Klassiker - Die Cantaro. Eine Zyklusbetrachtung mit begleitender Story

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RBB
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Re: Klassiker - Die Cantaro. Eine Zyklusbetrachtung mit begleitender Story

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Band 1498 - Rhodans Tod - ist von K. H. Scheer, erschienen am 08. Mai 1990
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"Wie lange mögen wir noch haben?"

"Doppelt so lange. Mindestens", John lachte über ihren inzwischen regelmäßigen Ritus.

"Du bist immer so optimistisch", antwortete Lee. "Ich bin mir da nicht mehr ganz so sicher. Die Allerneuesten sind wir ja nicht mehr."

"Du erzählst das jetzt seit 14 Jahren. Und wir sitzen immer noch hier. Gut, ich könnte mir schon vorstellen, nochmal wie in alten Tagen bei Billy auf den Putz zu hauen. Okay, vielleicht nicht mehr die ganz Nacht durch wie früher, aber so ein paar Stündchen würden wir wohl noch hinkriegen."

"Das war ja auch sehr seltsam mit ihm. Nicht, dass der Lange kein würdiger Nachfolger ist, aber Billy war doch eine andere Hausnummer. Erinner dich noch an den Spökes, den er auf dem Konzert gemacht hat, als er den Musiker fragte, ob er echt oder ein Avatar wäre."

"Ja, und der ihn dann zurückfragte, ob er ihn für eine Gummipuppe halten würde und dann ging die Post ab."

Beide rutschten ab in die Vergangenheit. Der Beitritt zur LFG wurde damals auf ganz Newengland gefeiert und man hatte, wie sich das für ein musikbegeistertes Völkchen gehörte, ein Riesenkonzert veranstaltet - in dem Felsstadion, in dem Atlan mit dem damals noch kleinen Chuck an seiner Seite alte Geschichten erzählt hatte. Natürlich war das Musikevent ausverkauft und ebenso natürlich war es ein Wahnsinns-Erlebnis gewesen. Billy hatte den Moderator gespielt und schon alleine seine Showeinlagen waren den Besuch wert. Nur zum Schluss, bei der letzten Band, hatte er es ein wenig übertrieben und sich fast ein blaues Auge eingehandelt.

"Das war das letzte Mal, dass wir Bully gesehen haben", erinnerte Lee sich. "Die anderen waren zu meinem hundertsten Geburtstag hier gewesen. Bully nicht. Wie mag es ihm wohl gehen? Und was mag aus Billy geworden sein? Es ist zwar schon so lange her, aber er gehörte dermaßen was von dazu. Jedes Mal, wenn wir in den Singenden Ochsen gehen oder auch nur daran vorbei flanieren, meine ich immer noch, ihn zu hören."

Der beliebte Wirt hatte vor circa fünfzig Jahren alle seine Stammgäste eingeladen. Es würde ein besonderer Abend, hatte er angekündigt. Der Laden war brechend voll gewesen, aber es kam keine richtige Stimmung auf. Alle warteten auf etwas, aber niemand wusste so richtig worauf. Bis Billy auf einmal auf seiner Theke stand und rief: "Alle mal herhören!"

Und er erzählte von den Jahrzehnten, in denen er hier hinter der Theke gestanden hatte und dass es ihm immer eine große Freude gewesen wäre. Aber jetzt wäre Schluss, hatte er zum Entsetzen seiner Gäste gesagt. Er würde den Singenden Ochsen verlassen, er würde Thamestown verlassen und von Newengland verschwinden. Er würde alle Leute hier vermissen, aber er könne nicht auf ewig hierbleiben. Er bat noch darum, seine Entscheidung zu respektieren und ihm nicht zu folgen. Den Langen empfahl er als seinen Nachfolger. Er sei sich sicher, dass auch in Zukunft niemand verdursten würde.

Er sprang von seiner Theke herunter, umarmte alle Anwesenden einzeln, sagte nochmal tschüss, dankte für die schöne Zeit und weg war er. Niemand ist je dahintergekommen, war aus ihm geworden war.

"Ja", sinnierte John. "Ich möchte wissen, wer er wirklich war. Genauso, wie er aus dem Nichts ehedem in seiner Kneipe auftauchte, verschwand er auch wieder. Und mit den erlesenen Speisen unseres Museumsroboters ist es seitdem auch vorbei. Da haben wir schon eine ziemliche Hängepartie. Aber da ist ja noch nicht mal Gucky auf seinem letzten Besuch hinter gekommen und das will was heißen."

"Ich würde den Kleinen gerne nochmal zu Gesicht bekommen", meinte Lee und wäre fast aus dem Sessel gefallen, als eine bekannte Stimme im Hintergrund meinte: "Hallo ihr zwei Hübschen! Da komme ich ja genau richtig!"

Der Inhaber der Stimme sprachs, watschelte nach vorne auf die Terrasse und grinste von einem Mausbiberohr zum anderen.

"Gucky", rief Lee. "Du elender alter Strolch. Einfach so hier herein zu spazieren. Hast du keine Angst, dass alte Leute bei deinem plötzlichen Anblick einen Herzinfarkt kriegen können?"

"Das wäre das erste Mal", konstatierte der Ilt und umarmte beide. "Ich wollte euch nochmal besuchen kommen."

Sein Blick fiel auf das alte Aufzeichnungsgerät. "Oh, wir schwelgen in alten Zeiten?"

"Ab und zu höre ich mir eure Geschichten nochmal an. Und dann grübele ich darüber nach, wie unser Leben wohl verlaufen wäre, wenn du damals nicht im Regen auf der Bank gesessen hättest. Im Gegensatz zu Bully glaube an so etwas wie die Vorsehung oder wie man das auch immer nennen will. Das sollte wohl alles so kommen."

"Wenn man das durch diese Brille betrachtet, hast du sicherlich Recht", antwortete Gucky nachdenklich. "Auf jeden Fall sind dir und deinen Leuten Generationen von Kindern dankbar. Persönliche Sturheit gepaart mit Willen und Können bewegen Welten. Ihr habt einen galaxisweit tätigen Konzern geschaffen, der aber immer noch in seinem ursprünglichen Sinne aktiv ist. Ihr könnt stolz auf euch sei."

Er zeigte wieder auf das Gerät. "Wie weit seid ihr denn?"

"Oh, kurz vor Schluss!"

"Da, wo unser größter aller großen Meister den Abgang gemacht hat?" Gucky zog sich eine ihm passende Sitzgelegenheit heran, setzte sich und meinte: "Perry Erzählung damals war zu erhaben. Der kann das nicht richtig. Schalt das Ding wieder ein und lasst den Chef mal ran."

Er setzte sich in Positur. "Dann habt ihr wieder was für euer nächstes Update."


Spoiler
Gucky erzählt die Geschichte von Rhodans Tod:


Wie das eben so ist: Der edelste aller Arkoniden sorgte sich um den edelsten aller Terraner. Nur ich, der ärmste aller Mausbiber, spielte keine Rolle mehr. Ich darf immer nur dann ran, wenn das Chaos perfekt ist. Die wirklich wichtigen Dinge werden eben nicht von kleinen Leuten wie mir erledigt. Da müssen Helden ran.

Was sagst du? Für dich bin ich ein Held? Du warst mir schon immer sympathischer als manche anderen Zeitgenossen. Aber hier, zum Ende hin, war ich fehl am Platze, das muss sogar ich zugeben.

Denn seit etlicher Zeit lief alles auf eines hinaus: Das Duell zwischen Perry und dem ominösen Monos. Bevor es aber an den heranging, war zuerst einer der Herren der Straßen an der Reihe. Acht Stück gab es von denen und Ager Catomen gedachte auf Perry auf dem Planeten Palkaru zu treffen, irgendwo in der Northside der Milchstraße.

Perry musste dahin, soviel war sogar mir klar. Denn Catomen hatte ein perverses Druckmittel. Sollte das Treffen nicht zustande kommen und Perry nicht auf seine Forderungen eingehen, würde er das Solsystem vernichten. Über die dazugehörige Technik verfügte er, das war keine Frage. Die paar Milliarden Leben, die er dabei zerstören würde, scherten ihn nicht. War ein richtig taffes Kerlchen, unser Ager C.

Vierzehn Tage Zeit hatten sie Zeit und Atlan beschäftigte sich mit den Vorbereitungsmaßahmen. Wir allesamt hielten das für zwingend notwendig und Atlan war in dieser Hinsicht sowieso der Beste mit all seiner Erfahrung. Außerdem konnte er in ausreichendem Maß um die Ecke denken und so leicht narrte man ihn nicht.

Selbstverständlich war für ihn völlig klar, dass Perry Palkaru nie lebend verlassen würde, sollte es nach den Herren der Straßen gehen. Catomen würde das Geforderte von Perry annehmen und ihn dann töten. Das war so sicher, wie man euer englisches Bier nicht trinken kann.

Aua! Was kann ich dafür, dass eure Plörre ungenießbar ist? Serviert einem was Vernünftiges, dann brauche ich solche Sprüche nicht.

Wo war ich stehengeblieben? Ach ja. Der tote Perry. Zudem hielt unser Lieblingsarkonide seinen terranischen Freund ab und zu für reichlich naiv, also galt es, Letzteren vor sich selber zu schützen. Und jetzt kommt etwas, dass bei uns immer wieder vorkommt. Passend zum jeweiligen Event findet man entweder eine Person mit besonderen Fähigkeiten, die die Karre aus dem Dreck zieht oder wir entwickeln eine neue oder entdecken eine uralte Waffe. Natürlich genau richtig zum aktuellen Problem. Diesmal war es eine uralte Waffe aus dem Arsenal von Shalmon Kirte Dabrifa.

Dabrifa war ein Imperator und Diktator, dessen Ziel es war, das Solare Imperium zu übernehmen. Zuerst mussten aus seiner Sicht aber innenpolitische Gegner weg. Bei einem dieser Personen fanden sie jede Menge altes und uraltes Gerät, aus denen sie eine ganz besondere Waffe konstruierten: Eine fünfdimensionale Virenschleuder. Nomen est Omen: Das Ding schoss Viren auf alle möglichen fünfdimensionalen Quellen, also auch Schutzschirme. Dort vermehrten sich diese Dinger extrem schnell und nach 64 Sekunden verging alles in einer verheerenden Explosion.

Praktisch, ausgerechnet jetzt so ein Ding zu haben, was? Nun, von diesen Teilen wurde nur eines gebaut und Konstruktionspläne gab es auch nicht. Also konnten wir beruhigt davon ausgehen, dass die Schleuder den Herren der Straßen unbekannt war. Nur großartig ausprobieren konnte man sie nicht, es gab nur zwei Kartuschen. Ein Schuss ging bei einem Test drauf, der andere war für unseren Freund reserviert. Atlan verband die Waffe mit einer Fernsteuerung, die er von der ODIN aus bedienen konnte.

Die ODIN war in Richtung Palkaru unterwegs, als man dem Schiff auf dem einen oder anderen Weg den Garaus zu machen gedachte. Einmal war es ein falscher Yart Fulgen, einmal ein paar Cantaro-Schiffe, nichts Ernstes, aber man war gewarnt.

Vor Ort trafen die Beiden aufeinander. Perry Rhodan und Ager Catomen standen sich gegenüber, eingehüllt in Paratronschirme. Seine Forderungen seien nicht besonders, griente der Herr der Straßen. Er wollte lediglich Gesil und Eirene ausgeliefert bekommen, dann wäre er weg und das Solsystem frei.

Natürlich war allen Beteiligten klar, dass nichts davon passieren würde. Das Solsystem würde trotzdem vernichtet und Perry getötet werden. Rhodan machte also einen auf Zeit schinden und fragte ihn, wie seine Vernichtungsaktionen denn mit seinen Zielen vereinbar wären. Hätten die Cantaro oder der falsche Yart Fulgen die ODIN vernichtet, wären Gesil und Eirene ebenfalls tot. Was man haben will, tötet man nicht, argumentierte der Große folgerichtig. Außerdem: Wer wolle Gesil und Eirene denn haben? Etwa er oder ominöse Vater im Hintergrund? Und ob er auch für die Diebstähle der Zellaktivatoren verantwortlich sei.

Von den Zellaktivatoren wusste Catomen tatsächlich nichts. Gar nichts. Dann wurde es spannend: Ager Catomen stellte sich seinem Gegenüber Perry Rhodan vor. Er nahm eine Schaltung an seinem Energieschirm vor und vor Perry stand unser alter Freund und Kampfgefährte Pedrass Foch. Perry war einigermaßen geplättet, als er den alten Bekannten von jetzt auf gleich vor sich stehen sah - nebenbei: An Bord der ODIN war das nicht anders.

Er hätte Rhodan problemlos töten können, sagte Foch, aber er wollte sehen, wie Perry Rhodan, das Idol vergangener Zeiten, sich weiterhin verhalten würde. Rhodan, der seinen Vater so schwer geschädigt hätte. Er, Pedrass Foch, habe die Ereignisse bewusst auf die Spitze getrieben.

Perrys Frage nach der Identität des Vaters beantwortete der Übeltäter nicht, dann kam der Hammer. Perry hatte den Herrn der Straßen mit seinen Spielchen total außer Fassung gebracht und auf einmal der schrie auf Rhodan ein. Nichts begriffen hätten wir. Stimmt. Hatten wir auch nicht. Er, Pedrass Foch, sei der alleinige Herr der Straßen. Es gab keine anderen Herrscher! Die acht Herren der Straßen, die man kannte, waren ausschließlich Mimikry-Varianten von ihm. Außerdem habe er jetzt die Nase voll. Er verlangte die umgehende Auslieferung der beiden Frauen, sonst würde in dreißig Sekunden das Solsystem explodieren.

Jetzt spielte Perry seinen großen Trumpf aus. Der Nakk Narragan, der auf Catomens Befehl hin die Vernichtung auslösen sollte, hatte nach Betreiben von Paunaro die Seiten gewechselt. Nichts würde explodieren. Foch überprüfte Rhodans Angaben, hob warnungslos seinen linken Arm und zielte auf Perry.

Atlan hatte dieses Verhalten vorausgesehen und die Virenschleuder bereits aktiviert. Die letzten Geräusche, die Perrys Spezialsensoren übertrugen, gehörten zu einer fürchterlichen Explosion. Der Gegner war nicht mehr.

Es hatte keine Herren der Straßen gegeben. Nie. Es gab nur einen. Monos. Über all die Jahrhunderte. Jetzt war es vorbei.

Und Perry Rhodan? Er konnte die Hochenergie-Explosion nicht überlebt haben. Perry Rhodan war tot.




"Naja", beendete Gucky seine Erzählung. "Tot war er natürlich nicht, wie ihr wisst. Aber damals war das schon eine handfeste Überraschung und alle haben es geglaubt. Nur Bully und ich nicht. Weil unser alter Edel-Arkonide seine Finger mit im Spiel hatte."

Lee lächelte Gucky an.

"Du musst jetzt ganz tapfer sein, mein Freund. Ich hatte mir schon gedacht, dass Pedrass Foch hier seine Finger mit im Spiel hatte. Er war auf einmal auf undurchsichtigen Wegen verschwunden und ein gewisser Ilt hatte vor einer Weile den Namen Pedrass Foch dermaßen biestig ausgesprochen, dass es eigentlich kaum eine andere Möglichkeit gab."

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Gegen Ende des Zyklus dürfen die alten Kämpen nochmal ran. Erst HGE und jetzt KHS und ich denke mal, Scheer war der richtige, um Rhodan glaubwürdig sterben zu lassen. Er spielte eine seiner alten Stärken auf, servierte uns einen Roman, der größtenteils in Ich-Form aus Atlans Sicht geschrieben war und siehe, das Leservolk fühlte sich auf einmal zwanzig Jahre jünger. Von 2024 rede ich lieber nicht....

Band 1498 erinnert mich vom Aufbau her deutlich an Band 398. Dort war man den größten Teil auf Halut unterwegs und das, was einen interessierte, kam erst ab Seite 56. Scheer zog seinen Roman vergleichbar auf. Endlose scheinende Vorbereitungen und das Hauptthema beginnt auf Seit 55.

Er servierte uns Pedrass Foch als Monos. Heute natürlich nicht überraschend, damals allerdings schon. Ich hatte mich immer gefragt, was aus dem geworden sein mochte und dann war er der große Unbekannte.

Nun, dass es zum Schluss zu dieser Duell-ähnlichen Situation kam, war seit der Präsentation der Gewebeprobe klar. Auch, dass Monos von jemandem dargestellt wurde, der uns schon begegnet war? Hätte man sich das mit etwas Grips denken können? Manche sicherlich.

Ich nicht. Ich liege bei sowas immer daneben.

Selbstverständlich hatte man mit dieser Virenflinte aus Dabrifas Arsenal eine Wunderwaffe ausgegraben. Dazu kann man nun unterschiedlicher Meinung sein, aber man hatte es wenigsten so geregelt, dass nur zwei Schüsse möglich waren. Einer ging als Testlauf drauf und der zweite sorgte für das Ende von Monos. Damit verschwand das Ding wieder in der Versenkung.

Hm. Siebenundneunzigeinhalb Bände Vorbereitung für ein paar wenige Seiten kurz vor Schluss. Hätte man anders machen können. Weniger Vorbereitung, weniger Tekener, den ich oben komplett rausgelassen habe. Mehr von dem, was man nach zwei Jahren Zyklus wissen will.

Dann der Titel? Rhodans Tod hat man auch damals nicht wirklich geglaubt. Sogar dann nicht, wenn die Wunderflinte ihn ebenfalls traf, ins Jenseits beförderte und er das Duell nicht überstand.

Scheer hat seine Sache ordentlich gemacht. Ohne Superhelden, dafür mit Atlan, war er besser. Wer weiß, was jemand, der mit Atlan nicht so gut umgehen konnte wie KHS, aus diesem Roman gemacht hätte. Für Band 1498 gibt es eine zwei.

Aber trotzdem würde mich interessieren, was ein gut gelaunter Andreas Eschbach aus dieser Situation bauen würde. Weniger Vorbereitung und mehr Psychospielchen?
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RBB
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Re: Klassiker - Die Cantaro. Eine Zyklusbetrachtung mit begleitender Story

Beitrag von RBB »

Nachdem das Original im GF 24 Monate warten musste, bis es fertig war, sind wir jetzt nach 12 Monaten durch. Es kommt nach all den Zwischenspielen noch das Endspiel, Band 1499, ein Epilog und abschließend meine Meinung zum Zyklus.

Im GF hatte ich überlegt, ob ich Ähnliches noch mit einem anderen Zyklus machen sollte. Daraufhin schrieb nanograinger, da wäre am Besten der Linguidenzyklus geeignet. Da hat er Recht. Denn der Cantaro-Zyklus ist nur ein Bein des Groß-Zyklus Zellaktivatoren. Ja, das macht Sinn und es wäre die logische Fortsetzung mit den Linguiden, einer abgedrehten Superintelligenz und etlichen Erklärungen. Aber ob ich mir das zum 3. Mal zutraue, weiß ich beim besten Willen nicht. Zunächst kommen auf jeden Fall die 300er an die Reihe, die ich vor den Cantaro dran genommen hatte.

Aber zuerst das Endspiel. Dieser Teil war eigentlich schon fertig, bevor ich mit der Schreiberei angefangen hatte. Und nichts habe ich so oft verändert, wie dieses Ding, zuletzt vor ca. 30 Minuten. Weil es einfach nicht mehr passte oder mir nicht mehr gefiel. Aber es war notwendig. Durch die ganze Geschichte zog sich, zuerst versteckt, später offen das Stück London Calling von The Clash. Dazu kommt noch was, wenn wir schon nichts zu den ZA erfahren...

Ich hoffe, die ganze Chose hat dem Einen oder der Anderen gefallen!

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Richard
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Re: Klassiker - Die Cantaro. Eine Zyklusbetrachtung mit begleitender Story

Beitrag von Richard »

ich bin mir nicht sicher, ob ursprünglich der Cantaro- und der Linguidenzyklus als ein Grosszyklus geplant waren bzw. ab warnn klar war, wie der Nachfolgezyklus zum Cantarozyklus in groben Zügen verlaufen wird.
GrauerLord
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Re: Klassiker - Die Cantaro. Eine Zyklusbetrachtung mit begleitender Story

Beitrag von GrauerLord »

Als stiller Mitleser deiner Beiträge möchte ich nur kurz Danke sagen! Ich konnte so einen meiner Lieblingszyklen nochmal neu miterleben. Vieles hat sich da in den letzten 30 Jahren wohl etwas verklärt, es bleibt aber die Erinnerung an eine ungemein spannende und bodenständige Handlung. Da ich im alten, geschlossenen Forum über Jahre jede Woche einen Atlan-Roman besprochen habe, kann ich mir ungefähr vorstellen, was für eine Mühe du dir gemacht hast. Hut ab!
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thinman
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Re: Klassiker - Die Cantaro. Eine Zyklusbetrachtung mit begleitender Story

Beitrag von thinman »

Richard hat geschrieben: 09.10.2025, 21:44 ich bin mir nicht sicher, ob ursprünglich der Cantaro- und der Linguidenzyklus als ein Grosszyklus geplant waren bzw. ab warnn klar war, wie der Nachfolgezyklus zum Cantarozyklus in groben Zügen verlaufen wird.
Nein, waren sie nie. Der Begriff als durchlaufende Strukturierung ist eine Marketingerfindung von KNF aus dem Oktober 2007. Beide Zyklen erreichten uns Leser in den späten 1980ern un frühen 1990ern - zwanzig Jahre zuvor.
Da ging es nur um das Weiterspinnen der Erzählung, in die immer wieder neue Themen, Personen und Orte einzuflechten, die uns Leser (erfolgreich) bei der Stange halten sollten. Solche Zeitsprünge waren Band 50, 150, 200, 400, 1000 und 1400.

Ich habe immer bei diesem Zyklus das Gefühl, dass Foch die Herren der Straßen ist (sic!), erst sehr spät festgelegt wurde - man denke an das ursprünglich geplante Ende des Schwarmes mit Band 599 und keinem Altmutanten-Zyklus.

thinman
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Tennessee
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Re: Klassiker - Die Cantaro. Eine Zyklusbetrachtung mit begleitender Story

Beitrag von Tennessee »

Band 1498 erinnert mich vom Aufbau her deutlich an Band 398. Dort war man den größten Teil auf Halut unterwegs und das, was einen interessierte, kam erst ab Seite 56. Scheer zog seinen Roman vergleichbar auf. Endlose scheinende Vorbereitungen und das Hauptthema beginnt auf Seit 55.
[...] Für Band 1498 gibt es eine zwei.

Aber trotzdem würde mich interessieren, was ein gut gelaunter Andreas Eschbach aus dieser Situation bauen würde. Weniger Vorbereitung und mehr Psychospielchen?
Mich würde etwas anderes ja auch interessieren, aber ich weiß nicht, ob du - oder jmd anders - etwas dazu sagen kannst:

Der Aufbau von 1498 (und 398) ähnelt, deinen Worten nach, ja ein bisschen dem, was aktuell auch in der EA zuweilen/gerne (??) kritisiert wird - langer Vorlauf und das eigentliche Geschehen kurz vor Schluss. Gibt es für dich da erkennbare Unterschiede zwischen den Scheer-Romanen 389 und 1489 und jetzt?
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RBB
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Re: Klassiker - Die Cantaro. Eine Zyklusbetrachtung mit begleitender Story

Beitrag von RBB »

Tennessee hat geschrieben: 10.10.2025, 15:50
Band 1498 erinnert mich vom Aufbau her deutlich an Band 398. Dort war man den größten Teil auf Halut unterwegs und das, was einen interessierte, kam erst ab Seite 56. Scheer zog seinen Roman vergleichbar auf. Endlose scheinende Vorbereitungen und das Hauptthema beginnt auf Seit 55.
[...] Für Band 1498 gibt es eine zwei.

Aber trotzdem würde mich interessieren, was ein gut gelaunter Andreas Eschbach aus dieser Situation bauen würde. Weniger Vorbereitung und mehr Psychospielchen?
Mich würde etwas anderes ja auch interessieren, aber ich weiß nicht, ob du - oder jmd anders - etwas dazu sagen kannst:

Der Aufbau von 1498 (und 398) ähnelt, deinen Worten nach, ja ein bisschen dem, was aktuell auch in der EA zuweilen/gerne (??) kritisiert wird - langer Vorlauf und das eigentliche Geschehen kurz vor Schluss. Gibt es für dich da erkennbare Unterschiede zwischen den Scheer-Romanen 389 und 1489 und jetzt?
Da ich die Serie nicht mehr regelmäßig und vollständig lese, halte ich mich hier raus.
:-D
Zuletzt geändert von RBB am 11.10.2025, 06:12, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Klassiker - Die Cantaro. Eine Zyklusbetrachtung mit begleitender Story

Beitrag von RBB »

thinman hat geschrieben: 10.10.2025, 09:31
Richard hat geschrieben: 09.10.2025, 21:44 ich bin mir nicht sicher, ob ursprünglich der Cantaro- und der Linguidenzyklus als ein Grosszyklus geplant waren bzw. ab warnn klar war, wie der Nachfolgezyklus zum Cantarozyklus in groben Zügen verlaufen wird.
Nein, waren sie nie. Der Begriff als durchlaufende Strukturierung ist eine Marketingerfindung von KNF aus dem Oktober 2007. Beide Zyklen erreichten uns Leser in den späten 1980ern un frühen 1990ern - zwanzig Jahre zuvor.
Da ging es nur um das Weiterspinnen der Erzählung, in die immer wieder neue Themen, Personen und Orte einzuflechten, die uns Leser (erfolgreich) bei der Stange halten sollten. Solche Zeitsprünge waren Band 50, 150, 200, 400, 1000 und 1400.

Ich habe immer bei diesem Zyklus das Gefühl, dass Foch die Herren der Straßen ist (sic!), erst sehr spät festgelegt wurde - man denke an das ursprünglich geplante Ende des Schwarmes mit Band 599 und keinem Altmutanten-Zyklus.

thinman
Ja, das sehe ich auch so. Die beiden Zyklen haben eigentlich nicht viel bis gar nichts miteinander zu tun. Gleichwohl hat man im 1400er Zyklus Handlungsteile in die Welt gesetzt, die nicht aufgeklärt wurden, für die Serie aber durchaus von Bedeutung waren (Diebstahl der Zellaktivatoren, Monos). Irgendwann muss also die Idee gekommen sein, die beiden Zyklen miteinander zu verflechten.

Und Pedrass Foch? Ja, der war für mich in der Handlung einfach nur ein mutiger Haudrauf, wie es der Serie schon etliche gab - so eine Art Don Redhorse. Der hat ebenfalls des Öfteren gemacht, was er wollte und zumeist Glück gehabt. Bei Foch konnte man während der Handlung misstrauisch werden, als auf einmal nicht mehr die Rede von ihm war. Konnte man. Aber immer nur die anderen. Bei mir hat das so gut wie nie geklappt.
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Re: Klassiker - Die Cantaro. Eine Zyklusbetrachtung mit begleitender Story

Beitrag von RBB »

Endspiel:


Erzähl mir nochmal einer was von Klimakatastrophe! dachte Jill, als sie in eisiger Kälte mit Einkaufstaschen beladen vor der Haustür ihres Großvaters stand. Plötzliches Temperaturgefälle, extreme Minusgrade und ein ganz schön heftiger Ostwind hatten ihr die Lust am Einkauf vergällt. Aber da musste sie jetzt durch.

Ihr Großvater war nach dem frühen Tod ihrer Mutter eine wichtige Hauptperson ihres Lebens geworden. Mum hatte den Kampf gegen den Krebs verloren, als Jill grade mal fünf Jahre alt war. Und nun war die Zeit gekommen, in der sie ihrem inzwischen alt und grau gewordenen Opa ein klein wenig seiner Fürsorge zurückgeben konnte. Die wöchentlichen Einkäufe gehörten dazu.

Und jetzt stehe ich hier und finde diesen elenden Schlüssel nicht! Sie stellte sich mit dem Rücken gegen den Wind und hatte so das Gefühl, dass ihre Nase vielleicht doch nicht tiefgefroren abfallen würde. Zu ihrer großen Erleichterung hörte sie ein leichtes Schlurfen, dann wurde die Haustür geöffnet.

"Komm herein, Kind", sagte Opa Paul. "Unser Ehemaligen-Treffen ist ausgefallen. Die Jüngsten sind wir ja nun alle nicht mehr und draußen ist es nach dem plötzlichen Kälteeinbruch stellenweise spiegelglatt. Da bleiben wir lieber zu Hause."

Dankbar für so viel Vernunft packte Jill ihre vier schwer beladenen Taschen, brachte sie in die Küche und stellte sie auf der Anrichte ab.

"Lass nur, ausräumen kann ich die gleich alleine. Setz dich ins Wohnzimmer, ich mach dir was zum Aufwärmen!"

Jill entledigte sich Jacke und Co. Man redet ja immer von Mehrschichtsystem, wenn es so saukalt ist, dachte sie. Viel genützt hat das bei mir nicht. In der Tat war sie lange nicht mehr so durchgefroren gewesen wie heute und so setzte sie sich in "ihren" Sessel, der links vor dem offenen Kamin stand. Das Feuer war angezündet und verbreite ergänzend zur Heizung eine wohlige Wärme im Raum.

Wie so oft in ihrem Leben sah sie den tanzenden Flammen fasziniert zu und dachte liebevoll an den alten Mann, den sie in der Küche wirken hörte. Nach dem Tod ihrer Mutter waren sie alle wie gelähmt gewesen. Für Jill war das damals ganz schlimm, denn Mom war natürlich für sie als kleines Mädchen die Hauptbezugsperson in ihrem Leben. Damals hatten sie hier in diesem Raum gesessen. Jill hatte ihre Mutter verloren, Dad seine geliebte Ehefrau und Opa Paul seine einzige Tochter. Ihre Großmutter hatte sie nie kennengelernt, sie war an der gleichen Krankheit wie ihre Mutter verstorben.

Ich werde sämtliche Vorsorgeuntersuchungen mitmachen! schwor sie sich und hoffte, dass ihr ein ähnliches Schicksal erspart bleiben würde. Auf Grund der familiären Krankheitsgeschichte durfte sie mit Anfang zwanzig schon an Krebsvorsorgemaßnahmen teilnehmen, die sonst erst ab so ungefähr Fünfzig möglich waren.

Sie hatten sie gegenseitig getröstet. Dad war vorbildlich und seiner kleinen Tochter ein großer Rückhalt - nur: irgendwann rief der Job wieder, er hatte zwangsläufig weniger Zeit. Und ehe sich hier Fremde einschalten mussten, kam Großvater ins Spiel. Er war immer für sie da. Sie lächelte. Wie oft hat er mir irgendwelchen Kram aus der Schule immer wieder erklärt, bis ich es endlich begriffen hatte? Unzählbar. Ohne ihn wäre sie nicht die Frau von heute, das war ihr klar.

Ihr Vertrauen in ihn war grenzenlos. Es hatte bei ihren Gesprächen nie Tabus gegeben und sie konnten über alles miteinander reden. Wirklich über alles. Naja, in seiner Jugend war er ja nicht unbedingt der Liebste von allen gewesen und er wird wohl so einiges mitgemacht haben, war sie sich hundertprozentig sicher. Im Übrigen verließ Opa Paul sich genauso auf sie, Jill war im Besitz einer sehr weitgehenden notariellen Generalvollmacht, die auch und grade die Zusammenarbeit mit Ärzten klärte.

"Im Falle eines Falles müssen bestimmte Dinge geregelt sein!", hatte Opa Paul gesagt. "Da gibt es nichts zu beschönigen, unsterblich sind wir alle nicht."

Wie oft hat er mir hier Geschichten erzählt? Am Anfang sprachen sie natürlich über ihre Mutter. Wie sie als kleines Mädchen gewesen war und wie sie Dad kennengelernt hatte. Ergänzend kamen die Märchen und später die Ritter. Ihre Lieblingsgestalt war - und blieb es wohl auch bis ans Ende ihrer Tage - der edle Ritter Lancelot aus König Arthus Tafelrunde. Dieser Figur mit ihrer unglücklichen Liebe zu Guinevere, der Gemahlin des Königs, fühlte sie sich besonders verbunden. Warum, war ihr bis heute nicht so ganz klar. Vielleicht setzte sie ihre fehlende Mutter in Relation seiner unerfüllbaren Liebe. Sie wusste es nicht.

Später, als sie größer wurde, wurde die Themen andere. Was aber nichts daran änderte, dass Opa Paul ihr erster Ansprechpartner blieb. Ich konnte mit meinem Großvater über Dinge reden, die meine Freundinnen noch nicht mal mit ihresgleichen besprachen. Das Verhältnis zwischen ihnen war einfach anders und sie durchströmte eine große Dankbarkeit dafür.

"Ich hab was für uns zum Aufwärmen", sagte ihr grade aus der Küche gekommener Großvater. Er stellte zwei hohe Untersetzer auf den Tisch, entzündete die Teelichter darin und stellte - wie früher, dachte Jill - zwei große Pötte mit heißem Kakao darauf. Der einzige, aber wesentliche Unterschied war die Flasche Brandy, die er aus dem Schrank holte und jedem Glas einen kräftigen Schuss (oder auch zwei) zufügte.

Sie lächelte den alten Mann dankbar an und trank einen Schluck. Sie spürte, wie die heiße Flüssigkeit die Speiseröhre herunterlief und vom Magen aus eine wohlige Wärme verbreitete. Die Kälte verschwand und sie fühlte sich wieder als Mensch.

Opa Paul setzte sich ihr gegenüber und sah so aus, als hätte er noch einen inneren Kampf mit sich selbst auszufechten. Irgendwie wirkt er, als käme gleich eine neue Geschichte, dachte sie und merkte, dass ein Ruck durch ihren Großvater ging.

"Ja," begann er langsam. "Da gibt es noch etwas, dass ich dir erzählen möchte. Die Ersten von uns sind ja nun schon einige Zeit tot und wir Vier von damals haben wir es nie weitererzählt."

Jill wusste, von wem die Rede war. Wenn Opa Paul so anfing, sprach er über seine Band. Opa Paul war nämlich nicht irgendwer, sondern seines Zeichens Bassist der legendären Band The Clash, die damals mit London Calling ihre Heimat auf den Kopf gestellt hatte. The Clash waren ursprünglich Punker gewesen und ihr Großvater und Jill konnten sich vortrefflich darüber streiten, was aus Oeuvre der Band nun Punk und was New Wave war. Für Opa war alles Punk, da konnte er richtig allergisch reagieren, wenn ihm jemand widersprach.

Sie sah das ein wenig differenzierter. Aber wie dem auch sei, Opa Paul hatte in seinem ersten Leben, wie sie es nannte, beeindruckendes geleistet. Sie war sich sicher, dass die Musikwelt ohne The Clash heute anders aussehen würde. Bands wie U2 oder Oasis hätte es nie oder zumindest so nie gegeben, deren Musiker hatten Opas Band mehrfach als Vorbild genannt.

Die Jungs standen damals eigentlich immer kurz vor der Pleite, weil die Plattenfirma sie übers Ohr gehauen hatte und sie kein Management gehabt hatten. Dazu kam, dass ihre Zielgruppe nicht unbedingt die Finanzkräftigste war. Das änderte sich erst, als einer von ihnen auf einmal den Sprecher von BBC World zitierte und völlig zusammenhanglos sagte: "This is London Calling". Joe Strummers damalige Verlobte hatte anschließend dazu gemeint, er solle mal über diese ganzen Katastrophen schreiben, die gegen Ende der Siebziger des vorigen Jahrhunderts über dem UK schwebten. Herausgekommen war das bekannte Stück. Es war ein finanzieller Erfolg, endlich, endlich, und die Armut war vorbei.

Sie sah ihren Großvater erwartungsvoll an.

"Das war nämlich so", begann Opa Paul. "Wir hatten da ein Erlebnis, über das wir nie berichtet haben. Die Menschen würden uns für durchgeknallte und besoffene Drogensüchtige halten und uns kein Wort glauben. Nicht, dass uns das was ausgemacht hätte, wir waren ja schließlich Punker und da war ja eh alles egal. Aber irgendwas hat uns davon abgehalten. Was, wissen wir bis heute nicht. Aber vor Kurzem hatten wir nochmal Kontakt und vereinbarten, dass jeder die Geschichte an eine absolut vertrauenswürdige Person weitererzählen darf. Aber nur einer. Und deswegen sitzen wir hier."

Jill war neugierig geworden.


Spoiler

Es begann ganz harmlos. Drei von uns, Mick Jones, unser Gitarrist sowie Drummer Topper Headon und eben ich, Paul Simonon, saßen in unserem Proberaum und entwickelten den rhythmischen Hintergrund zu einer Melodie, die Mick uns vorgespielt hatte. Joe Strummer, unser Sänger, schien sich verspätet zu haben, was jetzt aber nicht unbedingt das Problem war.

Nach ungefähr einer Viertelstunde riss jemand die Tür auf. Herein gestürmt kam Joe und wedelte mit ein paar Blättern in der Luft herum.

"Wir haben es geschafft", schrie er und schmiss die Papiere auf den Tisch. Ich las nur Glastonbury in der obersten Zeile und sagte "Oh, Mann!"

"Ja!", gab Joe kein Stück leiser von sich. "Aber nicht irgendwo zwischen Zwölf und Mittag! Samstagabend. Headliner. Auftritt Punkt 0.00 Uhr! Was sagt ihr jetzt?"

Zuerst sagte niemand etwas, dann redeten alle durcheinander. Der langen Rede kurzer Sinn: Der Kühlschrank wurde als Erstes geleert, dann das neue Album fertig gestellt und eine Promotion-Tour gebucht. Der krönende Abschluss sollte dann unser Auftritt in Glastonbury sein.

Das klappte auch. Und so saßen wir eines schönen Samstagabends im Backstage - Bereich und durften zuhören, wie die Band vor uns alles abräumte. "Ihr schafft das", laberte uns Musiker-Betreuer Marc McManus zu. Die ganze Zeit schwirrte er um uns herum, bewirtete uns und redete von dem Wahnsinn, den wir gleich veranstalten würden. Dass er uns tierisch auf die Nerven ging, realisierte er wohl erst, als Topper ihn langsam aber bestimmt in Richtung Ausgang schob und die Tür hinter ihm schloss.

Eine Dreiviertelstunde später tauchte er vorsichtig wieder auf und meinte, wir wären jetzt dran. Wie jedes Mal vor einem Konzert umarmten wir uns, wünschten uns gegenseitig Glück und dann ging es ein paar Stufen die Treppe rauf. Vor dem Vorhang bleiben wir noch kurz stehen, bemerkten die erwartungsvollen Festivalbesucher - einmal tief Luft holen und raus.

Da begann es. Als ich den Vorhang beiseiteschob und als Erster die Bühne betreten wollte, bemerkte ich ein leichtes Flimmern und hatte ganz kurz das Gefühl, als würde mir der Magen umgestülpt. Aber wirklich nur ganz kurz, dann war es auch schon vorbei. Ich drehte mich verwundert um und sah, dass den anderen genauso ging.

Unser Blick ging nach vorne und wir waren überall, nur nicht in Glastonbury. Der Blick von der dortigen Hauptbühne ging keinesfalls in Richtung eines in Stein gehauenen römischen Amphitheaters. Das Ding sah aus wie das Kolosseum in Rom, nur eben anders und wesentlich größer. Das Publikum wirkte allerdings genauso erwartungsvoll wie überall.

Ich schaute geradeaus in die Menschenmenge. Die meisten sahen so aus, wie man auf Festivals eben aussieht. Jeans, T-Shirt. Alle Altersgruppen, das verwunderte mich. Ganz vorne ein Rudel zwölfjähriger Bengels, mittig eine Gruppe älterer Frauen, die ich eher bei einer Oper verortet hätte als bei uns. Dann sah ich genauer hin. Ein paar sahen - nun, seltsam gekleidet aus. Wie soll ich das beschreiben? Irgendwie futuristisch. So als wären sie von der ENTERPRISE und Captain Kirk hätte ihnen Landurlaub gegeben. Beam me up, Scotty!

Dann erblickte ich zwei Figuren, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Du meine Güte, was ist das denn? Ein riesengroßer, schwarzhäutiger Koloss, unvorstellbare zwölf Fuß groß und mit einer Schulterbreite von ungefähr neun Fuß. Halsloser Kopf und Beine, gegen die Elefantenfüße Streichhölzer waren. Und: Der Kerl hatte vier Arme. Mir wurde ziemlich blümerant zu Mute.

Daneben sahen wir das genaue Gegenteil: Eine aufrechtstehende Maus, schätzungsweise dreieinhalb Fuß groß. Die Maus redete abwechselnd mit dem Riesen und vier weiteren Personen, die augenscheinlich zu dieser seltsamen Gruppe gehörten.

Ein lautes Gebrüll holte mich auf die Bühne zurück. "Was bist du denn für ein Kasper?" schrie Joe einen Typen an, der wie der personifizierte Kneipenwirt aussah.

"Erstens", meinte Joe, "gewöhn dir deinen grauenhaften Dialekt ab, wenn du mit uns redest. Das versteht kein Mensch, wer hat dir sprechen beigebracht?
Zweitens: Wenn du nochmals fragst, ob wir echt wären, gibt es einen Satz heiße Ohren. Was sollen wir sein? Avatare? Androiden? Hältst du uns für Gummipuppen oder was?"

Er drehte sich zum Publikum um und rief: "Euer komischer Kasper hält uns für Gummipuppen. Wir haben zwar keine Ahnung, wo wir hier sind und was das alles soll, aber wir sind gekommen, um Musik zu machen und genau das werden wir auch tun. Teufel auch! Wenn wir fertig sind, fragen wir ihn nochmal, ob er uns immer noch für Gummipuppen hält!"

Wir verteilten uns, er gab das Zeichen zum Beginn und wir fingen mit London Calling an. Womit auch sonst, als unserem Aufwärmer?

Das Ergebnis hätte uns fast umgehauen. Ich weiß nicht, wieviel zehntausend Leute das waren, aber sie sangen, als hätten sie das Stück mit der Muttermilch eingesogen. Vom ersten Ton an. Und sie waren lauter als wir! Von Joe war bei "London Calling To The Faraway Towns" nichts zu hören. Gar nichts. Als würde er einfach nur Mundbewegungen machen.

Dann kam das Härteste: Joe sang, oder sagen wir mal, er bemühte sich zu singen, und bei "London Is Drowning And I Live By The River" sprangen sie alle in die Luft. Alle. Omas, Bengels, alle. Auch der Koloss. Und es war so getimt, dass sie exakt auf dem beendenden "r" des Wortes River allesamt gleichzeitig wieder auf dem Boden ankamen. Rumms! Entsprechend laut hörte sich das Spektakel an. Ich blickte in Richtung Koloss und sah, dass er sich augenscheinlich köstlich amüsierte. Er lachte und lachte. Aber er war hinter einer Art flimmernder Wand verborgen und man hörte ihn nicht. War wohl auch besser so. Wenn der genauso laut lacht, wie er riesengroß ist, sind wir sicherlich zwei Wochen stocktaub.

Auf der Bühne hatten wir das Gefühl, noch nie so gut drauf gewesen zu sein, die Menge trug uns einfach mit. Nach über einer Stunde heftiger Spielzeit wollten wir eine kurze Pause machen, um danach mit dem zweiten Teil fortzufahren. Und das war genau der Moment, in dem von jetzt auf gleich die Riesenmaus zwischen uns stand. Wo zum Teufel ist der hergekommen? Der stand doch grade noch da unten irgendwo?

Die Riesenmaus war aber nicht nur eine einfache Maus, das wäre wohl zu billig gewesen. Nein, sie hatte einen Biberschwanz. Wo der gut sein sollte, erschloss sich mir nicht ganz. Auf jeden grinste sie von einem Ohr zum anderen und meinte:

"Da seid ihr geplättet, was? Ich habe keine Ahnung wo ihr herkommt und wie ihr es ausgerechnet hierhin geschafft habt, aber ihr passt heute wie die Faust aufs Auge. Ich gehe mal davon aus, dass ihr wirklich echt seid."

Die Hände an die Hüften gelegt, stand er vor uns. Wir waren sprachlos. Sogar Joe. Und das passierte dem nicht allzu oft.

Die Biberschwanz-Maus stolzierte von einem zum anderen und sagte auch einmal "Oh, ich muss mich entschuldigen. Ich vergaß doch glatt, mich vorzustellen. Gestatten, Gucky, mehrfacher Retter des Universums. Ihr befindet euch hier auf Newengland, einer Welt am Ende der Milchstraße und seid sowas wie die Top-Attraktion auf dem Konzert, dass sie hier zur Feier der Aufnahme in die Liga Freier Galaktiker veranstalten."

Was zum Teufel redet der da? Sind wir bei einer Art Alice im Wunderland? Oder ist das einfach nur ein schräger Traum? Hat mir einer was in meine Tüte gemischt? Wir standen ziemlich ratlos da. Da watschelte die Maus zu mir, sah mich von unten herauf an und schwebte auf einmal mitten in der Luft, so dass sie mit mir auf Augenhöhe war.

"Hm. Ja, ihr scheint in der Tat echt zu sein. Schade, dass Telepathie hier in diesem schrägen System nicht funktioniert."

Nein oder? Der Kerl kann Gedanken lesen? Der sieht aber doch so harmlos aus. Verwirrt und hilflos stand ich einfach da und ließ alles geschehen.

"Wie seid ihr denn hierhin gekommen?" wollte die Biberschwanzmaus wissen. "Keine Ahnung, was? Werden wohl interdimensionale Verwerfungen oder sowas sein. Ich habe zwar einen Doktortitel in klassischer Physik, aber erstens ist das schon mindestens tausendfünfhundert Jahre her, dass ich den gemacht habe und zweitens ist das ganze hyperphysikalische Geschwurbel eh nicht so meins. Immerhin habt ihr die Leute hier in Wallung gebracht. Ist aber auch kein Wunder, denn euer Stück ist seit so um die dreieinhalbtausend Jahre sowas wie die inoffizielle Hymne. Das Ding lief damals über die Außenlautsprecher der OLD LONDON TOWN, die die ersten Siedler hier absetzte."

Wirklich. Ich war mit Sicherheit so was wie verrückt geworden. Völlig. Ob es den anderen auch so ging? Kein Wort habe ich begriffen. Dreieinhalbtausend Jahre, hat die Riesenmaus gesagt. Aber putzige Knopfaugen hatte sie, die Maus. Aber deswegen hieß sie wohl auch Gucky. Aber hier fehlte nur noch Mister Spock mit seiner angehobenen Augenbraue. Glaub mir, danach habe ich mir das Saufen vor den Konzerten abgewöhnt. Gras gibt's gar nicht mehr. Seitdem ist mir das nicht mehr passiert.

Für die Leute hier vor Ort schienen aber sowohl unsere Riesenmaus als auch der vierarmige Koloss völlig normal zu sein. Die Biberschwanz-Maus strahlte uns an, dann machte es plopp und sie stand umgehend wieder neben dem Koloss und redete auf ihn ein. Keine Ahnung, wie sie das gemacht hat. Aber in einem Land, in dem es sprechende Riesenmäuse gibt, ist sowas natürlich auch möglich und wahrscheinlich völlig normal.

"Das führt ja zu nix", meinte Joe. "Ich schlage vor, wir machen weiter. Was immer auch danach passiert." Ja. Wir spielten weiter. Die Menge war aus dem Stand heraus wieder völlig aus dem Häuschen und trug uns mit auf einer Welle des Wahnsinns.

Irgendwann waren wir durch. Zum Abschluss gab's nochmal London Calling, dann waren wir genauso fertig wie die Leute da draußen. Man wollte uns natürlich nicht gehen lassen, aber irgendwann ist das schönste Konzert zu Ende. Von einer Woge des Applaus getragen, schwebten wir fast in Richtung des Vorhanges, durch den wir in dieses irreale Ding gekommen waren.
Wir gingen durch das Teil durch, hatten wieder das gleiche Gefühl mit dem umgestülpten Magen, stiegen die paar Stufen Treppe hinunter und wurden von einem euphorisierten Marc McManus in Empfang genommen. Er hätte uns ja gesagt, dass wir das Konzert unseres Lebens spielen würden und wir sollten uns nur mal anhören, wie die Leute draußen toben. Und überhaupt: Wir müssten nochmal raus.

Das machten wir dann auch, gingen wieder durch den Vorhang und waren - total normal in Glastonbury.



"Frag mich jetzt nicht, Kind, was das gewesen ist. Wir haben keine Ahnung, was wir da erlebt haben. Weißt du, als kleiner Junge habe ich mich manchmal gefragt, wie sich die Helden in den Märchen meiner Kindertage wohl bei ihren Abenteuern gefühlt haben mögen. Seit damals weiß ich es."

Jill wusste stets, ob Opa Paul ihr die Wahrheit erzählte oder ob er flunkerte. Sie sah es an kleinen Reaktionen wie den Augenbewegungen. Das hier war völlig echt gewesen. Sie sah ihn ratlos an und hatte keine Ahnung, wie diese abstruse Story einzusortieren war.
„Ihr wart also bei einer Art Captain Kirk oder sowas im Land der sprechenden Riesenmäuse. Da habt ihr ein Konzert gegeben und gleichzeitg in Glastonbury gespielt?“ Ihr Großvater sah sie Kopf nickend an und er hatte wohl das erste Mal in seinem Leben das Gefühl, dass ausgerechnet seine Enkelin ihn für völlig bescheuert halten würde. Jill sah ihn zweifelnd an.

Sie hielt ihm ihren halb geleerten Becher Kakao hin. "Ich glaube", sagte sie, "ich brauche noch einen ordentlichen Schuss Brandy, um das zu verdauen."
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Re: Klassiker - Die Cantaro. Eine Zyklusbetrachtung mit begleitender Story

Beitrag von RBB »

Band 1499 - Das Mondgehirn erwacht - ist von Ernst Vlcek, erschienen am 15. Mai 1990
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Lee erhob sich aus ihrem Sessel und verschwand kurz im Inneren. Zehn Minuten später war sie wieder da und sagte zu dem Ilt: "Ich habe lange auf dich gewartet. Seit Jahrzehnten liegt hier immer eine frische Möhre für dich parat. Jetzt darf ich sie dir endlich servieren."

Sie überreichte dem Ilt die Mohrrübe mit einwandfreier Farbe und selbstverständlich Gardemaß. Gucky blickte auf Lee, dann auf die Möhre, nahm sie und betrachtete sie zunächst von allen Seiten. Dann schnupperte er daran. "Nein!", flüsterte er. "Nein."

Er biss hinein und verdrehte genießerisch die Augen. "Wo hast du die her? Und wie hast du das gemacht? Du bist ein Genie!"

Danach war er sprachlos, was bei Gucky eher selten vorkam, wie er selber zugeben musste. Er biss erneut in die Möhre hinein, ließ sie auf den Geschmacksknospen seiner Zunge wirken und aß sie auf. "75% Prozent Möhre, ein Viertel Blutorange und ein Hauch Maracuja. Seit Ewigkeiten versuche ich, so ein Teil zu züchten. Und dann besuche ich meine alten Freunde und bekomme mein Traumgemüse serviert."

Er sah Lee fragend an. Die meinte dazu: "Oh, das war nun gar nicht so schwer. Beim dritten oder vierten Zuchtversuch war ich erfolgreich. Seitdem warte ich auf dich. Auf meine Kontaktversuche hast du nie reagiert und ich war schon leicht gesäuert. Aber dann dachte ich, du würdest mit Sicherheit wieder irgendwo das Universum retten. Irgendwann würdest du wohl kommen oder auch nicht."

"Tut mir leid," antwortete der Ilt. "Es ging wirklich nicht. Wir waren mal wieder eine halbe Ewigkeit unterwegs und Perry ohne mich? Da ist der noch nicht mal die Hälfte wert. Aber jetzt bin ich ja hier. Und ich will wissen, warum du etwas hinkriegst, was ich in endlosen Versuchen nicht schaffe!"

Lee grinste und hielt ihre rechte Hand hoch. "Tja, mein Lieber. Entweder man hats oder man hats nicht. Du darfst dir jetzt selber aussuchen, zu welcher Gruppe du gehörst. Ich habe aber nochwas für dich."

Sie hielt zwei simple Papiertütchen hoch. Darauf war das Foto einer Möhre mit der Aufschrift Guckys Lieblinge. "Die sind für dich. Sie keimen garantiert und ab sofort hast du etwas Arbeit weniger."

Der Kleine hatte ein paar Tränchen in den Augen. Er stand auf, watschelte zu Lee hin, hob sich telekinetisch an und umarmte sie. "Danke!", flüsterte er. "Danke! Ich habe immer gewusst, dass du es wert bist."

Er setzte sich wieder hin und sah Lee und John an. "Was ist? Bringen wir es zu Ende? Ich glaube, ich habe nämlich gleich eine Überraschung für euch."

Natürlich erläuterte er Letzteres nicht näher, setzte sich dafür aber in Positur und begann zu reden.

"Selbstredend war Perry nicht tot. Wie gesagt, Bully und ich haben das von vornherein nicht geglaubt. Er lag einfach nur da und war völlig weggetreten."


Spoiler
Gucky erzählte die Geschichte von dem erwachenden Mondgehirn:


Das Zeug, das Perry bekommen hat, muss ziemlich heftig gewesen sein. Es hat ihn derart umgehauen, dass er so einen typischen "ich-bin-am-Ende-meines-Lebens-Traum" hatte. Lee, du kennst das als Therapeutin: Die Betroffenen stehen in einem langen, schlauchartigen Tunnel, der ewig stur geradeaus geht. Und am Ende leuchtet ein Licht und genau da wollen sie alle hin.

Bei Perry war das genauso. Inklusive Rückblick auf sein langes Leben. Der Flug zum Mond. Der Zellaktivator. Trauer und Tod mit dem Verlust von Frau und Tochter. Viele Freunde und Kampfgefährten. Alle weg. Der Rücksturz der Erde durch den Schlund, vor dem unsere Haus- und Hofsuperintelligenz ES zwanzig Milliarden Bewusstseine aufgenommen hatte.

Und sie alle riefen: Komm zu uns! Du gehörst hierhin! Mach nach dem ersten Schritt auch den zweiten!

Undsoweiter, undsofort. Aber ES wollte ihn nicht und er erwachte. Zuerst wusste er nicht, wo er war und konnte so eben noch der Unterschied zwischen oben und unten feststellen. Mehr nicht. Nach reiflicher Überlegung kam er zu dem Ergebnis, dass ihm wohl sein Unterbewusstsein einen heftigen Streich gespielt hatte. Namen und Begriffe tauchten auf. Die Space-Jet SOF-Zero. Palkaru. Ager Catomen. Dann brach die Erinnerung über ihn herein.

Genau. Er wollte den Herrn der Straßen treffen, aber er muss wohl auf dem Weg zur Jet im Hangar zusammengebrochen sein. Dann eine Stimme. Die kannte er. "Tut mir leid, Perry, aber es musste sein." Natürlich glaubte er kein Wort davon. Schon gar nicht, dass dem Sprecher irgendetwas leidtat. Er dachte weiter nach und das weckte ihn nach und nach auf.

Er wollte wissen, ob er Catomen getroffen hatte. Die Antwort war wieder überaus erschöpfend: "Ja und nein", meinte die Stimme, die er mittlerweile als die von Atlan identifiziert hatte. Er erhob sich, zwar noch ein wenig wacklig auf den Beinen, aber er war und ist ja nicht umsonst unser größter aller großen Meister. Sie gingen in die Zentrale, wo sie ihn alle ansahen, als wäre er ein Gespenst. Stille. Dann redeten alle durcheinander.

"Perry, du lebst?"

Ich glaube, er hätte in diesem Moment Atlan an die Wand nageln können, so wütend war er. Natürlich war Perry sofort klar, dass der Arkonide ihn gelinkt hatte. Man hätte als Freund Pflichten, sagte der Ex-Admiral. Es gäbe Leute, die müsse man davon abhalten, in ihr Verderben zu rennen. Ein gewisser Perry Rhodan gehöre dazu. Er erwarte keinen Dank, fuhr er fort. Aber er würde jederzeit wieder so handeln.

Nach und nach erfuhr Perry Rhodan die ganze Geschichte. Palkaru, der Vario 500 und Pedrass Foch. Dann die Explosion, bei der beide getötet wurden. Atlan spielte Perry eine Aufzeichnung vor, aus der hervorging, dass der Vario diesen Weg freiwillig gegangen war. "Dafür, dass dieses Elend bald ein Ende hat, bin ich bereit zu sterben, Atlan", hatte er gesagt. Er kannte sein Risiko und ging seinen Weg.

Der Rest ist mehr oder weniger schnell erzählt:

Fünftausend Fragmentraumer und tausend Haluterschiffe waren unterwegs, um in Sachen Kontrollfunknetz tätig zu sein und ungefähr zwanzig Millionen Cantaro zu helfen, die irgendwo in ihren Schiffen dahintrieben. Das Zentralplasma sandte die Lebensimpulse aus und die Cyborgs wurde nach und nach von ihren Mörder-Organen befreit.

Andere Haluter machten sich Gedanken, wie man ihre Heimatwelt wiederbeleben könnte.

Von unseren Helden flogen vier Personen ins Solsystem. Atlan und Eirene wollten sich NATHAN, das große Mondgehirn vornehmen und unsere alten Kämpen Perry und Bully zog es nach Titan, der Zentrale der Herren der Straßen. Nach und nach kamen sie dahinter, was passiert war. Wie NATHAN abgeschaltet wurde und durch den Großsyntron auf Titan ersetzt wurde. Die Überlistung der Cantaro, die Monos blind vertrauten. Cyborgs. Die Abschottung des Solsystems. Das Simusense-Netz, in dem man nicht zuletzt auch NATHAN gefangen hielt. Das Mondgehirn wurde in eine fiktive Welt versetzt, in der er die Menschheit in strenge, aber gerechte Herrscher über die Milchstraße umwandeln sollte. Dieser Auftrag band sämtliche Ressourcen NATHANs, so dass der gar nicht die Idee kam, dass man ihn ausgetrickst hatte.

Atlan konnte NATHAN reaktivieren und der Rechner wurde wieder normal. Sie erfuhren alles. Was sie nicht erfuhren, war, wer denn nun der Vater von Monos war und was die ganze Geschichte sollte. Wem hatte Perry derart furchtbares angetan, dass eine komplette Galaxis jahrhundertelang unterjocht wurde? Wozu wollte er Gesil und Eirene ausgeliefert haben? Und: Was zum Teufel war die Ursache für den Zellaktivator-Klau? Auch hier blieb alles im Unklaren.

Eine Person hatte noch eine Begegnung der besonderen Art: Eirene. Ein Nakk namens Willom eröffnete ihr, sie sei ein besonderes Wesen. Sie stehe, sagte Willom, wie die Nakken jenseits der Normen. Dieser Satz löste in Eirene etwas aus, das später gravierende Folgen haben sollte. Aber so weit sind wir ja noch nicht. Zunächst schlossen die beiden tatsächlich Freundschaft, sofern derartiges zwischen Menschen und Nakken überhaupt möglich sein konnte.

Perry und Bully waren inzwischen von Titan per Transmitter angekommen. Der Große hatte einen Funkspruch verfasst, kurz und knapp: "Die Milchstraße ist frei. Monos ist tot. Es gibt keine Herren der Straßen mehr. Die Milchstraße ist frei."

Das war der erste offene Funkspruch seit Jahrhunderten. Eigentlich hätte man feiern können. Nur, es gab keinen Grund dazu. Wir waren erst am Anfang.




"Millionen Menschen waren noch im Simusense, wie es auf vielen anderen Welten aussah, war völlig unbekannt." Gucky beendet seinen Bericht. "Ganz am Ende in Terrania sagte Bully noch, wir sollten das nicht als Begräbnis ansehen. Wir hatten einen grandiosen Sieg eingefahren. Den wohl größten Triumph der Galaxis. Und sie sahen nicht nur Terrania, sie sahen das Aussehen von Allem in zehn oder zwanzig Jahren. Und das konnte sich sehen lassen."

Gucky blickte in die Runde.

"Das war's!" meinte er.

Seine beiden Freunde waren erschüttert. "Und wir haben nichts davon mitgekriegt", sagte John. "Gar nichts."

Gucky sah ihn an und eröffnete den Beiden, dass es keinen Grund gäbe, jetzt depressiv zu werden. Hätte Lee ihn damals in Ruhe gelassen, wäre das alles nicht passiert. Aber da es nun mal passiert wäre, würde er, der schönste aller Ilts, noch mit einer Überraschung aufwarten.

Wie auf Kommando öffnete sich der virtuelle Bildschirm, wie es immer tut, wenn sich Besuch ankündigt. Lee war sofort aus dem Häuschen, als sie ihren Sohn Peter vor der Tür sah. Sie sprang auf, zog ihren Mann mit sich, öffnete und ihre komplette Familie samt Enkeln und Urenkeln stand hier. Lee war fassungslos. "Aber", begann sie.

"Überraschung!" sagte noch eine weitere Stimme. Und alle die, die bei der Erstellung der Dokumentation mit ihren Beiträgen mitgeholfen hatten, waren auch da. Unübersehbar: Icho Tolot. Atlan. Perry Rhodan musste sie etwas suchen, er steckte inmitten ihrer Enkel. Homer G. Adams, ohne den sie die Stiftung nie ans Laufen bekommen hätte. Und tatsächlich: Bully. Lee konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten.

Als sie sich halbwegs beruhigt hatte, entdeckte sie einen jungen Mann, dessen Züge ihr bekannt vorkamen. Nein, dachte sie. Das kann nicht sein. Der muss viel älter sein.

Der Blondschopf grinste und stellte sich vor: "Gestatten, Chick O'Leary. Wir kennen uns. Ich bin der, der aus einer vernünftigen irischen Familie stammt. Der einzigen Sippe übrigens unter diesen endlosen Mengen englischer Barbaren. Ich wollte mich noch für den Leprechaun bedanken. Aber leider bin ich bis heute nicht dahintergekommen, wo dieser elende Wicht sein Gold versteckt hat."

"Du bist zu jung. Du kannst höchsten sein Enkel sein", sagte Lee.

Sie hörte ein leises Lachen. Atlan sah sie an und gab einen Rückblick in die Vergangenheit. "Ja, das ist in der Tat der Chick O'Leary aus Billy McGuires Kneipe. Der kleine Junge, der sich mit seinem halbleer gegessenen Teller Fish and Chips vor mir aufbaute und fragte, wer ich denn sei. Vielleicht erinnert ihr euch noch, dass er schon damals bei mir in die Lehre gehen wollte."

Atlan stellte sich neben den Newenglander und fuhr fort: "Nun, ich antwortete ihn seinerzeit, er müsse etwas Geduld haben, immerhin sei er noch nicht volljährig. Ein paar Jahre später, einen Tag nach Erreichen dieses Zieles, stand er vor mir, grinste mich an und fragte, was denn nun von meiner Äußerung zu halten sei. Er gedenke, mir auf Schritt und Tritt zu folgen, drohte er mir. Also sei es am besten, wenn ich ihn unter meine Fittiche nehmen würde. Nun, das habe ich auch getan. Zunächst hatte ich ihn bei Monkey untergebracht, um ihm das Beste vom Besten in Sachen Ausbildung angedeihen zu lassen. Als USO-Spezialist mit Sonderauftrag wurde er zu mir abgeordnet und jetzt steht er hier."

"Blödsinn!", stellte Lee fest. "Wieso bist du dann nicht wesentlich älter?"

Diesmal war das Grinsen an Chick. "Spezialisten mit Sonderaufträgen, die für Leute wie Atlan tätig sind, werden nicht älter, wie du siehst. Nein, im Ernst: Einer dieser Einsätze führte zu ein paar Lichtjahren Raumflug im relativistischen Bereich, anders gings nicht. Daraus wurde eine Zeitreise in die Zukunft."

Der inzwischen von der Terrasse zur Tür gewatschelte Gucky stellte sich vor die ganze Gesellschaft und meinte: "So. Und jetzt zum gemütlichen Teil. Wir werden heute Abend den Singenden Ochsen in Beschlag nehmen und den Langen mal so richtig ans Arbeiten kriegen."

Er zwinkerte Lee zu. Er fingerte etwas aus einer Tasche und zeigte es Lee, aber so, dass die anderen es nicht mitbekamen. "Für den Fall der Fälle", flüsterte er. "Ich habe eine Injektion für dich mitgebracht. Man weiß ja nie." Er grinste. "Klamotten zum Wechseln wirst du ja dieses Mal zu Hause haben."
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Puh. Durch.

Der letzte Band war der erwartete Erklär-Bär Roman ohne Spannung. Der Anfang mit Perry Rhodan im Tunnel war interessant und inklusive Atlans Erklärung des Herganges ist gut geschrieben. Der Arkonide zeigte sich als der Überlegene, der dem Heißsporn Perry Rhodan seine Grenzen nannte.

Weniger sprachen mich die mittendrin auf Grund technischer Spielereien auftauchenden weisen Herren an. Vielleicht sollte das zumindest ein wenig Spannung erzeugen, aber bei mir kam das nicht an. Immerhin war Bully mit dabei und die beiden alten Kumpel waren auf Titan unterwegs, um rauszukriegen, wie Monos das alles auf die Kette gebracht hatte.

Genauso, wie Band 1498 mich an 398 erinnerte, ähnelt Band 1499 für mich Band 399. Beides spannungsarme, typische Abschlussbände mit Resteaufräumen. Wobei es ganz zum Schluss doch deutliche Unterschiede gibt: Band 399 war ein echter Abschluss. Danach kam der Zeitsprung. Band 1499 ist das nicht: Wir wissen nicht, was denn nun wirklich Ursache des Ganzen war. Gut, Monos aka Pedrass Foch hatte von sich gegeben, Perry Rhodan hätte seinem Vater Übles angetan. Aber wer denn nun dieser ominöse Herr Papa ist, erfahren wir nicht. Ebenso wenig wissen wir, warum er ausgerechnet Gesil und Eirene im Austausch fürs Solsystem haben wollte.

Und: Was es mit den geklauten Zellaktivatoren auf sich hat, ist ebenfalls unbekannt.

Der zweite Unterschied, und den betrachte ich als wesentlich, ist das Ende in den Ruinen Terranias. Nicht Perry Rhodan und Atlan stehen dort einsam und allein, diesmal sind Tifflor und Bull mit dabei. Und Bully sagt die letzten Sätze.

Die 99er Bände sind für mich sehr schwer zu bewerten. Deshalb lasse ich es hier sein.
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Re: Klassiker - Die Cantaro. Eine Zyklusbetrachtung mit begleitender Story

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Epilog


Gucky saß im Regen und kam sich nach längerer Auszeit wieder richtig lebendig vor. Das heißt, so richtig im Regen saß er natürlich nicht, ein Prallschirm hielt die Tropfen ab und er bliebt daher knochentrocken. Aber er genoss die kühle und feuchte Luft, die ihn hier umschmeichelte. Richtiger Regen auf einer richtigen Welt, nicht das Getröpfel in den hydroponischen Gärten irgendwelcher Raumschiffe, dachte er.

An dieser Welt habe ich einen Narren gefressen. Seit damals zieht es mich immer wieder hier hin, dachte er. Geändert hat sich ja nicht viel. Die Leute wirken auf mich, wie sie damals schon gewirkt haben und an den Bauten hat sich auch so gut wie nichts geändert. Eigenbrötler am Ende aller Welten sind sie immer noch. Gut, nicht mehr ganz so weggesperrt wie ehedem, aber im Großen und Ganzen will man weiterhin seine Ruhe haben. Fremde verlaufen sich hier so gut wie nie, höchstens mal ein paar romantisch angehauchte Rucksacktouristen.

Gucky war zufrieden. Pass gut auf unsere Terraner auf, hatte vor langer Zeit der Alte von Wanderer zu ihm gesagt. Vordergründig verspielt, niemand soll bemerken, dass du eine Art grauer Eminenz im Hintergrund bist. Hier hatte er wieder einen Schritt in der richtigen Richtung zurückgelegt. Newengland war immer noch Newengland, keine Frage, aber das war doch alles wesentlich besser geworden als es vorher war. Und die Stiftung ist immer noch erfolgreich tätig.

In der Ferne brachen die Wolken auf. Als ob jemand flüssiges Gold vom Himmel hinab schütten würde, dachte er und war wie so oft von der Schönheit der Schöpfung überwältig.

"Das ist einer der Gründe, die mich hier auf dieser Welt am Ende der Milchstraße halten", hörte er eine Stimme neben sich und wäre fast von seiner Bank gefallen.

"Lee!", flüsterte er und wandte sich der Stimme zu. Tatsächlich. Sie stand direkt vor ihm. Ein paar Jahre jünger als damals vielleicht, aber sie war es eindeutig. Er schüttelte den Kopf. "Ich glaube, ich hab sie nicht mehr alle."

"Man sagte mir, du könntest gut Geschichten erzählen", sagte die blondhaarige junge Frau. "Deswegen bin ich hier. Ich kann dich übrigens erlösen. Dr. Lee Barringham ist eine Vorfahrin von mir. Eine Urgroßmutter mit ein paar "ur" mehr davor. Das müsste ich jetzt aber genauer nachrechnen. Man hat mir schon gesagt, dass wir uns wie ein Ei dem anderen ähneln."

Ich komme nie wieder hier hin! dachte der Ilt und war sich natürlich schon jetzt absolut sicher, dass er diesen Vorsatz brechen würde. Aber nochmal so eine Geschichte stehe ich nicht durch.

Die vermeintliche Lee lachte. "Es tut doch gut", sagte sie, "wenn man tatsächlich jemanden aus der Garde der Unsterblichen aus der Fassung bringen kann. Wenn es dann sogar der berühmte Gucky ist, baut dich das noch mehr auf."

Gucky fühlte sich ertappt und machte einen verdrießlichen Eindruck.

"Komm!", sagte die junge Frau, die sich noch nicht vorgestellt hatte. "Die Möhrenzucht gibt es noch. Wir haben zu Hause immer einen Vorrat an Möhrensaft aus Guckys Lieblingen."

Das fängt ja immerhin besser an als beim letzten Mal! Er gab ihr die Hand und fragte, wo es hingehen solle.



Ende
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Re: Klassiker - Die Cantaro. Eine Zyklusbetrachtung mit begleitender Story

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Meinung:


Mein erster Eintrag stammt vom 7. Februar 2022, heute haben wir den 17. Mai 2024. Über zwei Jahre Cantaro waren das jetzt.

Nun, heute haben wir den 13.10.2025 und so gesehen waren es mehr als dreieinhalb Jahre Cantaro. Wo ist die Zeit geblieben? Ob es was nützt, wenn ich mich bei KNF beschwere? Ich fürchte, eher nicht.

Als ich anfing, steckte ich noch in den Klauen einer heftigen psychischen Erkrankung als Nachfolge zweier nicht auskurierter Burnouts. Ich war völlig fertig mit meiner Welt, stellenweise total am Ende und bezog vor Allem alles auf mich.

Wenn irgendwo wer auch immer etwas sagte oder schrieb, fühlte ich mich angegriffen. Weil es ja alle nur auf mich abgesehen hatten. Wenn in China der berühmte Sack Reis umfiel, war das ausschließlich meine Schuld. Einkaufen außerhalb eines anonymen Supermarktes war völlig unmöglich. Irgendwann brachte mich mein Psychotherapeut dazu, mal nach einer bestimmten Ware zu fragen. Ich hatte drei Nächte vorher vor lauter Aufregung nicht schlafen können.

Inzwischen geht es mir besser. Vieles, was mich früher runtergedrückt hatte, löst heute höchstens ein Schulterzucken aus - beispielsweise die immer wiederkehrenden Abstiege des meiner Stadt allgegenwärtigen 1. FC Köln. Aber das soll ja ab dieser Saison endlich vorbei sein!


Nun, es gibt wichtigeres. Familie, Freunde, Beschäftigungen, Hobbys. Das alles hat mir geholfen. Ohne meine Familie und meine Freunde hätte ich es wohl nicht geschafft, aus dem Loch herauszukommen. Letztlich kam die ärztliche Lösung meiner Probleme aus einer Ecke, mit der ich nie gerechnet hätte.

Aber Perry Rhodan als Teil meiner Therapie? "Machen Sie das, wenn es Ihnen Spaß macht", hatte mein Therapeut gesagt. "Sie werden Rückschläge erleben. Darüber werden wir reden und gemeinsam dafür sorgen, dass Sie den Weg zurückfinden."

Ja. Perry Rhodan als Therapie. Ich habe mir mit Gucky meinen Lieblings-Ilt ausgesucht (gut, das ist jetzt nicht allzu schwer, wenn man ein Auge auf einen Mausbiber wirft) und mich gefragt, wie denn zum Teufel ein Reginald Bull auf die Idee kam, seine Heimat hoffentlich nur vorübergehend zu verlassen. Natürlich waren die wahren Gründe unseres Helden andere, völlig klar - nanograinger hatte mich beizeiten freundlich darauf hingewiesen.

"Reginald Bull ist der, der wir alle gerne wären." So oder so ähnlich hat mal jemand im alten galaktischen Forum den Rothaarigen beschrieben. Ja. Auf mich trifft das seit meinem zwölften Lebensjahr zu. Wie zum Teufel würdest du dich an seiner Stelle verhalten? Hättest du Vertrauen zu dieser jungen Therapeutin von dieser seltsamen Welt am Ende der Zivilisation? Ja. Ich hätte Vertrauen und ich hatte Vertrauen. Deswegen hat sie alle ihre Ziele erreicht.

Der Zyklus hat mir geholfen. Ich war immer beschäftigt, mir was Neues auszudenken. Zu Beginn hatte ich natürlich absolut keine Ahnung, wo das hinführen würde. Das Einzige, was von vornherein klar war, war der Auftritt von The Clash mit der heimlichen Hymne Newenglands: London Calling. Und natürlich musste die Band zumindest einmal mit dabei sein. Eine Truppe Punker ließe sich schließlich von so einem Erlebnis nicht allzu nachhaltig beeindrucken.

Ich musste lernen, mich nicht unter Druck setzen zu lassen. Das Leben besteht ja nicht nur aus unser aller Lieblingsserie. Aber irgendwann kriegt man das auf die Reihe. Auch aus meinem längeren Aussetzer bin ich zurückgekommen. Jetzt, nach dem letzten Band, ist all das Andere an der Reihe. All das, was zurückstehen musste.

Der Zyklus hat meine anfänglichen Hoffnungen erfüllt.

Nach 695 Jahren kamen unsere Terraner in einer Welt an, in der nichts mehr so war, wie es sein sollte. Eine abgesperrte Milchstraße, keiner kam rein, keiner kam raus. Völker aus der Vergangenheit waren auf einmal wieder da (Gurrads).

Nach und nach enträtselte man das alles. Dann: Die Gewebeprobe. Nie vorher und nie mehr nachher wurde Perry Rhodan, der große Perry Rhodan derart verletzlich und menschlich geschildert. Man konnte genau nachvollziehen, wie es ihn in diesem Moment erging. Der langsame Aufbau und ein Rhodan, der im Gegensatz zu manch anderen Zeiten nicht aus dem Nichts als glorreicher Held erscheint, der alles im Alleingang regelt. Nein. Wir haben einen Perry Rhodan, der zwar zielgerichtet handelt und im Mittelpunkt steht, der letztlich aber über eine lange Zeit nur unterstützend tätig war. Homer G. Adams, der Vergessene aus der Vergangenheit, ist der Held und der Chef.

Ganz großes Kino.

Natürlich war spätestens nach der Untersuchung der Gewebeprobe klar, wie das alles enden würde. Meinten wir. Meinte ich. Zum Schluss jedoch blieb Perry erneut menschlich: Er ließ sich von Atlan hereinlegen und wurde aus dem Verkehr gezogen. Womit wir beim Ende des Zyklus sind und das fand ich verkorkst. Band 1499 klammere ich mal aus, das eigentliche Finale brachte uns Serienmitbegründer Karl Herbert Scheer. Der Roman als solcher war gut, keine Frage.

Nur: Siebenundneunzigeinhalb Bände, die ihre Erklärung in fünf läppischen Seiten finden? Das verbleibt als einziges Problem aus den Cantaro - Erzählungen. Es stört mich noch nicht mal, dass wir nicht erfahren haben, wer denn nun der Vater von Monos war. Und was das alles sollte. Oder warum wir nicht erfuhren, wieso die ZA geklaut wurden.

Nein, der Spannungsbogen war auch so groß genug. Aber um den abzuschließen, waren fünf Seiten einfach zu wenig.

Die Serie als solche war im Umbruch. Die alten Autoren waren noch da, die nächste Genration wirkte aber fleißig mit, was der Serie guttat. Marianne Sydow zum Beispiel, eine tolle Autorin, die Jennifer und Irmina einen Abschied aus respektvoller Entfernung gönnte oder die so gut mit Dao umgehen konnte.

Robert Feldhoff, der viel zu früh Verstorbene. H.G. Francis, den ich komplett aus den Augen verloren hatte. HGE schrieb wie immer, lieferte aber gegen Ende hin ein Hammerteil ab. KHS, der sich an der in Leserbriefen diskutierten Sexualität mehr als mühsam abarbeitete und mich das eine oder andere Mal mit seinem Superheldentick genervt hatte. Der aber auch noch so konnte, wie ich ihn mir gewünscht hatte.

Alles im Allem eine sehr gute Mischung.

Für mich gibt es keine Zweifel. Der Cantaro - Zyklus ist einer der ganz großen, auch wenn der Schluss ein wenig dürftig dahergekommen war.

Meine Geschichte ist an dieser Stelle vorbei. Vielleicht hat es euch ein wenig Spaß gemacht, hier mitzulesen. Es würde mich freuen.

Bild


PS: In einem Leserbrief prophezeite jemand das Ende der Serie für Band 3398. Ich hoffe, dass sich dieser jemand schwer vertan hat und drücke der Serie und BCH als neuem Exponator alle vorhandenen Daumen.
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Re: Klassiker - Die Cantaro. Eine Zyklusbetrachtung mit begleitender Story

Beitrag von RBB »

Und jetzt?


Im Moment habe ich keine Ahnung, ob ich hier irgendwann weitermache. Das ist weniger ein zeitliches Problem, ich habe ja gelernt, mich nicht mehr unter Druck zu setzen.

Ein paar Grundideen hätte ich:
Der Epilog aus diesem Teil wäre der Prolog zu dem 1500er Zyklus. Gucky und die noch namenlose junge Frau machen sich über kurz oder lang auf eine Reise, um herauszukriegen, woher unsere Heldin Lee denn stammt. Sie wurde ja bekanntlich als Säugling in einem Transmitter in einer Wiege aufgefunden.

Wo kommt Lee her?
Was haben ihre Eltern erlebt?
Was hat wen veranlasst, sie in einer Wiege ohne Absenderkennung nach Newengland zu schicken?
Woher wussten die überhaupt, dass es Newengland gibt?

Vielleicht käme dann auch noch heraus, wo unser so plötzlich verschwundene Kneipenwirt herkam und letztlich abgeblieben ist.

Die Schwierigkeit besteht aus den Gesprächen zwischen den Beiden. Ich fürchte, wenn sich Normalsterbliche und Unsterbliche unterhalten, dürften die Fragen die gleiche sein, auch wenn da 200 Jahre zwischen liegen sollten. Dieses Problem muss ich dazu lösen. Und da fällt mir im Moment nix zu ein.

Zudem habe ich keine Ahnung, ob sonst noch jemand als handelnde Person dazu kommt und wenn ja, wer.

Vielleicht fällt mir, wie so häufig bei der Verfassung meiner Geschichten, morgens früh beim Aufstehen etwas dazu ein. Sollte das passieren, wird es notiert. Und wenn es irgendwann mal reicht, geht es weiter. Wenn nicht, dann nicht. Andererseits: Wenn ich einmal angefangen habe, kommt der Rest von alleine. Wir werden sehen.

Auf jeden Fall kommen die 300er noch. Aber bis dahin bitte ich um etwas Geduld, derzeit liegen andere Dinge an.

Bis dahin mit vielen Grüßen aus Köln alles Gute
RBB





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