Der Literarische Salon

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Graf Maunzy
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Graf Maunzy »

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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »

Amtranik hat geschrieben: 13.03.2025, 11:17 Yamanoue no Okura, ein berühmter Waka-Dichter der Nara-Zeit (710-794) in Japan, schrieb in dieser Zeit das „Chōka“, ein Dialog zweier armer Männer. Eine Strophe daraus:

Yononaka wo/Ushi to yasashi to/Omoe domo/Tobitachi kanetsu/Tori ni shi arane ba.

Ich fühle das Leben ist/sorgenvoll und unerträglich/jedoch/kann ich nicht entfliehen/da ich kein Vogel bin.

Ein „Tanka“ (kurzes Lied) von Ki No Tsurayukin [872-945] :

In einem Gasthaus
am Fuss der
Frühlingsberge
schlief ich die Nacht
durch -
selbst im Traume
schwebten
unablässig Blüten
nieder
Wunderschöne Zeilen. :yes:

Ich bin immer wieder beglückt, dass derart alte Texte überliefert wurden und uns Einblicke in das Denken und Fühlen der Menschen von damals gewähren.
'Ich bin in vielen Welten zu Hause.' (Philip K. Dick)
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »

Graf Maunzy hat geschrieben: 13.03.2025, 14:19
Spoiler
Faszinierend - und ein schöner Beweis dafür, dass sich die klassische und die moderne Welt gut miteinander kombinieren lassen! :-) Danke für's Einstellen. :yes:
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »


***


Wilhelm Busch
(1832-1908)


Wie schad ...


Wie schad, daß ich kein Pfaffe bin.
Das wäre so mein Fach.
Ich bummelte durchs Leben hin
Und dächt' nicht weiter nach.

Mich plagte nicht des Grübelns Qual,
Der dumme Seelenzwist,
Ich wüßte ein für allemal,
Was an der Sache ist.

Und weil mich denn kein Teufel stört,
So schlief' ich recht gesund,
Wär' wohlgenährt und hochverehrt
Und würde kugelrund.

Käm' dann die böse Fastenzeit,
So wär' ich fest dabei,
Bis ich mich elend abkasteit
Mit Lachs und Hühnerei.

Und dich, du süßes Mägdelein,
Das gern zur Beichte geht,
Dich nähm' ich dann so ganz allein
Gehörig ins Gebet.


***
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Rous2 »

Wie gesagt, Lyrik spare ich mir meist auf für besondere Gelegenheiten. Aber Paul Fleming kann einem den Kopf geraderücken, wenn man wieder mal nicht weiß, wo er steht:

https://www.deutschelyrik.de/an-sich.301.html

Der Sprecher hat nach meiner Ansicht auch eine ganz wunderbare Auswahl getroffen und trägt die Gedichte sehr gut vor.
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »


***


Gabriele von Baumberg
(1768-1829)


An die Sonne

Sinke, liebe Sonne, sinke!
Ende deinen trüben Lauf,
Und an deine Stelle winke
Bald den Mond herauf.

Herrlich und schöner dringe
Aber Morgen dann herfür,
Liebe Sonn! und mit dir bringe
Meinen Lieben mir.


***
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »

Rous2 hat geschrieben: 16.03.2025, 19:33 [...] https://www.deutschelyrik.de/an-sich.301.html
[...]

Sehr schöne Seite! :yes:
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »


***


Rainer Maria Rilke
(René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke)
(1875-1926)



Ich lebe mein Leben


Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge zieh'n.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.

Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang,
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.


***
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von kad »

Robert Walser (1878 - 1956)

Der Schnee


https://youtu.be/QVmQ6sgoOyY?si=uJo43O-1CxTDYdGL
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »


***


Paul Verlaine
(1844-1896)



Sonnenuntergang


Ein Nebel verschleiert
die Felder und winkt,
voll Wehmut feiert
die Sonne und sinkt.

Voll Wehmut feiert
mein Herz mit und klingt
vergessenumschleiert,
nun die Sonne sinkt.

Von seltsamen Träumen,
wie Sonnen glühn
in den himmlischen Räumen,
flammend und kühn,

siehst du noch schäumen
die Lüfte und sprühn,
wie Sonnen verglühn
in den himmlischen Räumen.


***
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »


***


Georg Herwegh
(1817-1875)


Die Liebe


Die Liebe ist ein Edelstein,
Sie brennt jahraus, sie brennt jahrein,
Und kann sich nicht verzehren;

Sie brennt, solang noch Himmelslicht
In eines Menschen Aug sich bricht,
Um drin sich zu verklären.

Und Liebe hat der Sterne Macht,
Kreist siegend über Tod und Nacht,
Kein Sturm, der sie vertriebe!

Und blitzt der Haß die Welt entlang,
Sie wandelt sicher den alten Gang,
Hoch über den Wolken, die Liebe!


***
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »


***


Oskar Blumenthal
(1852-1917)



Zur Physiognomik


Der weise Schopenhauer spricht –
Und gern betret’ ich seine Spur:
»Ein jedes Menschen Angesicht
Ist ein Gedanke der Natur.«

Es folgt daraus das Eine nur,
Wenn man dem Worte Glauben schenkt:
Dass auch die ewige Natur
Mehr Dummes als Gescheites denkt.


***
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »

Mein Traumberuf, abgesehen von Astronaut und Lokomotivführer, versteht sich :-D , war Buchbinder und Buchrestaurator.

Aber das Leben ist ja bekanntlich kein Wunschkonzert :nein: , doch war ich mal mit einer Buchbinderin befreundet und durfte mich häufig in ihrer Werkstatt aufhalten. :-)


Hier nun mal einige schöne Dokus zum Thema, aus der Reihe SWR Handwerkskunst.


Wie man ein Buch bindet

Buchbindermeister Johannes Schneider zeigt Schritt für Schritt wie in seiner 125 Jahre alten Mainzer Buchbinderei ein Buch mit den Händen gebunden wird. In der Handbuchbinderei restauriert und repariert er historische Bücher.

Text: SWR




Wie man eine alte Familienbibel rettet

Die beiden Buchbindermeister Hedwig und Klaus Müller aus Nußdorf bei Landau wollen einer ziemlich ramponierten Bibel aus dem Jahr 1626 wieder Glanz und Leben einhauchen. Nachdem die alte Fadenheftung aufgetrennt und alle Bögen auseinander genommen sind, heißt es daher Waschen und Anfasern. Dabei werden fehlende Seitenteile mit Papierbrei ergänzt. Die beiden Spezialisten fertigen einen neuen Buchdeckel aus Holz und Rindsleder an. Das Ergebnis kann sich sehen lassen und hält sicher nochmals ein paar hundert Jahre. Da rechnet sich auch der Reparaturpreis von knapp 2.000 Euro.

Text: SWR




Wie man ein altes Kinderbuch restauriert

Ein altes Kinderbuch mit schönen Bildern, vielen Liedern und Gedichten. Es ist über 100 Jahre alt. Der Buchrücken ist kaputt, das Buch selbst nur noch mit größter Vorsicht zu benutzen. Buchbindermeisterin Hedwig Müller aus Landau nimmt sich diesem Schatz an und sorgt mit viel handwerklicher Erfahrung und einer neuen Fadenheftung dafür, dass das Buch wieder benutzt werden kann.

Text: SWR

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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Perryoldie »

20. März

Heute ist nicht nur Frühlingsanfang, sondern auch der Geburtstag des Dichters Friedrich Hölderlin.

(* 20. März 1770 in Lauffen am Neckar, Herzogtum Württemberg; † 7. Juni 1843 in Tübingen, Königreich Württemberg)


Bild

Friedrich Hölderlin, Pastell von Franz Karl Hiemer, 1792


Nach Aussage Hölderlins Schwester Heinrike jedoch nicht gut getroffen: "Dein liebes Portrait, dem aber freilich auch nach der guten Großmutter Beurtheilung viel zur Aehnlichkeit fehlt."


Hölderlin hatte kein einfaches Schicksal und kein leichtes Leben und so schrieb er denn auch im Januar 1811 die traurigen Zeilen:


Das Angenehme dieser Welt hab ich genossen,
Die Jugendstunden sind, wie lang! wie lang! verflossen,
April und Mai und Julius sind ferne
Ich bin nichts mehr; ich lebe nicht mehr gerne!


Bild

Lizenz

Stadtfriedhof Tübingen


Als ich vor Jahren in Tübingen war, schaffte ich es leider zeitlich nicht, sein Grab zu besuchen.

Die Inschrift auf der Seite lautet:

Im heiligsten der Stürme falle
Zusammen meine Kerkerwand,
Und herrlicher und freier walle
Mein Geist ins unbekannte Land!

Aus Das Schicksal


Der Wikipediaartikel zu Hölderlin ist sehr empfehlenswert.


---


Hier noch ein interessanter Artikel in der FAZ, zum Thema 'Hölderlins geistige Gesundheit':

War Hölderlin wahnsinnig? - Die Zeit heilt keine Wunden

Artikel von Uwe Ebbinghaus, in der FAZ vom 22.03.2020





***

Friedrich Hölderlin
(1770-1843)


Der Frühling


Die Sonne glänzt, es blühen die Gefilde,
Die Tage kommen blütenreich und milde,
Der Abend blüht hinzu, und helle Tage gehen
Vom Himmel abwärts, wo die Tag´ entstehen.

Das Jahr erscheint mit seinen Zeiten
Wie eine Pracht, wo sich Feste verbreiten,
Der Menschen Tätigkeit beginnt mit neuem Ziele,
So sind die Zeichen in der Welt, der Wunder viele.


***
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Re: Der Literarische Salon

Beitrag von Rous2 »

Perryoldie hat geschrieben: 20.03.2025, 14:39 20. März

Heute ist nicht nur Frühlingsanfang, sondern auch der Geburtstag des Dichters Friedrich Hölderlin.
Als ich anfing, Gedichte zu lesen (also freiwillig, nicht, weil sie in der Schule »behandelt« wurden), kam mir auch Hölderlin unter. Das war damals aber erstmal keine ästhetische, sondern eine politische Frage: Beißner oder Sattler. Wobei man als Schüler damals eigentlich nur (via Stadtbibliothek) Zugriff auf die Edition des germanistischen Establishments hatte. Die Sattler-Edition im Verlag »Roter Stern« (klang für mich sympathisch nach SF :-)) war da noch ein Zukunftsversprechen. Aber sowas interessierte meine Generation halt mehr als die Gegenwart.
Sattler versprach Entstaubung: »Und so hatte ich den Eindruck, dass das, was Hölderlin der Nachwelt überlassen hatte, [...] die jungen Leser gar nicht erreicht, die es hauptsächlich angeht.«

Eine Generation vorher war das Verhältnis zu Hölderlin eher gebrochen. Die junge Kriegsgeneration hatte ihn von ihren Lehrern und Jungschar-Führern ins Marschgepäck gestopft bekommen, wie Wolfgang Borchert in einer Nachkriegs-Erzählung voller Ekel bemerkt. In einer Ausgabe des »Hyperion« von 1940 hatte er noch sein Lebensmotto auf dem Deckblatt notiert. Und Günther Eich memorierte Hölderlin auf einer Latrine an der Front:

https://www.deutschelyrik.de/latrine-1119.html
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