade, dass er sterben musste. Ich hätte es ihm gegönnt, wenn er mit Ambush und Co hätte flüchten können.

Wer mit absolut auf den Nerv ging, war Loydel Shvartz. Immer wieder wollte er seine Artillerie zu den unmöglichsten Gegebenheiten sprechen lassen. Und immer wieder mussten Sato Ambush und Lingam Tennar ihm bremsen. Natürlich sollte er als "normaler" Gegenpol zu Ambush mitsamt seiner Para-Realitäten und den Nakken dienen. Er sollte wohl der Punkt sein, an dem die Leserschaft sich festhalten sollte. Das kam bei mir aber absolut nicht an und war für mich total daneben.

Diese Eskapaden haben den Roman für mich abgewertet. Von einer glatten zwei ging es abwärts auf eine ganz knappe drei.
Kölle es un bliev e Jeföhl!!
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