Müllmans Sternengruft Teil 4/4
Nach zweieinhalb Stunden standen Fellmer und Betty auf dem Zielkreuz. Betty verschüttete einen Teil ihres Rotweins, als sie versuchte, in Deckung zu gehen, da sie mit der veränderten Umgebung sofort in den Abwehrmodus gegangen war.
Fellmer blieb bewegungslos stehen, blickte zuerst auf das seltsame Gerät, das sich unter seinen gestaffelten Schutzschirmen zersetzte, aufschmolz, von innen nach außen kehrte, sah dann auf das kristalline Stück Mondgestein, das er vor wenigen Wochen aus dem Strahlensystem des Kraters Tycho mitgebracht hatte, als hätte der Stein etwas mit der seltsamen Veränderung zu tun, blickte dann auf die Medoroboter, die versuchten, ihn und Betty aus dem Raum zu lotsen. Als er durch das offen Schott Gucky und Tolot aufgeregt winken sah, nahm er kurzerhand Betty am Kragen und schleifte sie über den Boden nach draußen, unterstützt von den Robotern, die Betty an beiden Beinen gepackt und angehoben haben, und ihn selbst am Oberarm gegriffen hatten.
“Gucky! Was hast du wieder angestellt? Und Tolot? Steckst du da auch mit drin?” Dann erkannte Betty Ras, und etwas abseits John Marshall.
“Oh. Kein Witz? Werden wir schon wieder angegriffen?” Erst jetzt kam sie auf die Idee, die Gedanken der anderen zu untersuchen. Und das war erst einmal zu viel für sie. Mit einem lauten “Pfuh!” setzte sie auf einen Hocker, den Sichu ihr vorsorglich unter den Allerwertesten schob.
Fellmer meinte nur: “Au, große Scheiße.”
Bei der nachfolgenden Diskussion, die eigentlich der Aufklärung dienen sollte, dürfte nach menschlichem Ermessen im Grunde genommen niemand auch nur irgend etwas verstanden haben. Es redeten einfach alle durcheinander, meistens gleichzeitig, selten aber, ohne auf das von den anderen Gesagte einzugehen. Nach einer halben Stunde nahm Betty eine Schreibplatte, ein ganz altmodisches Teil mit Papier und Stift auf einem Klemmbrett, klatschte es auf einen Tisch, was durchaus nicht leise war, sogar deutlich lauter als die allgemeine Diskussion, und deshalb alle für einen Moment zum Schweigen brachte.
“Also ich gehe dann mal rüber zur Gentherapie.”, stand auf und verließ Hangar 51.
*
Gucky, Sichu und Tolot wollten bei Betty bleiben, wurden aber von den Ärzten aus dem Behandlungsraum gescheucht. Einer der Mediziner, Bone Sinuitis, nahm sich dennoch die Zeit, den Vieren zu erklären, wie die Therapie ablief:
„Das Prozedere ist ganz einfach. Du”, dabei deutete er auf Betty, “legst dich auf die Behandlungsliege. Dann schließen wir die nötigen medizinischen Sensoren bei dir an und setzen dir eine Infusion. Die enthält eine Genfähren Lösung, und dein Körper nimmt in den nächsten Stunden die Viren auf, die verbreiten sich auf fast alle Zellen und docken an der DNA von Chromosom 17 an, wandern zu der Stelle, an der der Schadcode beginnt und kommentieren ihn aus. Dann setzen sie ein Gen ein, das einen Marker produziert, der dann, und nur dann in ein Protein übersetzt wird, wenn eigentlich der Schadcode aktiv werden würde. Die Behandlung dauert etwa acht Stunden. Zwei bis drei Stunden nach Beginn bekommst du Fieber, das unter Umständen recht stark werden kann, aber das hat keine dauerhaften Folgen für dich, wir können den Verlauf perfekt kontrollieren. Gegen Ende der Behandlung klingt das Fieber ab, und nach rund acht Stunden ist es geschafft. Du fühlst dich dann noch etwa einen Tag lang sehr schlapp, wegen des Zellaktivators vielleicht auch nur ein paar Stunden, und dann bist du wieder genau so fit wie jetzt. Die Behandlung muss vorsichtshalber im Abstand von einem Jahr wiederholt werden, insgesamt zehn mal. Dann können wir sicher sein, dass der Schadcode aus allen deinen Körperzellen erfolgreich entfernt wurde.
An dem Verfahren verstehen wir jeden einzelnen Schritt, haben die Methode im Lauf der Jahrhunderte perfektioniert. Der Grund dafür ist, wir wissen nicht, von wem und vor allem wieso der Schadcode in die Zellen von acht Psibegabten eingesetzt worden ist. Und das irre daran, es muss im Ein-Zell-Stadium geschehen sein. Also kann es eigentlich nur jemand angestellt haben, der die Zukunft schon damals kannte. Ein Rätsel. Und wir müssen damit rechnen, dass wir auf eine solche Art wieder angegriffen werden. Also ist es angesagt, auch darauf vorbereitet zu sein.”
Betty Toufry wirkte recht gefasst, hatte den Eindruck, dass das alles sehr sicher und, wenn auch nur theoretisch, erprobt war. Und die Bilder, die sie in den Gedanken von Gucky, Tolot und Marshall gesehen hatte, wollte sie unter keinen Umständen Realität werden lassen. Es erinnerte sie an Geschichten, in denen jemand erfuhr, in ein paar Jahren Huntington zu bekommen. Nur gab es hier einen entscheidenden Unterschied: Es war heilbar!
“Gut. Dann fangen wir am besten gleich an.” hackte sich bei Dr. Sinuitis unter und ging zur Behandlungsliege.
*
Nach einem Tag, es war inzwischen der 23. Januar 5213, hatten sie es geschafft, weitere neun Psibegabte vom Fest hierher zu kopieren. Die Geretteten waren Tako Kakuta, André Noir, Wuriu Sengu, Son Okura, Kitai Ishibashi, Tama Yokida, Ralf Marten, Rakal Woolver und Tronar Woolver. Die sieben mit dem Schadcode lagen bereits in der Gentherapie, die Betty Toufry inzwischen bestens überstanden hatte. Eine nachfolgende Genanalyse bestätigte, dass der Code in allen ihrer untersuchten Zellen auskommentiert worden war.
„Wollen wir erst eine Runde schlafen, oder gleich mit einem besonders schwierigen Fall weiter machen?” warf Ras in die Runde.
“Da die Zeit knapp ist, und wir eigentlich noch hinreichend fit sind, schlage ich vor, wir machen weiter.” knurrte Gucky, der den Eindruck hatte, die Zeit liefe ihnen allen davon.
“Ich schlage vor, wir kümmern uns jetzt um Anne Sloane. Das wird insofern schwierig, weil sie Anfang 2326 ihren Zellaktivator erhalten hat, aber bereits im August des selben Jahres ermordet wurde.”
“Ich dachte, es war im Juli?” warf Tolot ein.
“August, denke ich.” meinte Ras.
“Peinlich, jetzt haben wir sogar schon Probleme, uns an das Todesdatum einer wirklich guten Freundin zu erinnern.” erwiderte John Marshall betroffen.
“Das liegt an der Übermüdung.” stellte Sidekick fest.
“Aber ich habe eine Biographie von Anne Sloane gefunden.” Sidekick stellte sie in Form einer Datenbank auf alle Monitore, wo Gucky auch sofort zu recherchieren begann. Nach wenigen Minuten rief Ras:
“Wusste ich doch! Ich hatte Anne am 11. Juni im USO Büro in Terrania getroffen. Sie wollte am Mittag in ein neu eröffnetes Restaurant ganz in der Nähe gehen. Aber ich habe keine Ahnung, welches das war.”
Sidekick schwebte neben ihm, sah dabei auf den Monitor. “Das kann ich vermutlich herausfinden.”
Nach ein paar Sekunden ergänzte er: “Das kann nur Eddie`s sein. Das hat am 3. Juni aufgemacht, ist aber bereits am 31. August wieder geschlossen worden. Grund ist hier keiner angegeben.”
“Und wo ist das genau. Äh, war das genau?” wollte Gucky wissen.
“Im Johnny-Bruck-Weg 23, Hinterhof.”
Und Marshall strahlte kurz: “Ja, das kannte ich auch. War ein mal dort. Und nie wieder.”
Tolot: “Klingt sehr passend. Ich schlage vor, wir versuchen es.”
Darauf meinte Sichu, die kurz zuvor aus dem Hangar 51 gekommen war, um zu melden, dass das nächste FNK Gerät betriebsbereit sei: “Überprüft das ganz genau. Wenn sie da nicht auftaucht, haben wir ein Gerät umsonst verbraten. Abbrechen geht nicht.”
Also suchten alle in der Datenbank weiter, bis sich Sidekick erneut zu Wort meldete: “Es gab damals einen Dokumentarfilm über das Eddie`s. Und in den Unterlagen des Filmemachers habe ich eine Kopie des Gästebuchs des Restaurants gefunden.”
“Die hatten ein Gästebuch?” wunderte sich Ras.
“Ja.” meinte Sidekick. “Es war eine Konzeptkneipe. Eddy, der Inhaber, wollte so eine Art Promikneipe oder Promi Restaurant aufbauen, und deshalb bat er jeden Gast, sich mit Foto in sein Gästebuch eintragen zu lassen. Und das beste: Das Buch ist komplett erhalten geblieben. Am 11. Juni 2326 um 12 Uhr 21 hat sich Anne Sloane eingetragen.”
“Gut. Dann starten wir um 12 Uhr 15.” beschloss Sichu Dorksteiger.
*
Auf dem Monitor in Hangar 51 stabilisierte sich das Bild des FNK Geräts, zeigte eine fast menschenleere Kneipe. Eine Uhr über der Theke zeigte 12:16, daneben hantierte ein dicker Mann mit einem Geschirrtuch. Mehr geschah nicht.
Um 12: 18 ging die Eingangstür auf, eine schlanke Frau trat ein.
“Anne!” Gucky, Ras, Tolot, Marshall und mehrere andere Stimmen.
Ihr folgte eine weitere Frau mit leicht asiatischen Gesichtszügen.
“Wer ist das?” überlegte Sichu.
“Das ist Laury!”, wieder ein mehrstimmiger Schrei aus der Gruppe.
“Laury?”
“Die Tochter von Anne und Ralf!”
Sichu beobachte die beiden, sah zu, wie der dicke Mann beide mit Handschlag begrüßte, dann auch der Actionfigur, die auf Lauries Schulter saß, ganz vorsichtig die Hand, genauer gesagt, einen Zeigefinger, gab.
“Da stimmt etwas nicht. Stell die Figur größer ein.” rief Sichu Harun zu, der sofort aktiv wurde. Und dann erkannten alle, um was, oder vielmehr wem es sich bei der “Actionfigur” handelte:
“Lemy! Das ist Lemy Danger!”
Dann meinte Gucky, an Sichu gerichtet:
“Kann man auch drei Personen auf einmal beamen?”
“Logo. Und so nahe, wie die zusammen stehen...”
Die drei standen jetzt vor einem Terminal, das fast wie ein antiker Spielautomat aussah, womöglich sogar einem solchen nachempfunden war, und Anne tippte etwas in eine Tastatur. Eddy stand etwa einen Meter daneben.
“Kopier die drei jetzt!” rief Gucky, Sichu drückte auf eine Taste, und auf dem Monitor erschien ein rotes Gitter, das die Zielpersonen einhüllte.
Die Luft über dem Zielkreuz im Nebenraum flimmerte, stabilisierte sich, das FNK Gerät zerfloss und drei Personen wurden sichtbar.
*
Einen Tag zuvor. Rhodan und Bully saßen bereits beim Frühstück, als der etwas zerzauste Atlan sich zu ihnen gesellte.
“Wo hast du die Leibowich gelassen?” wollte Bully wissen.
“Die rekrutiert gerade weitere Besatzungsmitglieder. Da haben sich vorhin 37 Swoon angemeldet.” streckte sich, während er gähnte, dann ließ er sich von einem Robot ein extra kräftiges Frühstück bringen.
„Hast du eigentlich herausgefunden, nach welchen Kriterien sie die Besatzungsmitglieder auswählt?” wollte Rhodan wissen.
“Ja, schon. Ihre Theorie besagt, dass man aus den Namen der Leute ableiten kann, in welchen Berufen sie die besten Leistungen bringen. Ein Mechaniker, der Mike Schraube heißt, ist demnach in dem Job besser als einer, der Percy Bäcker heißt.”
“Verstehe.”
“Und ihre zweite Prämisse ist, die Leute müssen möglichst unterschiedliche Charaktere haben. Die dürfen sich ruhig ein wenig beißen, aber keine totale Harmonie entwickeln. Das wäre der sichere Untergang jeder Expedition.”
Rhodan nickte. “Hatten wir schon öfters. Denk nur an den legendären Galto Quolfahrt, oder wie der hieß.“
Und Bully grinste: “Hat die Leibowich auch den Kommandanten, Rudi Cartner, wegen seines Namens eingestellt?”
Worauf Rhodan antwortete: “Soweit ich weiß, war der bereits Kommandant in Harun`s Testmannschaft. Da hat die Leibowich nichts mit zu tun.”
Atlan: “Seht ihr? An der Theorie scheint also etwas dran zu sein.”
“Ja, sehe ich auch so.” “Genau.”, kamen die Bestätigungen von Rhodan und von Bully.
Rhodan aß sein weichgekochtes Frühstücksei auf, sprach dann sinnierend seine Gedanken aus:
“Wenn jemand einen Namen hat, der Assoziationen zu einem Beruf weckt, kann ich mir gut vorstellen, dass er sich schon alleine deshalb zu dieser Tätigkeit hingezogen fühlt. Vermutlich weckt es auch sein Selbstbewusstsein. Und das Vertrauen anderer. Schaut nur mal den Kommandanten der CREST VII an: Wir wissen kaum etwas über ihn, aber jeder von uns drei hat sofort ein Grundvertrauen zu ihm gefunden. Einfach nur, weil er einen Namen hat, wie wir ihn uns für den Kommandanten einer CREST vorstellen.”
„Etwas ganz anderes,” sagte Bully, nachdem er einen großen Bissen seines Schinken Käse Sandwichs runter geschluckt hatte, “was haltet ihr eigentlich von der momentanen Regierungsform hier?”
Rhodan zuckte mit den Schultern: “Die probieren doch bereits seit bald 30 Jahren jede nur denkbare Regierungsform durch. Immer in der Hoffnung, eine zu finden, die wirklich dauerhaft funktioniert.”
“Glaubst du, dass das irgendwann klappen wird?”
“Nein. Du?”
“Nein.”
Auch Atlan war skeptisch: “Regierungen und Regierungsformen funktionieren immer nur eine Weile. Dann werden die Politiker korrupt, es entwickelt sich ein Sumpf aus Macht, Geld, Lobbyismus, Korruption, Eigeninteresse, und so weiter. Ich denke, es gibt da einen ganz natürlichen Zyklus: Eine neue Regierung startet voll Idealismus, wird nach einiger Zeit durch Korruption und Eigeninteressen der Beteiligten unbrauchbar, es gibt eine Revolution und alles beginnt von Vorne. Das lehrt uns der Erfahrung.”
“Klingt nicht sehr optimistisch.” grunzte Bully.
“Ist aber so. Den idealen Staat gibt es nicht. Vermutlich nicht. Entscheidend ist, dass das Regierungssystem dann funktioniert, wenn es echte existentielle Probleme gibt, die gelöst werden müssen. Auch ein Grund, weshalb es auf Terra tausende und abertausende von Notfallplänen gibt. Die übrigens alle unabhängig von der Regierungsform sind, beziehungsweise sein sollen.” stellte Rhodan fest.
Und Atlan meinte: “Hoffentlich ist auch ein passender Plan darunter, wenn der nächste Invasor kommt.”
“Hoffe ich auch.” grunzte Bully mit vollem Mund.
„Zumindest haben sie auf NEUMANN wirklich schnell und professionell reagiert. Also ich habe da ein gutes Gefühl.” sprach Rhodan aus, was allen dreien gerade durch den Kopf ging.
„Ja. Wenn man das als Testfall nimmt, dann war es eine erfolgreiche Vorgehensweise.” stimmte Atlan zu.
„Übrigens fällt mir noch etwas auf: Ihr erinnert euch doch noch an unser letztes Frühstück im Urlaub? Wir waren gelangweilt, wussten nicht so recht etwas mit uns anzufangen, und jetzt? Ich erlebe so etwas wie Aufbruchstimmung. Vorfreude auf Spaß, Abenteuer und echt fetzige Sachen erleben. Ich denke, ich habe mich von dieser Experimentierlust der terranischen Regierung und von Harun anstecken lassen. Ich fühle mich so richtig zum Bäume ausreißen!” strahlte Rhodan.
“Ja, geht mir ähnlich. Ich habe plötzlich wieder Lust, Neues anzufangen, ich spüre Tatendrang in mir. Denke, so etwa geht es Tolot vor einer Drangwäsche.” stimmte Bully zu.
“Ja, jetzt wo ihr es sagt. Stimmt. So lebendig habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt.” nickte Atlan.
“Und du bist sicher, dass das nicht nur an der Leibowich liegt?” spöttelte Bully zurück.
*
In den Gängen der bewohnbaren Bereiche der CREST VII schoben Arbeitsroboter Unmengen von Paletten vor sich her. Darauf befand sich die “Kabinenzusatzausrüstung”. Von manchen auch “Survivalkit” genannt. Da es für jedes Besatzungsmitglied eine Kabine mit 104 Quadratmeter Grundfläche und einer nutzbaren Höhe von 3,20 Meter gab, wobei in einzelne Zimmer eine Zwischendecke eingezogen war., existierte jede Menge Platz.
Zur Zeit stellten die Roboter in jede Kabine EPAs für 20 Jahre. 15.000 Stück pro Person, das ergab bei 20 * 20 cm und 8 cm Höhe pro EPA ein Volumen von 48 Kubikmetern. Drei Paletten übereinander nahmen eine Grundfläche von 16 Quadratmetern ein, Danach brachten sie zwei Kisten mit je einem Ersatzserun sowie vier Kisten mit Serun Ersatzteilen, sicherten alles mit Spannriemen und Netzen, damit selbst bei starken Erschütterungen der CREST VII nichts herumfliegen konnte, rüsteten danach jede Kabine mit 100 Feuerlöschern und ebenso vielen Verbandskästen aus.
Nach wenigen Stunden erschien der nächste Trupp von Arbeitsrobotern, schraubte Mikrofusionsreaktoren zur Notstromversorgung an, stellte transportable Lufterneuerungsanlagen und Klimaanlagen auf, schnallte Kisten mit Ersatzteilen aller Art an die Wände, klebte Zettel mit Inventarlisten daneben und bis zum Abend hatten sich die 104 Quadratmeter Wohnfläche auf 46 reduziert. Ungemütlich wirkte das Ganze jedoch nicht, sondern strahlte die angenehme Sicherheit aus, auf wirklich Alles vorbereitet zu sein.
Selbst in den Gängen vor den Kabinen hatten die Roboter Kisten und Ballen mit Ersatzteilen angebracht, mit Transportnetzen gesichert und zur optischen Auflockerung alle paar Meter Pflanzkübel mit kleinen Bäumen, Büschen oder Blumen fest montiert. Zusammen mit den Bänken, Stühlen und Tischen der Straßencafés wirkte die Umgebung nicht mehr wie der Wohnbereich eines Raumschiffs, sondern eher wie der innere Bereich einer kleinen Stadt.
Die Entwickler aus Haruns Planungsstab konnten sich sicher sein, dass sich jede Raumschiffsbesatzung in diesem Ambiente wohl fühlen musste. Und das war schließlich der Sinn der Übung.
*
Die Medoroboter holten die drei Neuankömmlinge aus dem Nebenraum, Die beiden Frauen begriffen nicht, was soeben geschehen war, sahen Gucky und eine Reihe weiterer bekannter Gesichter und folgten Lemy`s Rat:
“Macht einfach, was man euch sagt. Zumindest solange, bis wir die Situation geklärt haben.”
Ras, Marshall und Tolot versuchten inzwischen, die “dritte Person” zu beruhigen. Und dieser dritte Mann war klein, etwa einen Meter sechzig groß, dick und trug einen seltsamen Anzug, der wohl zu keinem Zeitpunkt in der langen Geschichte der Menschheit der Mode entsprochen hatte. Obwohl John Marshall versuchte, ihm ganz ruhig zu beschreiben, was hier soeben passiert war, schrie der Mann nur hysterisch herum, dass er in sein Restaurant zurück wollte. Jetzt. Und zwar sofort. Weil seine Gäste warteten. Als ihm Tolot erzählte, dass sein Lokal menschenleer war, seine einzigen Gäste, Anne, Laury und Lemy, hier waren, stimmte ihn das keinesfalls versöhnlicher, sondern ganz im Gegenteil, er versuchte mit Gewalt den Hangar zu verlassen. Was einem der Kampfroboter gar nicht gefiel, weshalb er einen Medorobot bat, einzugreifen. Was dieser auch sofort mit einer Hochdruckspritze tat. Und, wie nicht anders zu erwarten, wirkte das Beruhigungsmittel innerhalb weniger Sekunden.
„Wir bringen ihn in die Medostation Nummer IV. Da kann sich Schwester Elfi um ihn kümmern.” teile einer der Medoroboter mit, der eine Trage ausgebildet hatte, auf die sein Kollege den Kneipenwirt gelegt hatte. Als sie abzogen, begleitete sie einer der Kampfroboter, der den hysterischen Mann als potentiell gefährlich eingestuft und deshalb beschlossen hatte, ihn zu bewachen.
Tolot wollte noch nachfragen, was es mit “Schwester Elfi” auf sich hatte, aber da war die Gruppe bereits abgezogen.
Als endlich wieder Ruhe einkehrte, meinte Gucky zu Tolot:
“Blöd gelaufen. Irgend wer muss sich jetzt um den Wirt kümmern. Zurückschicken geht ja nicht.”
In dem Moment spazierte Selina Leibowich in den Hangar. Sie sah sich um, ging dann zu Gucky und Tolot:
“Wie viele Neue habt ihr inzwischen? Ich muss die Liste der Besatzungsmitglieder vervollständigen.”
Darauf spreizte Gucky seine Ärmchen in die Hüfte:
“Also das ist jetzt wirklich plotdriven. Du tauchst genau dann auf, wenn wir jemand wie dich brauchen...”
Und Tolot fügte hinzu: “Wir haben einen mehr als geplant. Eddy, den Kneipenwirt. Kannst du dich um den kümmern, der ist gerade in der Medostation IV?”
“Ein Wirt? Wie heißt der mit Familienname?”
“Keine Ahnung. Wir haben ihn noch nicht gefragt.”
“Na gut. Ich kümmere mich darum.” und schon war sie wieder verschwunden.
Tolot sah Gucky fragend an: “Aber die Liste mit den Geretteten hat sie jetzt immer noch nicht.”
“Stimmt. Wird sie schon noch merken.” kam Gucky`s sarkastischer Kommentar. Nach einem kurzen Augenblick fuhr er fort:
“Hast du nicht auch manchmal den Eindruck, dass es bei uns viel zu viele glückliche Zufälle gibt?”
Tolot antwortete: “Das mit der Leibowich? Da hätte jeder beliebige Mensch kommen können. Jeder wäre geeignet gewesen, sich um den Wirt zu kümmern. Zumindest jeder, der regelmäßig Bordnachrichten hört und weiß, was hier gerade abgeht.”
“Das kommt schon in den Nachrichten?” staunte Gucky.
“War ein Witz.” gluckste Tolot, sichtlich bemüht, nicht laut zu lachen, um nicht schon wieder ein paar Trommelfelle auf dem Gewissen zu haben.
Dann gingen sie zurück zu den drei absichtlich “Hergebeamten”. Anne Sloane war käsebleich im Gesicht, Lemy Danger stand auf einem Tisch, unterhielt sich mit Sidekick, der auf seiner Augenhöhe neben ihm schwebte und Laury sagte etwas bedrückt:
“Also wenn mein Vater den Schadcode hat, werde ich ihn vermutlich ebenfalls haben.”
Anne flüsterte: “Wenn ich wirklich in ein paar Monaten ermordet werde, oder wurde, ach, ich komme mit der temporären Grammatik nicht zurecht, dann weiß man doch gar nicht, ob ich den Schadcode auch habe?”
Sichu nickte: “Stimmt. Wir lassen euch am besten jetzt gleich untersuchen, dann sehen wir ja, was Sache ist. Und wenn ihr beide positiv seid, ist das kein Problem. Wir haben genügend Dosen von dem Gegenmittel an Bord, können sogar jederzeit weitere herstellen.”
Betty Toufry lächelte: “Die Behandlung ist nicht schlimm. Es gibt zwar ein paar Stunden Fieber, aber danach ist wieder alles ok. Ralf müsste jetzt auch bald wieder auf den Beinen sein, dann könnt - “
“Papa ist auch da?” schrie Laury, und Anne sagte: “Ich will sofort zu ihm!”
*
Einen Tag zuvor: Rhodan und Bully ließen sich von Rudi Cartner die wichtigsten Funktionen in der Zentrale vorführen, Atlan und Tekener richteten in einem Raum neben der Zentrale, zwischen SALOMONs Computerraum und der Ortungszentrale die Abteilung für Aufklärung ein. Selina hatte dazu bereits mehrere weitere Mitarbeiter angeworben, unter anderem Tekeners aktuelle Freundin, dann einen uralten Mann mit Kapuze, der sich selbst Em Punkt Mouse nannte, einen etwas undurchsichtigen Typen namens Ras-Putin, der sogar per Geburtsurkunde belegen konnte, dass das sein richtiger Name war und einen quirligen jungen Mann, der angeblich Jimmy Bunt hieß.
Zwischendurch kam Selina in die Zentrale, fragte Rhodan und Bully, ob sie sich eine Gruppe von Bewerbern ansehen könnten, bei denen sie sich nicht sicher war, ob die als Besatzungsmitglieder geeignet waren, deren Anliegen aber immerhin so interessant klang, dass sie nicht einfach so ablehnen wollte.
Rhodan wollte wissen, wie viele es denn seien, worauf ihm Selina erklärte, dass es sich um sechs Autoren handle. Rhodan warf einen kurzen Blick zu Bully, beschloss dann:
“Wir machen in einer Stunde Mittag. Dann können wir uns mit deiner Gruppe in der Kantine I treffen. Du kannst ja inzwischen Atlan fragen, ob er sich die Leute auch ansehen will.”
Was sich Selina nicht zwei mal sagen ließ und in Richtung zum Aufklärungsbüro abzog.
*
Gucky, Tolot, Ras und Betty standen im Eingangsbereich des Gentechnischen Behandlungsraums und beobachteten durch eine Glasfront die drei glücklichsten Menschen des Universums, wie Sichu die Familie, bestehend aus Anne, Laury und Ralf, der eigentlich noch ein paar Stunden Schlaf bräuchte, um wieder ganz fit zu werden, genannt hatte. Anne Sloane und ihre Tochter wurden von mehren kleinen Analyserobotern umflogen, die ihnen Zellproben entnahmen. Anne ignorierte ihr Tun, Laury kommentierte jeden der an sich schmerzfreien Einstiche mit einem kurzen “Aua.”
Nach einer halben Stunde war die Genanalyse abgeschlossen, und Doc Sinuitis kam aus der Behandlungskabine heraus, stellte sich vor die Vierergruppe und gab bekannt:
“Beide tragen den Schadcode in ihren Zellen. Hätten sie bis nach 2900 gelebt, wären in den Genesis Krisen nicht acht, sondern zehn Leute erkrankt. Wenn ihr mich fragt, das war ein Angriff von einem unbekannten Feind, der einen Langzeitplan verfolgt und offensichtlich die Zukunft kennt, also vermutlich die Fähigkeit zum Zeitreisen besitzt.”
Tolot beugte sich zum Doc hinunter, um auf dessen Tablet sehen zu können. Dann meinte er: “Vielleicht führen wir seit längeren einen temporären Krieg, wissen es nur noch nicht.”
Gucky fasste sich grübelnd an den Nagezahn: “Wundern würde es mich nicht. Bei uns passieren so oft so unwahrscheinliche Dinge, dass ich manchmal denke, da haben irgend welche fiesen Sadisten die Finger mit im Spiel.”
Betty und Ras sahen sich an, dann platzte es aus Ras heraus: “Die MdI haben doch dauernd etwas mit Zeitreisen angestellt. Und zuletzt haben wir gegen die Schwingungswächter gekämpft, also irgend etwas ist da im Busch. Ich habe nur keine Ahnung, was.”
Eine Ähnliche Überlegung geisterte auch in Guckys Kopf herum: “Aber was ist das für ein blöder Angriff, bei dem nur 10 Leute betroffen sind?”
Tolot: “Das wissen wir nicht. Es kann durchaus sein, dass viele Tausend Menschen den Schadcode in sich tragen. Aber wegen der langen Inkubationszeit von rund 900 Jahren tritt er nur dann auf, wenn deren Leben etwa durch einen Zellaktivator verlängert wurde. Gab es eigentlich nie Reihenuntersuchungen nach dem Schadcode?”
Der Doc überlegte kurz: “Doch. Einige Jahre nach der Second Genesis Krise, als der Schadcode endlich entdeckt worden war, hatte man mehrere zehntausend Menschen untersucht. Keiner hatte etwas. In den kommenden Jahrhunderten wurden systematisch alle Mutanten, äh, Verzeihung, Psibegabten, untersucht. Aber auch hier: Nichts.”
“Also womöglich wirklich nur neun und deren Nachfahren.” fasste Gucky zusammen.
Worauf der Doc erwiderte: “Der Schadcode wird rezessiv vererbt. Die Nachfahren bekommen ihn nur, wenn beide Elternteile ihn haben. Sollte er nur bei einem Elter auf Chromosom 17 sitzen, wird er bei der ersten Mithose im Einzellstadium automatisch vom Fehlerkorrekturmechanismus entfernt. Sehr unbiologisch, ich weiß.”
“Hm.” Gucky verstand nicht, welche Strategie dahinter stecken konnte. Und damit war er nicht alleine.
*
Kurz nach zwölf gingen Rhodan und Bully in die Kantine I, wunderten sich, dass hier alles so leer war, fanden das aber dann doch recht praktisch, weil sie nicht lange nach einen hinreichend großen Tisch suchen mussten, damit auch die angekündigte Gruppe Platz fand. Bully konnte es sich dennoch nicht verkneifen, den anschwebenden Kellnerrobot zu fragen, wieso kaum Gäste hier waren.
Der antwortete: “Seit gestern Kantine links unten aufgemacht hat, gehen fast alle dort hin. Die haben einen Spitzenkoch, der früher in einer Strandbar gearbeitet hat, und das Essen dort muss einfach nur erste Sahne sein.”
Rhodan bestellte Käsespätzle, Bully schloss sich an und der Robot empfahl dazu Ketchup. Jede Menge Ketchup.
Als sie etwa die Hälfte aufgegessen hatten, Bully den Kellnerrobot lobte, ohne dessen Empfehlung für Ketchup er nie soviel von der Pampe herunter gebracht hätte, spazierten Atlan und Selina, gefolgt von sechs Unbekannten, die Rhodan dennoch vertraut vorkamen, zu ihrem Tisch. Der war leicht zu finden, da man mangels Besuchern nicht lange suchen musste.
“Hallo. Setzt euch, esst was.” lud Rhodan die Neuankömmlinge ein.
“Aber keine Spätzle.” warnte Bully.
Atlan und Selina bestellten sofort Pommes mit extra viel Ketchup, und einer der Unbekannten deutete auf seine Kollegen:
“Das sind Mark Tuhr, Lord Tacklarn, Hanik Fensel, Verl Stenck und Molv Witzilla. Mein Name ist Hekler Star-Brecher. Wir sind die Autoren von The Real Life.”
Durch Bully`s Gesicht zuckte der Ausdruck der Erkenntnis:
“Ah, klar! Kennen wir. Im Urlaub hatten wir ein Abo, und in den paar Jahren haben wir bestimmt 500 Hefte gelesen. Starker Stoff.”
Die sechs Autoren bestellten jetzt ebenfalls etwas zu Essen, Schnitzel. panierten Fisch, und was unvorsichtige Leute eben sonst noch in Kantinen bestellten, in denen sie noch nie zuvor gewesen waren. Rhodan hatte auch noch Hunger, winkte den Robot her: “Ich hätte gerne noch ein Stück Kuchen.”
Robot: “Mit oder ohne?”
Rhodan: “Ketchup?”
Robot: “Nein, Sahne.”
Nach einer viertel Stunde, Rhodan hatte inzwischen fast die Hälfte seines Kuchenstücks gegessen, kamen die Autoren auch langsam zum Ende. Ihnen schien es wirklich geschmeckt zu haben. Zumindest lobten sie das Menü, überlegten sogar, ob sie noch einen Nachschlag ordern sollten, sahen aber, dass Rhodan fertig war und entschieden sich dagegen. Im Gedanken musste Rhodan den Robotkellner wegen des Tipps mit der Sahne danken, denn ohne diese hätte er nie so viel von der Pampe herunter gebracht.
Rhodan lehnte sich zurück, musterte die Autoren eindringlich und fragte dann:
“Selina hat schon ein paar Andeutungen gemacht. Dann erzählt mal, wieso ihr auf dieser Expedition mitfliegen wollt.”
Hekler Star-Brecher, anscheinend der Sprecher der Gruppe, meinte: “Da die Expedition in extrem weit entfernte Regionen des Universums geht, kann man annehmen, dass dort drastisch andere Bedingungen vorherrschen als hier. Daher denken wir, könnte es hilfreich sein, die Situationen von einem Standpunkt aus zu betrachten, der sich prinzipiell vom Gewohnten unterscheidet. Du kennst die TRL Romane. Du weißt, dass die Geschichten in einem Universum spielen, in dem nur die Physik des 20. Jahrhunderts gilt. Also keine überlichtschnelle Raumfahrt, kein Psi, keine SIs, kein Zwiebelschalenmodell, keine Kosmokraten. Nur ganz simple Quantenmechanik, Elektronik, relativistische Physik und wenig intelligentes Leben im Universum. Reisen zu den Sternen dauern Jahrzehnte oder Jahrhunderte, die Weltraumforschung läuft vor allem über Teleskope und Raumsonden.
Als wir von NEUMANN hörten, kam uns das plötzlich sehr bekannt vor. Im ersten langen Zyklus von TRL, den Heften 100 bis 199 hatten wir damals eine Zivilisation beschrieben, die von Neumann Sonden in die Galaxis geschickt hat, und eine davon erreicht unser Sonnensystem. Daher sehen wir eine Parallele zum jetzigen Geschehen.
Darum wollen wir mit.”
Das erschien Rhodan plausibel, auch Bully nickte anerkennend. Atlan war etwas abgelenkt, nickte dann aber ebenfalls.
“Also gut. Unser Ok habt ihr. Aber könnt ihr einfach so von eurer Serie weg? Wir sind bestimmt 15 bis 20 Jahre unterwegs, und bis dahin habt ihr doch bestimmt nicht vorgearbeitet?” wunderte sich Rhodan.
“Wir haben mehrere junge Autoren eingestellt, die während unserer Abwesenheit weiter schreiben. Ich muss nur in der Redaktion anrufen.”
“Gut. Tu das.”
Hekler Star-Brecher holte sein Telefon aus der Jackentasche und bekam sofort eine Verbindung. Er erklärte seiner Vertretung, was er mit Rhodan besprochen hatte, meinte dann sehr ernst:
“Setzt bloß unsere Serie nicht in den Sand!”
Was sein Gesprächspartner antwortete, konnte Rhodan nicht hören. Abschließend sagte Hekler noch:
“Für eine Serie wie diese sind 15 bis 20 Jahre keine Zeit. Ist ja nicht so, dass wir erst in ein paar tausend Jahren wieder zurück kommen.”
*
Als sie die Kantine verlassen hatten und zurück zur Zentrale wollten, lief etwas weitere vorne ein Mann über eine Kreuzung, der einen dunkelblauen Umhang, bestickt mit Monden, Sternen und sonderbaren Symbolen sowie einem Spitzhut mit breiter Krempe und ebensolchen Stickereien trug.
“Was war das denn?” raunte Rhodan Bully zu, was Selina, die direkt hinter den beiden ging, mitbekam.
“Das ist Flausenkrick. Unser Bordmagier.”
“Wir haben einen Bordmagier?”
“Ja. Da die Expedition ins Unbekannte geht, müssen wir auf Alles vorbereitet sein. Auf wirklich Alles.” Und wo Selina Recht hatte, da hatte sie Recht. Musste Rhodan unumwunden zugeben.
*
“Wir müssen unbedingt noch Rorvik und Hainu holen.” stellte Gucky fest, als sie im Büro diskutierten, was noch zu tun war.
Sichu las die Beschreibung der beiden, die ihr Sidekick auf einem Monitor zeigte. Nach einer Weile fragte sie: “Reicht es nicht, wenn wir Rorvic holen? Hainu scheint ja eher keine so besondere Bedeutung zu besitzen?”
Worauf Tolot antwortete: “Die funktionieren nur zusammen. Einer alleine ist nutzlos.”
Gucky hatte inzwischen historische Unterlagen durchforstet, anscheinend etwas entdeckt und stand vor dem Hologramm einer mehr als zwei Meter durchmessenden MARCO POLO.
“Als damals die Erde mit dem ganzen Solsystem vom Schwarm verschluckt worden war, stand die MARCO POLO für mehrere Tage auf dem Raumhafen von Terrania. Rorvic und Hainu waren an Bord. Und hier habe ich etwas gefunden!”
Gucky zoomte im Hologramm die Mannschaftsquartiere heran, hielt kurz vor einer Tür, auf der “PR” stand, warte einen Moment, ob irgend jemand den an dieser Stelle üblichen Kalauer reißen wollte, was aber anscheinend niemand vor hatte, weshalb er selbst aktiv werden musste: “Das ist kein Public Relations Büro, das ist die Kabine von Perry.”
Sichu hatte inzwischen ein wenig von dem Text gelesen, den Gucky auf einem Monitor neben dem Hologramm anzeigte. “Woher kommt der Text?”
Gucky ließ seinen Nagezahn aufblitzen: “Das ist das Bordbuch der MARKO POLO. Was kaum jemand weiß, dort findet man für fast alle Personen an Bord deren Aufenthaltsort. Und wie du siehst, war Rorvic am 3. März 3443 von 0 Uhr 32 bis 9 Uhr 49 in Perry`s Kabine. Und der Marsianer hat ihn um 9 Uhr 46 dort geweckt. Das heißt, beide waren mindestens 3 Minuten lang zusammen in der Kabine.”
Sichu zuckte kurz mit den Schultern:
“Und wieso waren die in Perry`s Kabine?”
Tolot lachte kurz, aber nicht zu laut: “Daran kann ich mich erinnern. Dalaimoc hat einen ruhigen Ort gesucht, weil er ausprobieren wollte, ob er Cynos in der Nähe aufspüren konnte. Perry hat ihm seine Kabine angeboten, da er eh zu arbeiten hatte, und am nächsten Vormittag hat er a Hainu losgeschickt, um Rorvic zu wecken.”
Gucky nickte. “Ja, stimmt. Jetzt erinnere ich mich auch wieder. Ich denke, dass wir den Ort und die Zeit nutzen können - “
Tolot drehte sich zu Harun: “Die Erde war damals innerhalb des Schwarms. Funktioniert das FNK Gerät unter diesen Umständen auch?”
“Das sollte kein Problem sein. Die Zeit ist schließlich an die lokale Materie gekoppelt.”
Gucky schwebte vor Freude telekinetisch einen halben Meter in die Höhe: “Gebongt! Dann holen wir die beiden ab.”
*
Am Nachmittag traf sich die Führungsriege der CREST VII mit einigen Mitgliedern von Harun`s Planungsstab im Besprechungsraum neben der Zentrale, um die Rückkehr der Expedition durch zu diskutieren. Harun`s Team hatte bereits vor einigen Tagen begonnen, einen Plan auszuarbeiten, der jede nur erdenkliche Möglichkeit berücksichtigte. Als alle versammelt waren, trat Dr. Haas Pilz an das Pult, stellte sich kurz vor und begann:
“Da der Flug voraussichtlich 15 bis 20 Jahre dauern wird, müssen wir damit rechnen, dass sich die Zustände in der Milchstraße bis dahin drastisch geändert haben können. Eine Hyperfunkverbindung zur CREST VII wird nicht bestehen, die stärksten galaktischen Sender reichen bestenfalls wenige 100.000 Lichtjahre weit in den Leerraum. Die Hyperfunkrelais nach Andromeda und zu anderen Galaxien der Lokalen Gruppe arbeiten mit Richtfunk, können daher von der CREST VII nur in besonderen Fällen genutzt werden. Aber selbst hier ist die Reichweite begrenzt.
Da in der Milchstraße eine neue Invasion längst überfällig ist, müssen wir damit rechnen, dass diese bei Rückkehr der Expedition bereits begonnen hat oder sich sogar in einem fortgeschrittenen Stadium befindet. Denken wir nur an den Schwarm oder an Monos. Im Extremfall ist der Einflug in die Milchstraße, womöglich sogar in die Lokale Gruppe unmöglich.
Damit die CREST VII nicht in eine Falle fliegt, haben wir daher spezielle Informationsmöglichkeiten vorgesehen. Die erste befindet sich außerhalb der Lokalen Gruppe in der Zwerggalaxis A3431, die erst vor 250 Jahren entdeckt wurde. Sie enthält nur 826 Sterne, und wir vermuten, dass es sich um den Kern eines entkommenen Kugelsternhaufens handelt. Raumfahrttreibende Zivili-sationen existieren dort keine, und Harun hat eine unserer Robotsonden dort hin geschickt. Sie baut gerade einen super empfindlichen Hyperfunkempf-änger auf dem äußeren Planeten der einzigen K2V Sterns dort auf. Wir werden jedes Jahr ein Datenpaket hin schicken, und zwar über eine Relaiskette der Maahk. Auf den Sticks, die wir gleich verteilen werden, befindet sich unter anderem die Position der Harobot Station und das Authentifizierungsverfahren, mit dem ihr feststellen könnt, ob die Station oder die Daten kompromittiert worden sind.”
Rhodan meldete sich mit einer Frage:
“Und wenn die Expedition wider Erwarten länger als 20 Jahre dauert? Wie lange wird die Station voraussichtlich funktionieren?”
“Die ist in Harunscher Technik aufgebaut, wird also extrem lange funktionieren.”
“Gut.”
Dr. Pilz fuhr fort:
“Wenn dort alles ok aussieht, oder auch nicht, könnt ihr weiter fliegen zur Irregulären Sagittarius-Zwerggalaxie, 3,4 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt. Die galaktische Forschungsgemeinschaft unterhält dort einen Stützpunkt, speziell um die vielen jungen Zivilisationen zu untersuchen. Alle zehn Jahre fliegt eine Fernexpedition mit einem Stufenraumschiff dort hin, die nächste in zwei Jahren. Alles nähere findet ihr auf den Sticks.”
Bully: “Und wer genau betreibt die Station?”
“Eine bunte Mischung. Kommandant ist seit bald 30 Jahren ein Jülziish Es sind etwa 300 Leute dort, auch ein paar Posbis.”
“Und sind die alle vertrauenswürdig?”
“Die wissen nichts von den geheimen Nachrichten. Die sind nur im Stationscomputer abgelegt.”
Rudi Cartner meldete sich:
“Und wenn dort keine Informationen für uns hinterlegt sind?”
Dr. Pilz: “Dann haben wir ein Problem.”
Rhodan: “Aber es gibt doch sicher noch weitere Stationen, näher an der Milchstraße, oder sogar in ihr?”
Dr. Pilz: “Gibt es. Im Halo ist eine auf einem Planetoiden, der den orangen Zwergstern Hilberts Star umkreist, etwa 300.000 nördlich der galaktischen Eastside, und in der Milchstraße haben wir zwei weitere Stationen eingerichtet. Eine im interstellaren Raum, exakt 1936,5219 Lichtjahre nördlich des Mittelpunktes von Sektor Morgenrot, eine weitere auf einem Zwergplaneten im System von Point Black.”
Atlan: “Bei Point Black suchen Invasoren doch zuerst...”
Tekener: “Außer sie denken, dass wir das auch denken.”
Bully: “Und was, wenn sie denken, wir denken, dass sie denken, dass...”
Rhodan: “Lass das nur Gucky nicht hören. Soweit ich mich erinnere, hatten wir das schon mal.”
Dr. Pilz: “Das auf dem namenlosen Zwergplaneten ist keine Station im eigentlichen Sinn. Es ist eine antike Weinflasche mit einer Papierrolle, vergraben neben einer Felsennadel, die ihr sofort erkennen werdet. Fremden Invasoren dürfte die Nadel nichts sagen.”
*
In der Bildprojektion baute sich Rhodans Kabine an Bord der MARCO POLO auf, man konnte Dalaimoc Rorvic in seiner typischen Meditationshaltung am Boden sitzend erkennen. Nach einigen Minuten betrat Tatcher a Hainu mit einer Kaffeekanne in der Hand den Raum, ging auf Rorvic zu und holte mit der Kanne weit aus. Das war der Moment, in dem das FNK Gerät beide erfasste. Gucky piepste:
“Jetzt!”,
Sichu drückte auf den Knopf und was dann geschah, entsprach nicht ganz dem, was die Experimentatoren erwartet hatten. Das Gitter, das beide erfasst hatte, sprang von der Kaffeekanne weg, drang in den unmittelbar daneben eingebauten Safe in der Zimmerwand ein und -
- im Nebenraum erschienen Rorvic und a Hainu. Das FNK Gerät zerfloss wie gewohnt, die Medoroboter versuchten, die beiden Kopierten aus dem Raum zu scheuchen, aber die hatten selbst schon bemerkt, dass etwas nicht so war, wie es sein sollte. Rorvic sprang auf, mit einem Tempo, das man bei seiner Körpermasse nie erwartet hätte, klemmte sich a Hainu unter den Arm und rannte aus dem Nebenraum. Wo ihn Gucky und Tolot stoppten.
Rorvic stellte den Marsianer ab, sah ihn böse an und schimpfte:
“Was hast du jetzt schon wieder angestellt, du marsianischer Sandfurz?!?”
Gucky und Tolot redeten auf die beiden ein, versuchten zu erklären, was geschehen war, und nach einer viertel Stunde schien den beiden klar zu werden, wo, oder vielmehr wann sie waren. Tatcher a Hainu betrachtete die beiden metallischen Eier, die er an zwei dünnen Kettchen in der Hand hielt, meinte dann:
“Wo ist meine Kaffeekanne?”
Harun stand mit einem tragbaren Messgerät daneben, stellte dann fest:
“Da hat es eine Interferenz gegeben. Vermutlich existiert die Kaffeekanne auch in unserer Zeit, hat aber anscheinend etwas an sich, das nur ein mal existieren kann. Statt dessen wurden diese beiden - “, er stutzte, sah ein zweites mal auf sein Messgerät, zuckte mit den Schultern und sagte: “Die waren anscheinend in Rhodans Safe. Hängt sie euch am besten sofort um.”
Was Rorvic und a Hainu auch taten.
*
Etwa zeitgleich betrat ein Mann den Hangar, bekleidet mit kurzen Hosen und einem braunen Hemd, fragte:
“Herr Harun? Ist hier ein Herr Harun?”
Der ging zu dem Mann, stellte sich vor, worauf dieser antwortete:
“Karsunke, diplomatischer Kurierdienst. Ich habe ein Päckchen für dich. Wurde mit Diplomatenpost von Antares 18 geschickt. Unterschreib hier.”
Wobei er ihm ein Tablet vor das Gesicht hielt. Harun unterschrieb, sah sich dann das “Päckchen” an, das zwei Arbeitsroboter auf einer Antigravplattform herein schoben. Es war rund zwei einhalb Meter hoch, etwa einen Meter fünfzig breit und ebenso tief. Außen klebte ein Lieferschein: “Museum für altertümliche Technik, Antares 18, Robot M. Hannigan. Absender: T.R.”
Harun: “Sehr gut! Dann hat es mein dortiges Team ja doch noch geschafft, ihn zu klauen, äh zu finden. Wollte zu finden sagen. Hä, hä. Würde sonst ja auch keinen Sinn ergeben.”
“Ausgeliefert und zugestellt. Alles andere geht mich nichts an.” antwortete Karsunke im Gehen, dachte dabei noch “Schlimmer kann es ja nicht werden.”, bis ihn im Gang vor dem Hangar eine Frau ansprach: “Du bist der Karsunke? Vom Kurierdienst? Ich bin Selina Leibowich...”
*
Am 27. Januar 5213 um 2304 Terrania Zeit startet die Expedition der CREST VII mit 2872 Lebewesen und ungefähr zwei Dezimalstellen mehr Robotern an Bord. In der Zentrale herrschte das übliche geschäftige Treiben, nur Bully hatte wenig zu tun. Er saß am Leitstand der Beibootflotte, betrachtete die koordinierte Hektik, als alle Anrufempfänger losschrillten. Jemand rief die CREST VII auf der Anruffrequenz der terranischen Flotte. Bully drückte auf die Bestätigungstaste und aus dem Lautsprecher rief eine aufgeregte Stimme:
“Spacejet SNAFU mit 3 b Marsianern an Bord. Wir wollen auch mit!”
Da die CREST VII bereits die Mondbahn passiert hatte, die Besatzung eigentlich vollständig war, sprach Bully ins Mikrofon:
“We brake for nobody.”
Im Hintergrund hörte Bully die Besatzung der SNAFU diskutieren:
“Nein!”
“Doch!”
“Oh!”
Dann dachte er kurz nach, fand, dass 2875 deutlich besser klang als 2872, korrigierte sich:
“Na gut. Unser Bordcomputer holt euch per Leitstrahl herein.”
JETZT hatte er den Eindruck, dass sie vollständig waren. Zur Bestätigung hoben Selina und Atlan ihre rechten Daumen. Die CREST VII ging kurz darauf in den Linearraum, um außerhalb der Milchstraße mit dem sextadim Transitionstriebwerk in 7½ Jahren nach Kalumpvir zu fliegen.
Ende
Müllmanns Sternengruft
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