
In NEO 362 "Pflicht und Verrat" hat die Autorin einen zentralen Baustein des Romans darauf aufgebaut, dass der Leser das Verhältnis zwischen Ho-Ta und Mi-Cu nicht als das erkennt, was es eigentlich ist. Dabei versucht sich die Autorin an einem literarischen Kunststück, nämlich das Geschlecht von Ho-Ta (und damit die Erkenntnis für den Leser) zu verschleiern.
Leider geht das völlig schief. Ich möchte hier ein wenig ausholen. Jeder Roman beginnt mit einem unausgesprochenen Vertrag zwischen Leser und Autor. Der lautet: ich, als Autor, werde versuchen, dich als Leser zu täuschen. Ich werde versuchen, dich zu überraschen, indem ich Fakten in der Geschichte so präsentiere, dass du das Ende nicht kommen siehst. Aber ich werde dich dabei nicht belügen, sondern die Geschichte so schildern, dass du die Fakten nicht bemerkst oder falsch interpretierst.
Diesen Vertrag hat die Autorin im vorliegenden Roman gebrochen. Sie belügt den Leser, indem sie das Geschlecht von Ho-Ta fehlerhaft beschreibt. Zwei Beispiele:
1) Sie schreibt: ihren Gegner (männlich), obwohl es ihre Gegnerin (weiblich) heißen müsste
2) Sie schreibt: des Jugendlichen (männlich), obwohl es der Jugendlichen (weiblich) heißen müsste
Sie verschleiert die Fakten also nicht, wie es ein erfahrener Autor machen würde, sondern belügt den Leser.
Ich gebe zu, die Schwere der Aufgabe billigt der Autorin mildernde Umstände zu. Und sie hat sich wirklich Mühe gegeben. Die meisten der gewählten Formulierungen sind geschlechtsneutral. Trotzdem hat sie den Vertrag Autor-Leser gebrochen und dies ist, ich benutze den Romantitel, Verrat am Leser und an der Zunft der Autoren. In diesem Fall wäre mehr Detailarbeit und Sorgfalt benötigt worden, um das literarische Kunststück gelingen zu lassen. So aber hat sich die Autorin in der Gewichtsklasse der literarischen Aufgabe vergriffen.
Ich schreibe dies hier nicht aus Schadenfreude, oder um KNF zu ärgern, sondern weil ich glaube, dass diese Kritik der Autorin helfen wird, die Qualität ihrer Arbeit in Zukunft zu verbessern. Nur benannte Fehler können auch verbessert werden.