Tennessee hat geschrieben: ↑21.12.2024, 17:06
Das Interessante ist ja, dass das generische Maskulinum nicht mehr benutzt werden soll(te), um mehr
Sichtbarkeit bzgl. anderer (geschlechtlicher) Identitäten zu gewährleisten. Kurioserweise sorgt die genderneutrale Sprache, wie z.B. das hier besprochene System nach Phettberg, genau für das Gegenteil: die Geschlechteridentitäten werden
unsichtbar oder, um es etwas politisch euphorischer zu sagen: inkludiert.
Der Aspekt des "Sichtbarmachens", der auf feministische Kritik aus mindestens den 70er Jahren zurückgeht, "kollidiert" mit dem Aspekt der "Inklusion" nichtbinärer "(geschlechtlicher) Identitäten" (wie du es ausdrückst). Das heute übliche "...-erinnen und -er" macht die weiblichen "-...erinnen" explizit sichtbar, schließt aber nichtbinäre Geschlechter/Gender umso deutlicher aus.
Vor diesem Hintergrund ist es vielleicht fast zwangsläufig, dass ausgerechnet eine Person wie Hermes Phettberg seine Form der Neutralisierung entwickelte, welche versucht die beiden Aspekte zu verbinden. Und zwar indem auf der einen Seite neutralisiert wird (und damit wirklich "alle mitgedacht" sind, was das generische Maskulinum nachweislich nicht schafft), und auf der anderen Seite mit der -y Form eine Variante gewählt wurde, welche im Deutschen auffällt, sowohl im Schriftbild wie auch im gesprochenen Wort. Auch die Pluralbildung mit -ys hat dieses Ziel, nämlich durch die Einbringung des Ungewohnten die entsprechenden Denkprozesse anzuregen.
Nun habe ich bereits früher argumentiert (und werde das auch hier weiter unten tun), dass die zunächst ungewohnte -y Form mit entsprechender Verwendung schnell zur Gewohnheit wird. Damit wird sich die Waage zwischen Neutralisierung und Hervorhebung recht schnell auf die Seite der Neutralisierung verschieben. Ich meine aber, dass alleine durch die zusätzliche Form klar bleiben wird, dass mit einem Schauspiely eben nicht nur 100% Frauen oder Männer gemeint sind.
Tennessee hat geschrieben: ↑21.12.2024, 17:06
Das Prinzip hinter Phettbergs Ansatz ist mir durchaus klar, aber ich halte es aus mehreren Gründen für fragwürdig. Zunächst einmal auch wegen der Person Phettberg, die dieses Sprachsystem erdacht hatte. Und zwar deswegen, weil Phettberg eine Person war, die zuweilen ganz bewusst und provokativ, aber zuweilen auch unbewusst und unbedarft, zwischen ernstzunehmender Kritik/Analyse und kompletter Ironisierung dieser changierte. Und das alles auch sehr oft aus einer sehr ego-zentrischen Position heraus.
Ich stimme dir durchaus in Punkten zu, aber ich verstehe nicht, warum es ein Problem sein soll, dass Phettberg seinen Ansatz aus einer "sehr ego-zentrischen Position" entwickelt hat. Ich bin Naturwissenschaftler und ich weiß aus Erfahrung, dass die meisten großen Entdeckungen und Entwicklungen nicht aus einer "philantropischen" Position mit Blick auf das Gemeinwohl gefunden/entwickelt wurden, sondern sehr oft auf sehr banalen und egozentrischen Motivationen gründen.
Tennessee hat geschrieben: ↑21.12.2024, 17:06
Des weiteren ist in unserem Sprachgebrauch der y- oder i-Laut sehr oft mit einer "süßen" Diminuitierung und Verniedlichung verbunden: Baby, Schatzi, Handy, Schnucki ... Während bei Begriffen wie Lesy, Autory, Lehrys, Foristy oder Wissenschaftlys alles vielleicht noch mit einer mehr oder minder hochgezogenen Augenbraue bedacht werden kann, wird es bei anderen Sätzen ein wenig schwieriger mit der Argumentation, dass man sich daran bloß gewöhnen müsse:
Hunderte Magdeburgys wurden durch einen Autoanschlag verletzt.
Bürgys aus Magdeburg ringen mit dem Tod.
Die Polizei vermeldet, dass immer mehr Homosexuellys (homosexuell betrifft ja Männer und Frauen) von Diskriminierung betroffen sind.
Millionen Judys wurden von Nazionalsozialistys ermordet und diskriminiert.
Das ist in der Tat ein Nachteil, der aus der Gewohnheit des Diminiutivs -i und der Gleichheit in der Aussprache mit -y in der gesprochenen Sprache entspringt (in der Schriftsprache ist das nicht der Fall). Ich möchte das nicht kleinreden, auch wenn es natürlich ebenfalls eine Gewohnheitssache ist.
Es gibt Versuche (ich bin ja in keiner Weise Experte, da kein Sprachwissenschaftler), dieses Problem des Phettberg-Ansatzes mit anderen Endungen zu beheben. Ich meine Kai Hirdt hat in der damaligen Diskussion im GF die Endungen -e und -en erwähnt. Das Problem mit anderen Endungen, die "natürlicher" zur deutschen Sprache passen, dass es schnell Verwechslungen mit existierenden Wörtern gibt. Beispiel: Statt "der Lehrer" (gM) oder "das Lehry" (Phettberg mit -y) dann "das Lehre" (Phettberg mit -e, und "die Lehren" im Plural).
Ich meine mich zu erinnern, dass Thomas Kronschläger sich alle andere Vokalendungen angeschaut hat (so viele gibt es ja nicht) und keine bessere als -y/-ys gefunden hat, gerade auch, weil -y/-ys bei Lehnwörtern aus dem Englischen schon weit verbreitet ist (Handy und Handys).
Tennessee hat geschrieben: ↑21.12.2024, 17:06
Unter der Prämisse, dass man solche Lautgewohnheiten auch so empfindet, kann sich dann der Phettberg-Ansatz als ein ziemlich zynisches Sprachsystem zeigen, welches eben durch die Nutzung eines sprachenspezifischen Lautsystems weniger die Sichtbarkeit oder Gleichberechtigung bestimmter Begriffe zeigt, als sie vielmehr der Lächerlichkeit preisgibt. Ob sich Phettberg dies aus der Ironie oder der Ernsthaftigkeit heraus gedacht hatte, ist mir aber unklar.
Ich kannte Phettberg nicht und jetzt kann man ihn auch nicht mehr fragen. Aber ich habe frage mich schon, wie du auf die Idee kommen kannst, dass ausgerechnet Phettberg Gleichberechtigung und Inklusion "der Lächerlichkeit" preisgeben wollte.
Und selbst wenn dem so wäre, so spielt das für mich keine Rolle. Im Gegensatz zu der Unzahl von vielen völlig unpraktikablen Ideen, die für Gendern und Ent-Gendern in den Raum geworfen wurden, ist der Ansatz von Phettberg nicht nur praktisch leicht umsetzbar, sondern auch geradezu minimalinvasiv. Und wie bei fast allen Dingen kommt es auch hier nicht auf die Idee oder die Intention an, sondern auf die (Möglichkeit) der Umsetzung.
"Dein Pessimismus macht mich krank", sagte der Wurm. "Halt dich fest!"