Laurin hat geschrieben: ↑15.01.2023, 03:48
Keine Ahnung - das wäre für mich aber auch überhaupt nicht der Punkt. Ist alles gut, weil andere vielleicht noch weniger machen?
Wir (und damit meine ich
alle Menschen) können es uns nicht leisten, uns selbstgefällig auf irgendwelchen Kompromiss-Beschlüssen auszuruhen. Der Klimawandel und das (auch) damit verbundene Artensterben entwickelt eine Rasanz, die mehr als nur bedrohlich ist. Das einfach so hinzunehmen wäre fatal, und jeder Protest der darauf aufmerksam macht, ist wichtig.
Der Protest in Lützerath ist insofern auch ein Symbol.
Vorab: natürlich bin ich auch für jegliche Klimaschutzmassnahmen. Aber je länger ich mit einem CO2-Budget beschäftige, das wesentliche Voraussetzung für die Argumentation der Klimademonstranten ist, desto schwieriger wird das im Detail. Insofern weiss ich nicht, ob Du es dir da nicht zu einfach machst. Ich lasse mich gerne überzeugen. Aber ich versuche mal anzufangen, meine Probleme aufzuzeigen:
Etwa zwei Drittel der Welt machen gar nichts in Sachen Klimaschutz, jedenfalls nichts gesetzlich vorgeschriebenes. Das restliche Drittel der Welt verteilt sich dann auf diejenigen, die sich in Sachen Klimaschutz in die richtige Richtung bewegen und diejenigen, die noch darüber hinaus etwas unternehmen wollen. Sich in die richtige Richtung zu bewegen genügt zum Beispiel den USA, Kanada, Japan oder Australien. Oder man kann sich nicht nur in die richtige Richtung bewegen, sondern auch noch genug machen wollen, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Das wären dann die meisten Länder Europas und die EU.
Ich beschreibe das deswegen, da es eben noch mal eine andere Kategorie ist, sich in die richtige Richtung zu bewegen und überall, wo es geht, den CO2-Ausstoss zu verringern oder sich darüber hinaus auch noch ein Limit zu setzen, wie viel CO2 überhaupt noch ausgestossen werden darf. Und da ist es eben so, dass sich ausserhalb Europas niemand ein solch verbindliches CO2-Budget gibt.
Das Problem, dass es gar nicht mal so einfach ist, ein CO2-Budget festzulegen, mit dem das 1,5-Grad-Ziel eingehalten werden kann, will ich dabei nur am Rande erwähnen. Denn der Fehlerbereich ist natürlich riesig. Es kann sein, dass wir für das 1,5-Grad-Ziel auch noch die doppelte Menge CO2 ausstossen können, wie wir festgelegt haben, genauso gut kann auch die Hälfte des selbst gesetzten Limits schon zu viel sein. Und wieviel im Rest der Welt tatsächlich ausgestossen wird, wäre ja auch zu berücksichtigen, die Zahlen müssten also immer angepasst werden. Und in der Tat stösst Europa nur etwa 6 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen aus. Auf 94 Prozent der Emissionen haben europäische CO2-Budgets überhaupt keinen Effekt. Und in Bezug auf Deutschland ist es absolut gesehen natürlich so wie so egal, wie viel CO2 wir ausstossen. Aber das nur ganz am Rand des Randes. Was ich vor allem mit diesem Absatz sagen will ist, dass die Höhe eines deutschen CO2-Budgets letztendlich willkürlich ist.
Ein weiteres Problem ist dann natürlich noch die Auslagerung der Produktion. Wenn wir bei uns Sachen verbrauchen, die woanders in der Welt hergestellt wurden, erhöht das dann unseren CO2-Ausstoss oder den dort, wo die Sache hergestellt wurde? Im Moment erhöht sich der CO2-Ausstoss dort, wo die Sachen produziert werden. Aber sieht da niemand das Problem, dass es dann doch sehr einfach wäre, den europäischen Anteil am Klimaproblem dadurch zu lösen, indem man einfach noch mehr Produkte ausserhalb Europas herstellt? Das löst natürlich gar nichts am Klimaproblem aber ist genau das, was passiert, wenn wir uns ein CO2-Limit setzen und der Rest der Welt nicht. Denn natürlich nimmt die Wirtschaft den Weg des geringsten Widerstands. Andere nennen daher das CO2-Budget auch Deindustrialisierungsprogramm. Zumindest nachvollziehen kann ich das.
Und damit kommen wir zum nächsten Problem eines festen CO2-Budgets: wenn wir sagen, wir dürfen nur noch so und so viel CO2 ausstossen und wir bei dem Argument sind, einer muss ja anfangen, dann sind wir auch schnell bei dem Punkt, dass jeder Mensch, also auch jeder Europäer und auch jeder Deutsche, nur noch 3 Tonnen CO2 pro Jahr emittieren darf. Und dieses Budget ist in Europa bereits durch Leben aufgebraucht. Also im Wesentlichen durch Wohnen, Wasser, Strom, Lebensmittel und ÖPNV. Dann müsste also jeder, auch DU ganz persönlich, natürlich auch ich, eben JEDER, auf alles verzichten, was über pures Leben hinausgeht. Also aufs Auto, auch das E-Auto, auf Fleisch, auf Flüge, auf die Urlaubsreise, auf den Synthesizer aus den USA, vermutlich auch aufs eigene Haus, eine Wohnung sollte genügen... Auch jeder Klimademonstrant müsste das. Ich sags ja nur...
Schauen wir jetzt mal auf die Braunkohle: Da hätten wir zunächst den Kohleausstieg 2038, der dann nochmal durch den aktuellen Kompromiss verbessert wurde und auf 2030 vorgezogen wurde. Auch die Abbaumengen wurden zwei mal drastisch reduziert. Jedes Land der Welt würde sich dafür feiern, denn das sind ja Massnahmen, die sich in die richtige Richtung bewegen. Ausser, es handelt sich um ein Land in Europa, speziell Deutschland. Denn in Deutschland gibt es ein CO2-Budget. Hier können wir ausrechnen, dass die Massnahmen nicht ausreichen, um das gesetzte CO2-Budget einzuhalten. Hier darf ein willkürlich festgelegtes CO2-Budget nicht überschritten werden und zwar auf Teufel komm raus und jetzt sofort...